Svenja ist achtzehn Jahre alt und zieht für das zweite Semester ihres Medizinstudiums nach Tübingen. Sie findet eine kleine, unsanierte Wohnung, in der sie alleine leben möchte. Doch auf einmal hat sie einen Mitbewohner: Ein kleiner Junge, scheinbar verwahrlost, mager und mit verfilzten Haaren taucht plötzlich in ihrer Wohnung auf. Er spricht nicht, verschwindet abends und kehrt erst morgens zurück. Svenja ist hin und her gerissen: Soll sie sich an die Polizei wenden? Ihn in ein Krankenhaus bringen? Doch der Junge nimmt ihr die Entscheidung ab: Sobald sie versucht, ihn abzugeben, ist er verschwunden und taucht erst Stunden später wieder auf. Manchmal bringt er von seinen nächtlichen Ausflügen seltsame Dinge mit: Einmal ist es ein blutiges Halstuch, einmal ein Büschel Haare. Svenja füttert den Jungen durch, versucht sein Geheimnis zu lüften und sich gleichzeitig auf ihr Studium zu konzentrieren. Dabei lernt sie Friedel kennen, einen Kommilitonen. Gemeinsam mit ihm versucht sie herauszufinden, woher der geheimnisvolle Junge kommt. Kurze Zeit später wird die Leiche einer obdachlosen Frau gefunden und Svenja hat den Verdacht, dass der kleine Junge, den sie mittlerweile auf den Namen Nashville getauft hat, etwas damit zu tun hat. Neben Friedel bietet auch Gunnar seine Hilfe an. Er ist HNO-Arzt und wesentlich älter als Svenja, außerdem verlobt – trotzdem gibt es eine gewisse Anziehung zwischen den beiden. Ihre Wege kreuzen sich wieder und wieder, zufällig, wie es scheint. Svenja fühlt sich verfolgt und vermutet, dass der Mörder der Pennerin nun auch hinter ihr und Nashville her sein könnte. Zwischen Nashville und ihrem Studium, zwischen Prüfungsstress und Todesangst versucht Svenja, ihr Leben auf die Reihe zu bekommen.
Antonia Michaelis gelingt es, in ihrem Thriller „Nashville oder das Wolfsspiel“ alle Teile von Svenjas Leben zu beleuchten. Es geht einerseits um ihre komplizierte Beziehung zu Nashville, andererseits aber auch um ihre Eltern, um ihre finanziellen Nöte und ihre persönlichen Beziehungen. Neben Friedel und Gunnar gibt es nämlich noch weitere Menschen, denen Svenja im Laufe des Buchs nahe kommt. Dadurch ist ein sehr vielseitiges Buch entstanden, das zwar von Nashville und seinem Geheimnis geprägt wird, dass aber auch viel aus Svenjas Leben erzählt.
Interessant ist auch der starke Lokalkolorit der Erzählung: Tübingen spielt eine wichtige Rolle, viele reale Örtlichkeiten werden erwähnt (Brunnen vor der Neuen Aula, Wilhelmstraße, Parkhaus König), die jeder, der schonmal in Tübingen war, wieder erkennt. Dadurch entsteht eine sehr authentische Atmosphäre, die dem Leser das Gefühl gibt, tatsächlich am Ort des Geschehens zu sein.
Die Autorin hat eine sehr poetische Erzählweise, die von zahlreichen Metaphern und Vergleichen geprägt ist. „Es gab Augenblicke, in denen sie einen gewissen Grad an Melancholie brauchte. Man konnte die Melancholie selber machen, wie Origami-Vögel. Wenn sie in den Fluss fiel, würde das Wasser sie auflösen, denn es war nur eine Melancholie aus bunten Papier.“ (S. 26) Das macht es zunächst etwas schwierig, sich auf die realen Teile der Erzählung zu konzentrieren, verdeutlicht jedoch auch die Emotionen der verschiedenen Figuren.
„Nashville oder das Wolfsspiel“ ist insgesamt ein sehr spannendes Buch, das den Leser von Anfang bis Ende fesselt und dabei facettenreich die außergewöhnliche Geschichte einer jungen Studentin erzählt.
*Zur Autorin:*
Antonia Michaelis wurde 1979 in Kiel geboren und verbrachte die ersten zwei Jahre ihres Lebens an der Ostsee, danach zog sie mit ihren Eltern nach Augsburg, wo sie auch ihr Abitur machte. Nach einem Jahr in Südindien kehrte sie nach Deutschland zurück, um in Greifswald Medizin zu studieren. Danach unternahm sie zahlreiche Reisen, unter anderem nach Italien, Griechenland, Syrien, England und in die Türkei. Heute lebt Michaelis mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern wieder an der Ostsee. „Nashville oder das Wolfsspiel“ ist eines ihrer aktuellen Bücher für junge Erwachsene. Daneben hat Michaelis bereits eine Vielzahl von Büchern für Kinder, Jugendliche und Erwachsene veröffentlicht.
*Erschienen bei Oetinger*
Autorin / Autor: lacrima - Stand: 22. September 2015