Einsendung zum Schreibwettbewerb "Eine angelehnte Tür" von Beltz & Gelberg und LizzyNet
„Sie fragen mich etwas über Türen?
Ganz ehrlich, ich habe mit Türen nichts am Hut. Man benutzt sie, um einen Raum zu betreten, und schließt sie, wenn man ungestört sein will, so viel kann ich Ihnen sagen.
In meiner Wohnung gibt es eine Menge Türen, so viele wie Zimmer und ein bisschen mehr. Aber wirklich, ich kümmere mich nicht um sie. Sie sind einfach da. Warum wollen Sie denn nicht locker lassen? Türen? Wirklich?
Nun gut, ich kenne da jemanden, der sich mit Türen beschäftigt, tagein, tagaus. Er ölt sie nicht, nein, lassen Sie mich gefälligst ausreden!
Er ölt sie nicht, er öffnet sie.
Und schließt sie wieder.
Ja genau, ein Türsteher ist er.
Er wohnt in meinem Haus, glaube ich, weil er auch spät nachts noch die Türen für Menschen öffnet, die – nun, ich will nicht reicher sagen, das klingt gleich wieder so materialistisch,
sagen wir, er öffnet die Türen für Menschen, die sozial besser gestellt sind als er.
Seinen Namen weiß ich leider nicht, nein. Aber ich bin mir fast sicher, dass er Franzose ist, also muss er Jean oder Jacques oder Pierre heißen; alle Franzosen heißen so.
Jedenfalls ist er ein sehr höflicher Mann, wirklich, sagt immer bitte und danke und kann ich Ihnen helfen und so, und gut sieht er eigentlich auch aus. Wie alt? Ungefähr in meinem Alter, würde ich sagen. So um die zwanzig.
Manchmal unterhalte ich mich mit ihm, es ist nett, mit jemandem zu plaudern, wenn man so ganz alleine wohnt, und er ist wirklich eine tolle Gesellschaft. Aber seinen Namen weiß ich trotzdem nicht. Ich meine, eine geistliche Beziehung kann doch nicht von etwas so schnödem wie einem Namen abhängig gemacht werden, oder?
Wieso gucken Sie denn so komisch? Oh. Habe ich Beziehung gesagt?
Das muss für Sie wie das Klischee schlechthin klingen, das brave Mädchen aus gutem Hause verliebt sich in den Dienstboten.. – Moment, wer hat hier von Verlieben gesprochen? Doch nicht etwa ich? Woher soll ich denn wissen, was Liebe ist, bitteschön? Können Sie mir das sagen?
Oh, bitte, kommen Sie mir nicht mit so einer Antwort, die man in jedem zweiten Hochglanzmagazin abgedruckt sieht. Wahrscheinlich schreiben Sie diese Artikel, nicht wahr? So als Journalist?
Wie dem auch sei, einmal Abends auf dem Weg in meine Wohnung bin ich an einem Appartement vorbeigelaufen, dessen Tür bloß angelehnt war. Sie stand einen Spalt offen, und einerseits war ich empört – was denkt der Besitzer sich eigentlich, dass Nachbarn unbedingt seine seltsame Musik mit anhören wollen? Andererseits winkte mir die Neugier zu, und ich muss sagen, ja, ich bin schon neugierig, was Türen und Wohnungen betrifft.
Also ging ich näher zu der Tür hin, um den Bewohner dieses Apartments zu bitten, seine Türe doch zu schließen, als ich durch ebendiese den französischen Türsteher sah.
Er schrieb in ein Adressbuch, und ich dachte mir, das muss Schicksal sein! Dass ich ihn ausgerechnet näher kennen sollten wegen eines Bestandteils seines Berufs, Ironie des Schicksals, tatsächlich.
Also trat ich noch näher, sodass ich die Musik besser hören konnte, und klopfte einmal kurz an die Tür.
Der junge Mann machte die Tür ganz auf und sah mich verwirrt an.
Ich habe gelächelt, weil ich nicht wusste, was ich sagen wollte, und zu dem Zeitpunkt kam mir die Idee mit dem Schicksal auch wieder ganz wahnwitzig vor. Schicksal, das gibt es doch gar nicht, dachte ich mir, das ich doch bloß lächerliches Zeugs das sich ein Mensch irgendwann ausgedacht hat, um mit Horoskopen, die er an Zeitungen schickt, sein Geld zu verdienen.
Apropos, schreiben Sie Horoskope? Nein? Lesen Sie Ihre denn?
Ja, genauso halte ich das auch. Ernstnehmen, wenn einem gefällt was drin steht, so ist das in unserer heutigen Gesellschaft.
Man respektiert nur das, was einem gefällt.
Jetzt bin ich vom Thema abgekommen, nicht wahr? Ich bitte vielmals um Entschuldigung.
Der Mann bat mich also hinein in sein Apartment, drehte die Musik leiser – wofür ich ihm wirklich dankbar war, ich habe nichts gegen Französisch, aber diese Musik passte wirklich gar nicht in meinen Geschmack – und zeigte auf einen Stuhl, auf den ich mich setzen sollte.
Ich war schon etwas verblüfft, dass er mich gleich in seine Wohnung einlud – eine sehr kleine, unter uns gesagt – ich meine, natürlich, wir unterhalten uns manchmal, aber deswegen gleich jemanden zu sich einladen?
Obwohl ich ja auch, von der anderen Seite, irgendwie die Initiative ergriffen habe.
Und vielleicht liegt die Hemmschwelle bei Franzosen einfach niedriger. Was gucken Sie denn so? Okay, das klingt vielleicht ein bisschen diskriminierend, aber.. Lassen wir das.
Jedenfalls saß ich in dieser kleinen Wohnung bei diesem Franzosen dessen Namen ich nicht wusste und immer noch nicht weiß, und es breitete sich eine unangenehme Stille aus, auch, weil die Musik leiser war als vorhin, und naja, deswegen dachte, ich müsste irgendwas sagen, um diese Stille zu durchbrechen.
Also fragte ich ihn, was er in sein Adressbüchlein schrieb.
Eine dumme Frage, im Nachhinein, ja, ich gebe ihnen Recht. Was schreibt man in seine Adressbücher? Adressen, höchstwahrscheinlich. Ja. Das dachte ich mir auch. Aber er antwortete nicht mit Worten, er hielt mir das Buch hin. Also habe ich es ein bisschen durchgeblättert und war etwas überrascht darüber, was er aufschrieb, in sein Adressbüchlein.
Es waren Zitate.
Zuerst wusste ich nicht genau, was die Worte zu bedeuten hatten, ich wusste bloß, das sie etwas Wunderbares, etwas Schönes an sich hatten – fragen Sie mich bitte nicht danach, wie sie lauteten, was soll ich mir denn noch alles merken, bitteschön?
Aber dann kam ich zum F, zum Anfangsbuchstaben meines Namens, und erschrak ein bisschen.
Ich blickte auf, und der Franzose war nicht mehr da.
Also las ich wieder die Sätze, die er niedergeschrieben hatte.
Manchmal denke ich, irgendwo sitzt ein sadistischer Mensch und plant all die Missgeschicke, die mir geschehen. Er scheint sich köstlich zu amüsieren.
Der Satz stammte von mir, und ich hatte ihn einmal gesagt zum Türsteher, an einem regnerischen Nachmittag an dem ich im Foyer ausgerutscht war und alle Dinge aus meiner Handtasche sich wie von selbst im Raum verteilten, unter den missbilligenden Blicken älterer Mitbürger.
Ich hatte das gesagt, und anscheinend war diese Aussage dem Franzosen in Erinnerung geblieben; er muss irgendwas an ihr gefunden haben, irgendwas, das ihn dazu veranlasst hat, ihn in sein Adressbüchlein mit all diesen Zitaten talentierterer Menschen zu schreiben.
Er saß nicht mehr auf seinem Platz, und ich fühlte mich leicht taub und geschmeichelt, also klappte ich das Büchlein zu und verschwand aus seinem Apartment.
Ich glaube, das war das größte Kompliment, das mir je jemand gemacht hat.
So, das war etwas über Türen. Sind Sie zufrieden?
Ich müsste jetzt nämlich weiter. Ich habe Besorgungen zu machen.
Was? ... Ja, und vielleicht schaue ich später auch noch mal in meinem Haus nach, ob eine Tür vielleicht angelehnt ist.
Aber das geht Sie nichts an, würde ich sagen.“
Autorin / Autor: Carla, 14 Jahre - Stand: 14. Juni 2010