Die Tür zum Meer

Einsendung zum Schreibwettbewerb "Eine angelehnte Tür" von Beltz & Gelberg und LizzyNet

Die Regentropfen prasseln gegen das Fenster, der Wind heult ums Haus. Es ist dunkel in dem Zimmer, in dem Raphael sitzt. Nur ein heller Lichtstrahl fällt durch die angelehnte Tür.

Er geht zum Fenster, öffnet es und fühlt den Wind und den Regen, der innerhalb von Sekunden sein T-Shirt durchnässt. Vielleicht hätte er seinen schwarzen Mantel anlassen sollen, der im Nebenzimmer liegt, wie alle Dinge, die er mag. Er starrt hinaus auf die Felder. Weit in der Ferne stehen die ersten Häuser der Stadt, er hasst die Stadt.

Er denkt ans Meer. Könnte er nicht eigentlich dort sein? Müsste er nicht nur durch die angelehnte Tür gehen, um Sand unter den Füßen zu haben, den Sonnenschein und den Ostwind, der ihm Salzwassertröpfchen auf die Haut pusten würde, zu spüren und um die abertausenden von Möwen kreischen zu hören?

Er könnte Muscheln sammeln, und diese wunderschönen Schneckenhäuser, die ihm rauschende Geschichten vom Meer ins Ohr flüstern würden. Er könnte den Namen der schönsten Frau der Welt in den Sand schreiben.

Oder er bleibt einfach hier im Regen stehen, das nasse T-Shirt am schmächtigen Oberkörper klebend, und betrachtet die Stadt, die so weit fort von ihm vor sich hin lebt, wie ein großes Tier. Und die er hasst.

Er geht zurück zu seinem durchgesessenen Sessel.
Auf einmal riecht er Salz in der Luft und kann es nicht lassen. Er guckt zur Tür, schaut durch den Spalt.

Ich seh doch die Sehnsucht in seinen Augen. Warum kommt er nicht herüber, er muss mich doch sehen. Ich hab doch extra die größten Schneckenhäuser für ihn gesammelt, die ich finden konnte, und mit den schönsten Muscheln vom ganzen Strand hab ich seinen Namen in den Sand geschrieben.

„Raphael.“

Die schönste Frau der Welt flüstert seinen Namen, sie schaut ihn flehend an. Er geht zur Tür.
Der Duft nach Meer erschlägt ihn beinahe, doch er reißt sich zusammen, er will doch stark sein.

Er ist stark. Er schließt die Tür. Weiß, dass sie jetzt verschlossen bleiben wird.

Dann geht er zum Fenster, zieht sein  T-Shirt aus, lässt den Regen gegen seine nackte Brust peitschen. Und schreit.

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Autorin / Autor: Lotta, 16 Jahre - Stand: 15. Juni 2010