Der Roman „Nacht aus Rauch und Nebel“ ist der zweite Teil in der Geschichte um Flora, Marian und Eisenheim, die Stadt der wandelnden und schlafenden Seelen. Im ersten Band werden wir gemeinsam mit der neu erwachten Flora in die Stadt Eisenheim eingeführt. Es ist die Stadt, in der Nacht für Nacht die Seelen der Menschen hinwandern, um dort entweder als Wandelnde bewusst zu leben oder als Schlafende die unbeliebten und schweren Arbeiten auszuführen. Flora selbst war eine Schlafende, deren Seele sich aber einer Gruppe angeschlossen hat, die eine Veränderung in Eisenheim bewirken wollen: Eine Schlüsselrolle hatte hierbei der „Weiße Löwe“ inne. Diesen magischen Stein soll Floras Seele gestohlen und versteckt haben. Nur kann sich die erweckte Flora nicht mehr daran erinnern. So befindet sie sich bald nicht nur in Eisenheim, sondern auch in der richtigen Welt in Gefahr, denn die Erinnerungen werden wiederkehren, und alle sind der festen Überzeugung, dass Flora dann die richtige Entscheidung treffen wird.
Im zweiten Band hat Flora diese Entscheidung bereits getroffen und hadert nun mit den Folgen ihrer Wahl. Denn damit hat sie sich nicht nur mächtige Feinde gemacht, ihren Vater enttäuscht und den Plan zur Rettung der Schlafenden erschwert, sie hat auch ihre Beziehung zu Marian in Gefahr gebracht; den Jungen, den ihre Seele geliebt hat und den auch sie liebt. Trotz all dieser Umstände ist Flora mehr oder weniger überzeugt, das Richtige getan zu haben - bis eine weitere Gefahr droht, die Stadt Eisenheim und seine Bewohner zu verschlingen. In Flora entsteht immer mehr die Angst, dass der Stein daran schuld sein könnte und mit ihm auch sie, da er am Tag ihrer Geburt vom Himmel fiel und sie seitdem miteinander verbunden sind. Was bedeutet die geheimnisvolle Prophezeiung? Was kann Flora tun, um das Nichts aufzuhalten? Wer wird ihr dabei helfen, und wer wird auch weiterhin die eigenen dunklen Ziele verfolgen?
*Spannung, Selbstfindung und Rätsel*
Mit den 400 Seiten voller Spannung, Selbstfindung und Rätsel schließt sich „Nacht aus Rauch und Nebel“ eindrucksvoll an seinen Vorgänger an und rundet damit das Abenteuer von Flora, Marian und Eisenheim wunderbar ab. Viele neue Elemente - wie etwa die Prophezeiung oder der Mantikor - bringen frischen Wind mit in die Erzählung und sorgen für andere Rätsel und Probleme als im ersten Teil. Probleme und Rätsel, die sich natürlich alle auf die Protagonistin Flora konzentrieren. Der liebenswerte Part von Flora aus dem ersten Teil ist geblieben, aber im zweiten Buch, nach ihrer großen Entscheidung und der Rückkehr ihrer Erinnerungen, wirkt sie auf mich wesentlich selbstbestimmter und stärker. Damit ist Flora immer noch nicht perfekt oder unbesiegbar, aber ihre Persönlichkeit kommt diesmal stärker zum Ausdruck, also irgendwie ihre wahre Bestimmung; ohne dass darauf verstärkt herumgehackt wird. Die junge Frau beeindruckt hier auf ganzer Linie, ohne ihre Menschlichkeit oder Liebenswürdigkeit mit Fehlern zu verlieren.
*Jeder Charakter hat sein eigenes Leben und seine eigene Geschichte*
Ebenso verhält es sich mit allen anderen Charakteren aus Gläsers Eisenheim-Universum. Fast jeder dieser Persönlichkeiten würde ein eigenes Buch verdienen, weil jede der Geschichten und Hintergründe dieser Figuren für sich alleine mitreißend sind. Egal ob Marian, der eiserne Kanzler, der Schattenfürst (alias Floras Vater) oder die Dame - selbst der mysteriöse Mantikor könnte Seiten über Seiten mit eigenen Erzählungen füllen. Doch gerade diese Mischung ist Gläser wunderbar gelungen: Jedem Charakter sein eigenes Leben und seine eigene Geschichte zu geben, dass er durch Facetten besticht und neugierig macht, ohne dabei auch nur eine Sekunde von ihrem Handlungsstrang abzuweichen. So ist da beispielsweise Marian; er war zu Beginn noch der tolle aber vor allem (aus Floras Sicht) undurchsichtige Kämpfer, den wir gemeinsam mit Flora immer besser kennen und dadurch schätzen lernen. Auch er hat seine Konflikte zu tragen, die ihm das Leben nicht leichter machen und natürlich die Beziehung zu Flora nachhaltig prägen. Ohne zu viel verraten zu wollen, lässt sich sagen, dass Marian und Floras Liebesgeschichte, die nicht an Komplexität oder Schwierigkeiten verloren hat, im Verlauf der Geschichte an Größe und Nachvollziehbarkeit immer mehr zunimmt.
*Die heimliche Heldenfigur *
Floras Vater im Gegensatz dazu ist ein Fall für sich: Gerade weil er als zunächst angeblich böser und rücksichtloser Schattenfürst so blass und kraftlos ist, scheint er die perfekte Karikatur seiner selbst zu sein, was ihn für mich zur heimlichen Heldenfigur dieses Romans gemacht hat. Gerade weil durch ihn auch mal die Anstrengungen und Schwierigkeiten eines Herrschenden gezeigt werden, der durch die absolute Macht und die Ausbeutung von Menschen nicht glücklich wird. Im gesamten Buch eher im Hintergrund, gelenkt vom eisernen Kanzler mit einer süßen Besessenheit von Fischen, hat er am Ende noch einen grandiosen tragischen Auftritt mit dem er mich endgültig für sich eingenommen hat. Aber natürlich kann auch er sich dem Klischee nicht völlig entziehen, da er sich stark vom eigentlichen bösen, dem eisernen Kanzler lenken lässt.
*Ein gelungenes und erinnerungswürdiges Ende*
Besonders erfrischend ist an diesem Roman, dass das Geschehen nicht unnötig in die Länge gezogen wird, nicht zwanghaft versucht wird, die Geschichte auszuweiten, sondern mit dem zweiten Band ein gelungenes und erinnerungswürdiges Ende geschaffen wurde. Denn sind nicht die Bücher die besten, die uns mit wehmütigen Fragen im Herzen zurücklassen und unsere Fantasie dazu anregen, sie selbst zu beantworten? Nacht aus Rauch und Nebel ist ein ebensolches Buch mit wundervollen Charakteren, einer tollen Geschichte und viel Spannung mit Spaß beim Miträtseln.
*Erschienen bei: Loewe*
Autorin / Autor: LadyJanna - Stand: 14. Juli 2013