Träume, die nach Hause führen
Weihnachten in einem Zug verbringen?
Ein lautes Tuten ließ mich aus meinem tiefen Schlaf hochschrecken. „Alles einsteigen“, hörte ich eine Männerstimme rufen. Ein gellender Pfiff lies mich zusammenzucken, und ich bemerkte wie der Zug zur Fahrt anrollte. Mit ruckenden Bewegungen fuhr der Zug vorwärts. Ich lächelte. Noch zwei Stunden Zugfahrt und ich würde pünktlich zu Weihnachten meine Lieben wieder in die Arme schließen können. Ich schloss erneut die Augen, und obwohl ich mit größter Anstrengung versuchte, nicht einzuschlafen, versank ich schon nach wenigen Minuten in einen tiefen Traum.
Schneegestöber, wo man nur hinsah. Entsetzt schaute ich aus dem Fenster. Unser Zug steckte in den tosenden Schneewehen fest und konnte für den Moment nicht weiter fahren. Missmutig vergrub ich mein Gesicht in den Händen. Und ich hatte mich schon so auf den Tannenbaum, die leckeren Plätzchen und die vielen tollen Geschenke gefreut. Es war einfach unfair, mir so einen schönen Tag zu vermiesen! Auch die anderen Fahrgäste schauten traurig drein: einige telefonierten wild mit Freunden oder der Familie, andere lasen eine Zeitschrift. Keiner lachte oder freute sich, das heute der Tag war, an dem das Christkind geboren worden war.
Einzig allein die alte Dame, die mir schon seit der letzten Station gegenübersaß, trank genüsslich ihren Tee und plauderte mit ihrem kleinen Hund, der es sich auf ihrem Schoß gemütlich gemacht hatte. „Möchten Sie gern auch ein Tässchen, meine Liebe?“, fragte sie mich herzlich. Traurig schüttelte ich den Kopf. „Nein, danke.“ „Sie sind wohl sehr traurig, dass sie nicht rechtzeitig zu Weihnachten zu Hause sind?“ „Es war mein großer Wunsch, endlich wieder einmal bei meinen Eltern zu sein. Seit ich in Berlin studiere, war ich erst einmal zu Besuch zuhause. Ohne meine Eltern ist Weihnachten für mich nichts wert!“ Verständnisvoll nickte die alte Dame und kramte in ihrer Handtasche. Schließlich holte sie ein silbernes Feuerzeug und eine rote Kerze aus ihrer Tasche und drückte es mir sanft in die Hand. Der kleine Hund schaute mich neugierig an.
„Hier nehmen Sie das als kleine Aufmerksamkeit. Es soll ihnen den Weg nach Hause leuchten. Einst gehörte es meinem Mann. Er sagte, man müsse nur mit diesem Feuerzeug eine Kerze anzünden und leise einen Wunsch äußern, dann ginge dieser mit dem Zauberlicht in Erfüllung.“ „Eigentlich glaube ich nicht an solche Ding..“ „ Nun versuchen Sie es doch einmal.“ Um die alte Frau nicht zu kränken tat ich das, was sie mir eben noch gesagt hatte und dachte an meinen Wunsch. Nach einigen Minuten schaute ich auf, direkt in ihr altes, müdes Gesicht. „Sehen Sie, es ist nichts passiert!“ Doch kaum hatte ich meinen Satz beendet, wackelte der Zug, setzte sich in Bewegung und riss mich direkt aus meinen Träumen.
War das alles nur ein Traum gewesen? Mein Blick richtete sich auf den leeren Sitz mir gegenüber. Vor mir auf dem Tisch loderte die Kerze und leuchtete mir den Weg nach Hause.
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Autorin / Autor: ann-katrin - Stand: 27. November 2008