„Jetzt fängt dieser Sommer auch noch an zu stinken.“ (S. 1)

Was für ein Opener. Was ist eigentlich ein Rattensommer? Eine Art biblische Plage bei 35 Grad? Kammerjäger in der örtlichen Eisdiele? Oder doch nur eine Jahreszeit im chinesischen Jahr der Ratte? Ich habe keine Ahnung, als ich dieses Buch zum ersten Mal in der Hand halte, und lasse mich einfach überraschen, wohin Juliane Pickel mich in ihrem Jugendroman „Rattensommer“ (2023, Beltz & Gelberg; 252 Seiten) führen wird.

Lou Marinko und Sonny Larsson sind eine Einheit - zwei Hälften, die unterschiedlicher nicht sein könnten und zusammen ein Ganzes ergeben. Vor ihnen liegt ein ganzer Sommer, den sie zusammen verbringen wollen, und allmählich empfinden die beiden mehr füreinander als nur beste Freundschaft. Die Stimmung kippt schlagartig, als Hagen Bender auf der Bildfläche erscheint. Bender, der wegen guter Führung vorzeitig aus der Haft entlassen worden ist. Bender, der Sonnys Mutter getötet hat. Blind vor Hass schwört Sonny, ihre Mutter zu rächen, und erwartet von Lou vollste Unterstützung. Schließlich steht Lou vor der Frage, ob sie die Rachepläne ihrer Freundin mittragen kann und was dies für ihre Freundschaft bedeutet.

Erzählt wird ausschließlich aus Lous Perspektive und somit durch eine personale Ich-Erzählerin. Der im Buch verwendete Schreibstil gefällt mir außerordentlich gut, ist natürlich und passt zur Ausdrucksweise einer 15-Jährigen. Trotz - vielleicht auch gerade wegen - ihrer Einfachheit sind die Sätze kraftvoll und schaffen die Atmosphäre eines fremden, unheimlichen Sommers. Lous Gefühlswelt wird eindrücklich beschrieben und lässt eine starke Charakterentwicklung über die Handlung hinweg erkennen. Dabei kommen auch elterliches Versagen und widersprüchliche Emotionen zum Ausdruck. Ich nehme Juliane Pickel ihre Hauptfiguren vollkommen ab. Schade finde ich dennoch, dass am Ende sehr offenbleibt, wie es mit den Beteiligten weitergeht. Ich hätte gerne einen ungefähren Ausblick gehabt.

Nichtsdestotrotz gehört „Rattensommer“ für mich zu den tollen Büchern dieses Sommers. Ein etwas weniger abruptes Ende fehlt mir persönlich zur vollen Punktzahl. Ich kann das Buch all jenen empfehlen, die sich nach einer besonderen Sommerlektüre für Jugendliche sehnen.


*Erschienen bei Beltz & Gelberg*