Drei Betten in einem in sterilem Weiß gehaltenen Raum. An der einen Wand zwei Fernsehgeräte. An der anderen einige trostlos wirkende Bilder. Neben den Betten jeweils ein Dialysegerät. Es riecht nach Desinfektionsmitteln und Kaffee. Keine besonders gute Kombination. Die KfH (Kuratorium für Hämodialyse) in Köln Merheim besticht auf den ersten Blick also mit gar nichts. Um sieben Uhr morgens setzt jedoch hektisches Treiben auf der Station ein. Die erste Schicht beginnt. Fünfzehn Patienten dialysieren ab jetzt zwischen vier und fünf Stunden. Unter ihnen Frau Sabine Müller. Gut gelaunt wiegt sie sich erst und lässt sich dann an die Dialyse anschließen. Kaum, dass alle Patienten an die Maschinen angelegt wurden, die ab jetzt die nicht mehr vorhandene Funktion der eigenen Nieren übernehmen, piepst es von überall her. Ein unangenehmer durchdringender Ton signalisiert penetrant, dass eine Einstellung am Gerät geändert werden muss. Kaum nimmt sich eine Schwester einer der Maschinen an, macht sich ein anderes Gerät bemerkbar. Frau Müller, von dem regen Treiben auf der Station relativ unbeeindruckt, sitzt im Bett und hält ein Buch in der Hand. „Ich höre das alles schon gar nicht mehr“, sagt die vierundfünfzig jährige pensionierte Oberstudienrätin. Nachdem sie zwanzig Jahre an einem Kölner Berufskolleg Englisch und Spanisch unterrichtete, dialysiert sie nun seit 2005 an der KfH. Auf die Frage, wie es denn gewesen sei, von heute auf morgen aus dem gewohnten Leben herausgerissen zu werden antwortet sie nun ernster: „Am Anfang war es schlimm. Ich war gerne berufstätig.“ Nachdem bei ihr vor fünf Jahren ein vollständiges Nierenversagen einsetzte, war an die alte Beschäftigung nicht mehr zu denken. Seitdem verbringt die zuvor voll berufstätige Lehrerin drei Tage der Woche an der Dialyse. Besonders die Anfangszeit stellte die allein erziehende Frau und ihre beiden Töchter vor große Probleme. Der Zugang im Arm, den jeder Patient benötigt, um punktiert werden zu können verstopfte bei ihr immer wieder. Wie sich bald herausstellte, war der Grund dafür eine Blutgerinnungsstörung, an der Frau Müller litt. Weil der so genannte Shunt ständig durch verklumptes Blut verstopft wurde, musste Frau Müller innerhalb von zwei Jahren elf Mal operiert werden. „Besonders für meine damals elf und sechzehn jährigen Töchter war das schwer. Auf einmal musste ja alles ohne mich funktionieren“, erzählt sie. Gerade in dieser Zeit empfand sich die Pensionärin oft als Belastung für ihre Familie. „Ich glaube, ich habe nie mehr so deutlich gefühlt, dass ich krank bin, wie in dieser Zeit“, erklärt Frau Müller, die sonst nicht oft an ihre Erkrankung denkt. „Was sollte das auch bringen“, fügt sie an. Schließlich würde die ständige Beschäftigung mit der Krankheit die Situation auch nicht ändern.
Etwas traurig klingt Frau Müller nur, wenn sie darüber spricht, was sich mit dem Nierenversagen für sie alles verändert hat. In erster Linie belastet sie die ständige Müdigkeit, die durch ihren oft zu niedrigen Blutdruck entsteht und wohl auf die Dialyse zurückzuführen ist. „Ich schaffe einfach nicht mehr so viel“, sagt sie. Einkaufen, waschen, putzen und kochen an einem Tag überanstrengen die vierundfünfzig jährige. Sie erzählt, dass sie oft nach dem Einkaufen schon so erschöpft ist, dass sie sich ausruhen muss. Andererseits lerne man aber auch gerade durch die gegebenen Umstände, die Zeit die man hat, mehr zu schätzen, betont sie. Während es ihr früher wichtiger war, dass der Haushalt gemacht wird, geht sie heute an ihren Dialyse freien Tagen lieber einmal mit ihren Töchtern in die Stadt. „Der Haushalt ist mir zwar nicht egal, aber es gibt jetzt eben wichtigere Dinge.“, erzählt sie.
Auf die Frage, ob sie sich transplantieren lassen will, antwortet Frau Müller mit einem entschiedenen Ja. Im Moment steht sie zwar nicht auf der Transplantationsliste, da ihre jüngere Tochter gerade auf ihr Abitur zugeht und sie den Zeitpunkt einfach für ungünstig hält. Im nächsten Jahr will sie sich aber wieder auf die Liste setzen lassen. Die Frage, ob sie Angst vor einer Transplantation habe, quittiert sie mit einem Lächeln. „Was soll schon passieren?“, fragt sie Schulter zuckend. „Im schlimmsten Fall lande ich wieder hier.“ Sie gibt an, dass man zwar immer Angst vor einer Operation habe, aber die Chance, eine bessere Lebensqualität zu erlangen, wolle sie auf jeden Fall nutzen. Ob sie nach einer erfolgreichen Transplantation wieder in ihrem alten Beruf arbeiten möchte, weiß sie jedoch noch nicht. „Ich bin da jetzt schon so viele Jahre raus“, sagt sie. Außerdem sei sie ja nicht mehr „die Jüngste“ und vielleicht schon über sechzig, bis sie das neue Organ habe. Momentan arbeitet Frau Müller an ihren Dialyse freien Tagen an einem Nachhilfeinstitut. Dort gefiele es ihr gut erzählt sie. „So habe ich wenigstens das Gefühl, etwas zu machen.“
Nach fünf Stunden relativer Ruhe setzt wieder hektisches Treiben auf der Station ein. Die Patienten beenden ihre Behandlung. Frau Müller wird von der Dialyse abgemacht. Noch einmal wird ihr Blutdruck gemessen. Zu niedrig. „So ist das eben“, sagt sie und wirkt nun doch etwas erschöpft. Auf die Frage, ob sie die Dialyse eher als Störung ihres Lebens oder als Hilfe empfindet antwortet sie lachend: „Als störende Hilfe würde ich sagen. Uns verbindet eine Art Hassliebe. Ich will sie nicht, brauche sie aber. Denn ich will leben. Und ohne Dialyse geht das nun mal nicht.“ Bei einem letzten Blick in das Behandlungszimmer fällt schließlich auf, dass sich der eingangs beschriebene Eindruck völlig verändert hat. Der Raum wirkt nun nicht mehr steril. Vielmehr stellt sich jetzt das Gefühl ein, dass hier Menschen geholfen wird. In welcher Farbe das Zimmer dabei gehalten wird, ist auf einmal völlig nebensächlich. Auch die Fernsehgeräte und Bilder bekommen eine andere Bedeutung. Sie wirken nicht mehr trostlos, sondern bieten dem Patienten eher eine Ablenkung als Entschädigung dafür, dass er hier sein müssen. Und schließlich der Geruch. Er hat nichts Unangenehmes mehr. Das Desinfektionsmittel ist nötig und der Kaffee eine Aufmerksamkeit für die Patienten. „Eigentlich ist es nichts Schlimmes“, sagt Frau Müller beim Verlassen des Gebäudes. „Man gewöhnt sich eben an alles!“
Autorin / Autor: Anika Krüger - Stand: 18. August 2011