Snow White & the Huntsman
In schwarze Wolken aufstiebende Krähen, diesig-gräuliche Wälder, zersplitternde Spiegel, Gesichter voller Angst, Wahnsinn und Entschlossenheit
“Ich gebe dieser erbärmlichen Welt die Königin, die sie verdient.”
Grausam, machthungrig und dem Schönheitswahn verfallen war Schneewittchens Stiefmutter schon immer. Nur glich ihre Psyche bisher einer glatten Fläche, die die Bösartigkeit bloß widerspiegelte. In “Snow White & the Huntsman” dagegen wird man in eine dreidimensionale Form mit doppeltem Boden hinein gezogen, die dem Zuschauer wahre seelische Abgründe vor Augen führt.
Genau diese Neufokussierung ist es, die die Märchenverfilmung so besonders macht. Wer hat nicht schon genug von schönen, reinen, gutherzigen und unschuldigen (gähn) Protagonisten, die auserkoren sind, die Welt von allem Übel zu befreien? Schnell ist man dagegen gefangen genommen von der Tyrannin Ravenna (Oscar-Preisträgerin Charlize Theron), in deren rotgeäderten Augen man immer wieder den Wahnsinn blitzen sieht. Ihre magischen Kräfte jedoch zehren an ihrer Schönheit und graben immer wieder tiefe Falten in ihr makelloses Gesicht, lassen ihre goldblonden Haare ergrauen. Um dem körperlichen Verfall entgegenzusteuern, dürstet es die Despotin nach jungen Mädchen, deren Schönheit ihr als Verjüngungselixier dient. Doch das hübscheste von allen (Kristen Stewart) nimmt Reißaus: Snow White, flüchtend in den Dunklen Wald.
“Alice im Wunderland”-Produzent Joe Roeth und Regisseur Rupert Sanders schaffen es, ein dunkles Schauermärchen par excellence auf die Leinwand zu bannen. Neben der Neuinterpretation des Märchenstoffes bietet der Film ausgefeilte Kampfszenen, eine überragende Optik und eine Spur von Liebesturteleien, die zugegeben in dem dürftigen Umfang etwas verwirren. Kristen Stewart kommt zwar nicht an die Leistung von Theron heran, aber das muss sie auch nicht. Immerhin haben ihre Haare, ihre Haut und ihre Lippen die richtige Farbe, und in ihren etwas starren Blicken lässt sich zuweilen doch etwas Sehnsucht und Angst herauslesen.
An manchen Stellen hätte die filmische Umsetzung allerdings etwas freier ausfallen können. Bei der Einführung der sieben Zwerge als ungehobelte Trunkenbolde etwa kippt die Atmosphäre des Films viel zu sehr ins Liebliche. Warum greift man auf aufgesetzte Witze und Blödeleien zurück, wo doch offensichtlich erfolgreich (!) versucht wurde, das ursprüngliche Märchen außen vor zu lassen? Selbst das Land der Feen mit den Hoppelhäschen und niedlichen Elfen möchte man, so lieblich es auch daherkommt, am liebsten verdorren sehen. Und die überflüssigen Ausstaffierungen nehmen kein Ende: Snow Whites Jugendfreund und wagemutiger Held Herzog William (Sam Claflin) bringt die Geschichte nicht voran, sondern bereichert die internationale Superstarriege allenfalls um ein weiteres hübsches Gesicht. Der “Huntsman” (Chris Hemsworth) hätte für einen richtigen Namen auch ruhig auf die Erwähnung im Filmtitel verzichten können; er kann zwar immerhin mit einer Hintergrundgeschichte und auch einiger Präsenz und Wichtigkeit aufwarten, bleibt aber trotzdem leb- und farblos. Wenn man denn der Annahme ist, dass ein Film dieser Größenordnung nicht auf stählerne Helden verzichten kann, dann sollten die doch etwas ausgereifter erscheinen.
Nichtsdestotrotz bietet das bildgewaltige Fantasymärchen “Snow White & the Huntsman” eine Atmosphäre, die sich gewaschen hat: In schwarze Wolken aufstiebende Krähen, diesig-gräuliche Wälder, zersplitternde Spiegel, Gesichter voller Angst, Wahnsinn und Entschlossenheit. Das funktioniert, und genau deswegen lohnt sich ein Kinobesuch.
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Autorin / Autor: Annika Willinger - Stand: 29. Mai 2012