Pfefferminztea hat sich "Seelen" angeschaut und dabei fast in den Sitz vor ihr gebissen. Warum? Lest selbst! Fans müssen bei dieser Kritik aber ganz stark sein, denn sie ist vernichtend!
Wow, was für eine Story. Die Erde von Aliens bevölkert, die Menschheit versklavt, nur ein kleines (gallisches Dorf?) Häuflein Menschen nordamerikanischer Herkunft leistet erbitterten Widerstand. Nichts überwältigend Neues, aber Geduld - dieser Plot hat Potential. Wie in Twilight und seinen unseligen Nachfolgern gibt Stephenie Meyer auch in Seelen (engl. The Host) ausgelutschtem Material einen neuen Twist, der interessante Fragen aufwerfen könnte – und lässt die Story dann zur wutschreiauslösenden Schmonzette verkümmern.
To be fair, ich habe das Buch nicht gelesen, meine Kritik bezieht sich also einzig und allein auf den Film. Mögen andere darüber urteilen, inwiefern sie auch auf die Vorlage zutrifft. Die Tatsache allerdings, dass Ms. Meyer für die Verfilmung ihres Werkes als Produzentin einsteht, lässt darauf schließen, dass sich das Geschehen auf der Leinwand nicht allzu weit von dem entfernt hat, was sie zwischen zwei Buchdeckeln sehen wollte.
Zurück zur Handlung. Ich sprach von Potential. Seelen nimmt seinen Anfang in einem dystopischen Zukunftsszenario, in dem außerirdische Lebensformen die Erde besetzt halten und menschliche Körper als Wirte missbrauchen. Fast alle Menschen sind von „Seelen“ besetzt und haben die Kontrolle über ihr Leben verloren, nur einige wenige, unter ihnen Protagonistin-in-Spe Melanie, sind noch vor ihren Besetzern auf der Flucht. Die Handlung setzt ein, als Melanie von „Suchern“ gefangen wird und die Seele „Wanderer“ implantiert bekommt. Anders als die meisten Menschen leistet sie gegen ihre Besetzung Widerstand und weigert sich, Wanderer ihre Erinnerungen völlig preiszugeben. Damit gelingt es ihr zunächst, ihre Kidnapper daran zu hindern, auch ihre Verbündeten ausfindig zu machen (allen voran kleiner Bruder und großer, starker Freund – denn worüber lassen sich Frauen besser definieren als über Muttergefühle und Romanzen?). Zwischen Melanie und Wanderer entspinnt sich ein innerer Dialog, durch gezielten Einsatz ihrer Erinnerungen, begleitet von eigenen Kommentaren, schafft es die junge Frau schließlich, Wanderer zur Flucht und zur Suche nach ihrer Familie zu bewegen. Den Rest des Films verbringt die Seele maßgeblich damit, gegenüber den ihr kaum bekannten Menschen Gutartigkeit zu beweisen („JA, ich wuchere im Gehirn eurer Freundin/Schwester/Nichte/…, ABER sie ist ja noch am Leben. Irgendwie. Das könnt ihr zwar nicht nachprüfen, aber ihr werdet mir halt glauben müssen.“). Als zentrales Element dieser Handlung entspinnt sich ein Dreiecksdrama, als sich in Melanies Körper ihre noch immer vorhandenen Gefühle für ihren Freund Jared mit Wanderers aufkeimenden Gefühlen für einen weiteren Verbündeten, Ian, mischen.
So weit, so nichtssagend. Wie viele Filme haben wir schon gesehen, in denen eine Heldin ihr Leben in den Griff bekommt, indem sie es schafft, sich zwischen zwei Männern zu entscheiden, und „Mr. Right“ bekommt? Dass Seelen diesem Muster folgt, ist an sich nicht der Punkt, der mich bis in die Unendlichkeit und noch viel weiter frustriert (obwohl alle Beteiligten eine etwas vielfältigere Darstellung von Frauen auf der Leinwand verdient hätten). Was in mir wiederholt den Wunsch weckte, vor Wut in die Sitzlehne vor mir zu beißen, ist die Tatsache, dass ich in dieser Geschichte alle paar Minuten Fragen entdecken durfte, die auf den Fingerspitzen prickeln und den Mund wässrig machen - nur um diese dann völlig ignoriert zu sehen. Und in einer Soße von gedankenloser Aufopferungsmentalität (Hallo, Bella Swan!), schlecht aufgezogener Romantik und patriarchalem Gutwillen (Melanies Onkel Jeb, a.k.a. „Das ist hier keine Demokratie!“) ertränkt zu werden.
Eine kleine Liste der Kurven, die Seelen nicht bekommen hat:
1) Wanderer betritt einen neuen Planeten und findet sich im Körper eines Lebewesens wider, das offenbar noch Anspruch auf diesen Körper erhebt. Anders, als es Wanderers sporadische Aussagen über das Leben auf anderen von den Seelen kolonisierten Welten nahelegen, gibt es hier offenbar kein friedliches „Zusammenleben“. Da fängt in meinem Kopf sofort ein mentales Maschinengewehr an, mich mit Fragen zu befeuern: Wer hat das Recht, über einen Körper zu bestimmen? Was genau macht ein Leben aus? („Lebt“ eine Seele, solange sie sich nicht in einem fremden Körper festsetzt? Und kann man Melanie noch als „Lebende“ bezeichnen, obwohl sie keine Kontrolle über ihren Körper mehr besitzt?) Welche Verantwortung habe ich in einer Situation, die ich nicht geplant habe, aus der ich aber meine Vorteile ziehe – und die gleichzeitig andere benachteiligt? Mit keiner dieser Fragen setzt sich Wanderer auch nur ansatzweise auseinander. Stattdessen sehen wir einen nahtlosen Übergang vom hörigen Rädchen im Seelengetriebe („Hilf uns dabei, die letzten noch aufmüpfigen Menschen zu fangen!“) zur völlig ungeklärten Vergeschwisterung mit denselben Menschen, die eben noch als Gejagte dastanden, hauptsächlich auf Grundlage der schon erwähnten weiblichen Klischee-Rollenmuster.
2) Überhaupt, diese schnelle Assimilation ans Menschsein… Da es sich bei Wanderer um ein Wesen von einem anderen Planeten mit keinerlei Ähnlichkeit zur irdischen Biologie handelt, habe ich es bisher möglichst vermieden, mich in meiner Sprache für ein Geschlecht zu entscheiden. Anders die Menschen im Film: Wanderer manifestiert sich in Melanies Körper, Melanie gilt als Frau, ergo ist auch Wanderer („Wanda“) eine Frau. Dass sich angesichts der lebensbedrohlichen Lage, in der sich alle permanent befinden, niemand bemüßigt sieht, über menschliche Geschlechtskategorien zu philosophieren (die seltsamerweise selbst Tiere einschließen, denen wir in der Regel nicht auf den ersten Blick ansehen, welche Art von Genitalien sie mit sich herumtragen, und, wenn wir eine Sprache wie Deutsch verwenden, sogar unbelebte Gegenstände wie Tische und Lampen), sehe ich irgendwie ein. Dass es aber nicht einmal jemandem auffällt, dass Wanderer offensichtlich nicht nahtlos in das zweigeschlechtliche Schema passt, mit dem wir uns im Alltag gerne abfinden, ist doch enttäuschend.
3) Wo wir gerade beim systematischen Geschlechterrollen-Casting sind: das Häuflein Menschen, bei dem Wanderer/Melanie Unterschlupf finden, setzt sich offensichtlich aus einer bunten Mischung Verwandter und Nichtverwandter zusammen, deren bisheriges Leben völlig zusammengebrochen ist. Um unter den neuen Umständen zu überleben, müssen sie sich einiges an revolutionären Ideen einfallen lassen, und flexibel mit dem umgehen, was ihnen an Ressourcen geblieben ist (etwa Getreide in einer Höhle heranzüchten, indem sie Sonnenlicht hineinleiten). Was für eine einmalige Gelegenheit, um Prozesse von Zusammenarbeit und Führung, Anpassung und Kreativität in Gruppen darzustellen! Im meyerschen Universum allerdings wird uns so etwas nicht zugemutet. Die Gesellschaft mag zerschlagen sein, die Mikro-Gesellschaft hat trotzdem ihren bärtigen Patriarchen, der unhinterfragt die Gruppe führt, und ihre vertraute Arbeitsteilung zwischen waffentragenden Kerlen und kochenden, körbetragenden Heimchen.
4) Wo die Rollen so klar verteilt sind, ist auch vorhersehbar, dass die Prinzessin am Ende ihren Prinzen bekommt. Dagegen ist im Prinzip nichts einzuwenden – Liebe ist ja, wie man hört, eine grandiose Sache. Dass ihr Zustandekommen ein bisschen mehr beinhaltet als ein paar verzückte Blicke und „Ach komm schon, auch wenn du dich wehrst, ich weiß, dass du es willst“-Küsse, scheint dem Drehbuch leider entgangen zu sein. Dabei gibt es sich selbst mindestens eine exzellente Steilvorlage: Als nämlich Wanderer die Frage aufwirft, ob es nicht eigentlich Melanies Körper ist, den Ian begehrt, anstatt der ohne menschlichen Körper schwer als Lebewesen zu identifizierenden Seele. Leider wird diese Frage auf der Stelle unkommentiert wieder fallen gelassen – und ward nie mehr gesehen. Verpasst die Chance nach der Frage: Was ist Liebe? Wie groß ist die Rolle, die der Körper für sie spielt? Und wenn Ian Wanderer problemlos in Gestalt der toten jungen Frau lieben kann, deren Körper die Seele am Ende des Films übernimmt – hätte das dann auch geklappt, wenn statt ihrer ein junger Mann als Wirt zur Verfügung gestanden hätte? Eine alte Frau? Ein alter Mann? Warum? Warum nicht?
Alles in allem: ein enttäuschender Film. Er hätte das Potential gehabt, Dinge wie Geschlechterrollenklischees, gesellschaftliche Organisation, moralische Verpflichtung, freien Willen, gesellschaftlich akzeptierte (oder auch nicht akzeptierte) Beziehungsmuster, usw. publikumswirksam zu thematisieren. Stattdessen wird Liebe einmal mehr gleichgesetzt mit heterosexueller Pärchenbildung, menschlicher Zusammenhalt mit patriarchalen Familienvorstellungen und weiblicher Heroismus mit selbstverachtender Aufopferungsbereitschaft.
Autorin / Autor: pfefferminztea; - Stand: 28. Mai 2013