Studienabbrüche in MINT-Fächern
Studie sieht Grund in schlechter werdender Betreuungsrelation an den Hochschulen
Studierende der MINT-Fächer brechen unverändert am häufigsten ihr Studium vorzeitig ab. Um das zu verhindern, ist es wichtig eine gute Betreuungsrelation an den Hochschulen herzustellen. Während sich das Betreuungsverhältnis an Fachhochschulen und Universitäten in den letzten Jahren trotz steigender Studierendenzahlen insgesamt kaum verändert hat, ist die Situation in den MINT-Fächern jedoch deutlich schlechter geworden. Das ist das Fazit einer im Dezember 2014 veröffentlichten Studie des Berliner Forschungsinstituts für Bildungs- und Sozialökonomie (FiBS). Dies untersuchte die Entwicklung der Betreuungsrelationen an den Universitäten und Fachhochschulen sowie in den einzelnen Fächergruppen von 2003 bis 2012. Während in diesem Zeitraum die Zahl der Studierenden in Deutschland um fast 30 Prozent gestiegen ist, hat sich das durchschnittliche Betreuungsverhältnis von Professoren und wissenschaftlichen Mitarbeitern zu Studierenden über alle Fächer und Hochschulen kaum verändert. Es fällt jedoch auf, wie ungünstig sich die Zahlen in den sogenannten MINT-Fächern (Mathematik, Informatik, Natur- und Technikwissenschaften) entwickelt haben. Gerade in den für den Wirtschaftsstandort Deutschland relevanten Ingenieur- und Naturwissenschaften haben sich die Relationen drastisch verschlechtert. Diese Entwicklung steht in Einklang mit den in den meisten Ländern gesunkenen Ausgaben je Studierenden, wie eine FiBS-Studie für die Konrad-Adenauer-Stiftung vor wenigen Monaten gezeigt hat.
Kamen im Jahr 2003 im Bundesdurchschnitt 15,6 Studierende der Ingenieurwissenschaften auf eine Wissenschaftlerstelle, waren es 2012 bereits 22,4; dies ist eine Steigerung um fast 50 Prozent. Ist der Anstieg bei den Fachhochschulen noch recht moderat (+3,1 Studierende je wissenschaftlicher Kraft), so muss die Entwicklung an den Universitäten fast schon als dramatisch bezeichnet werden: Statt 11,0 Studierende musste jeder Professor oder wissenschaftliche Mitarbeiter zuletzt 19,4 Studierende betreuen. Besonders gravierend sind die Veränderungen an den Universitäten in Nordrhein-Westfalen und Sachsen-Anhalt sowie an den Fachhochschulen in Bremen, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen: Hier musste jeder Wissenschaftler 2012 über zehn Studierende mehr betreuen als noch zehn Jahre zuvor.
Auch in Mathematik und den Naturwissenschaften hat sich die Betreuungsquote erheblich verschlechtert. Musste jede wissenschaftliche Kraft im Jahr 2003 noch 15 Studierende begleiten, sind es ein Jahrzehnt später schon über 17. Besonders stark ist der Anstieg in Hessen und Nordrhein-Westfalen. In Hessen stieg die Betreuungszahl von 14 auf 20, in Nordrhein-Westfalen von 18 auf über 23. Einen vergleichbaren Wert hat nur noch Sachsen-Anhalt, allerdings hat sich hier die Quote etwas verbessert.
In anderen Fachbereichen sind die Betreuungsquoten zwar höher, allerdings sind sie im bundesweiten Mittel zum Teil deutlich besser geworden. Dies gilt insbesondere für die Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften: Statt 34 Studierende muss jede wissenschaftliche Kraft nun nur noch 29 Studierende betreuen. In den Geistes- und Kulturwissenschaften hat sich die Relation leicht von 1:25 auf 1:24 verbessert. Diese Verbesserungen tragen wesentlich dazu bei, dass sich die durchschnittliche Betreuungsquote über alle Fachbereiche und Hochschulen in diesem Jahrzehnt nur von 15 auf 16 Studierende je Wissenschaftlerstelle erhöht hat.
Im Vergleich der Hochschultypen über diesen Zeitraum können die Fachhochschulen in Deutschland ein leicht verbessertes Betreuungsverhältnis vorweisen, während die Situation an den Universitäten etwas schlechter geworden ist. Bemerkenswert sind die überproportionalen Verbesserungen der Fachhochschulen in Brandenburg, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg; letztere ist allerdings vor allem auf die Einbeziehung der Berufsakademien in den Kreis der Hochschulen zurückzuführen. Gleichzeitig wird das wissenschaftliche Personal an den Fachhochschulen im Saarland und in Schleswig-Holstein sowie insbesondere in Hamburg seit 2003 immer stärker belastet. In der Freien und Hansestadt stieg die Zahl der Studierenden, die ein Professor oder Wissenschaftler betreut, bis zum Jahr 2012 um 9,3 auf 34 Studierende. An den Universitäten sind die durchschnittlichen Veränderungen fast durchgängig eher gering.
Auf der Ebene der Länder insgesamt zeigen sich deutliche Unterschiede. Lediglich in Bremen, Niedersachsen und Thüringen hat sich das Betreuungsangebot für die Studierenden verbessert. Vergleichsweise deutliche Erhöhungen der Studierendenzahlen je Wissenschaftlerstelle zeigen sich in Berlin und Hessen sowie im Saarland und in Sachsen-Anhalt; hier stieg die Zahl der zu betreuenden Studierenden bis 2012 jeweils um drei Personen; allerdings auf sehr unterschiedlichem Niveau. Während in Berlin nun jeder Wissenschaftler 17 Studierende zu betreuen hat, sind es in Hessen 19 und 13 bzw. 14 in den beiden anderen Ländern.
"Die gestiegenen Betreuungsrelationen in den MINT-Fächern könnten einer der Gründe für die hohen Studienabbruchquoten in den Ingenieur- und Naturwissenschaften sein," sagt Dr. Dieter Dohmen, der Direktor des Forschungsinstituts. "Dabei sind die Absolventen dieser Fachbereiche im Arbeitsmarkt zunehmend gefragt. Unsere Studien zeigen, dass Betreuungsrelationen wichtige Faktoren hinsichtlich der Entwicklung der Zahl der Studierenden in der Regelstudienzeit sowie der Absolventen sind."
"Betrachtet man diese Entwicklung an den Hochschulen, ist zwar nicht auszuschließen, dass die Lehrkapazitäten in den Ingenieurwissenschaften im Jahr 2003 unterausgelastet waren," meint der Bildungsökonom, "doch werfen die Zahlen die Frage auf, ob hier der Hochschulpakt eine unintendierte Nebenwirkung entfaltet hat. Während der Betrag von 26.000 Euro, der über den Hochschulpakt je zusätzlichen Studienanfänger an die Hochschulen gezahlt wird, ausreichend hoch ist, um zusätzliche Lehrkapazitäten in den Geistes- und Sozialwissenschaften zu schaffen, reicht er für die MINT-Fächer nicht aus. Für den neuen Hochschulpakt bedeutet dies, dass die Zuwendungen, die die Hochschulen für Studienanfänger erhalten, nach Studienfach differenziert werden sollten. Schließlich sind gute Betreuungsrelation ein wichtiger Faktor zur Verringerung der sehr hohen Studienabbrecherquoten gerade in diesen Fächern."
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