Tibor und ich
Autor: Stefan Müller
Jan ist fünfzehn als er den gleichaltrigen Tibor kennenlernt. Den unnahbaren Nachbarsjungen, der mit seinen Eltern in die freistehende Wohnung ihres Hauses einzieht. Tibor lehrt Jan, einen Zugang zur Literatur zu finden. Sie fühlen sich nah und durchleben einen durch und durch perfekten Sommer. Mit dem Winter bricht allmählich auch eine Wende in ihrem Leben ein. Beide verlieben sich in dasselbe Mädchen und sie merken schnell, dass einer sie auch tatsächlich bekommt.
*Meine Meinung*
Ich habe noch nie ein Buch gelesen, dessen Idee so schön, die Umsetzung aber so formvollendet verhunzt war. Ein Roman über eine tiefgehende Freundschaft und die Liebe zum geschrieben Wort. Das müsste für jeden Bücherwurm ziemlich perfekt sein. Dieses "Müssen" ist blöderweise keine Garantie. “Tibor und ich” wird aus der Ich-Perspektive Jans erzählt; ein Teenager und Außenseiter, ebenso wie der neue Nachbarsjunge Tibor.
Wie kann man nur so viele Worte verwenden und sich dabei dermaßen “totschreiben”? Ihr wisst es nicht? - Nun, ich auch nicht. Aber beispielsweise solche sinnlosen Fragen hat der Protagonist ständig gestellt. Nur begannen sie meistens so: “Kennt ihr das:”, S. 116. Nein, ich kenne das nicht!
Rhetorische Fragen sind tödlich, weil sie andeuten, man wüsste etwas, ohne dass man sagt, WAS man eigentlich weiß, predigt meine Englischlehrerin schon lange. Ich habe ihr nie geglaubt, doch “Tibor und ich” lehrte mich, dass es stimmt. Ständig werde ich als Leserin gefragt, ob ich dieses oder jenes Gefühl kenne und dieses und jenes schon gespürt hätte?
- Nein, habe ich jedes Mal gedacht. Ich war noch nie männlich, und ich finde die Vergleiche nicht ansprechend. Ich fühlte mich von – meistens – unverständlichen Metaphern und Allegorien erschlagen.
Der nächste Stolperstein ist die Erzählweise. Das Verhältnis aus Beschreibung und Erzählung versus direkter Rede macht ca. 90 zu 10 Prozent aus. Zu dieser Verteilung muss ich wohl nichts mehr hinzufügen. Endloses Sinnieren über Freundschaft, das Erwachsenwerden, welches Ereignis der Grundstein für den nächsten “Grundstein” gewesen ist, welche (oh tiefen Facetten) jener Moment der Freundschaft besessen hätte, wie alles zum anderen führte und sich dann in Scherben zersplitterte, ist zu viel. Ich selbst neige zur Pathetik, doch Stefan Müller hat sogar meine Schmerzgrenze ausgereizt und gesprengt. “Tibor und ich” wirkt auf mich wie eine autobiografische Reflexion eines Erwachsenen mit seiner eigenen Jugendzeit, in der man selbstredend über Gott und die Welt nachdenkt. In diesem Stil würde ich höchstens in mein Tagebuch schreiben, da es ein Lesepublikum wohl kaum ansprechen wird. Eventuell mögen andere LeserInnen Zwischentöne oder feine Schwingungen beim Lesen wahrnehmen oder irgendwo eine Kostbarkeit registrieren, die mir komplett verschlossen blieben.
“Tibor und ich” ist vielmehr ein Buch, das mir von nun an zuruft, so schnell wegzulaufen, wie es mir möglich ist, denn ich habe keinen Bedarf, es noch einmal zu lesen, weiterzuempfehlen oder noch irgendeinen Gedanken daran zu “verschwenden”.
*Mein Fazit*
“Tibor und ich” ist eines der wenigen Bücher, das für mich ein Buch mit sieben Siegeln bleibt. Ich honoriere die Arbeit des Autors, doch wie er seine Gedanken umsetzte empfinde ich als schlecht und sehr unzureichend. Die Spannung gleicht einer Wüste, Höhepunkte mögen einer Fata Morgana ähneln, und die Figur Tibor stellt gelegentlich die letzten Wassertropfen in der Dürre dar, die allzuschnell verdunsten. (Ob es am Namen selbst liegt?) Für mich keine Empfehlung. Ich hoffe, dass diejenigen, die es trotzdem wagen, für ihren Mut belohnt werden und glücklicher mit Stefan Müllers Roman werden.
*Erschienen bei: herzklopfen und so*
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Autorin / Autor: charlielou - Stand: 10. Mai 2013