*Bevor ich mit meinem Text beginne, muss ich eine Trigger Warnung zum Thema Essstörung aussprechen. Wenn ihr selbst von diesem Thema betroffen seid und euch nicht stabil genug fühlt um meinen Text zu lesen, bitte achtet auf euch.*
Okay, gut. Hallo erstmal. Mein Name ist Sophie Scheffler, ich bin 17 Jahre alt und ich habe eine Essstörung. Und wisst ihr was, ich bin stolz darauf, das so offen zu sagen! Mich nicht zu beklagen und ehrlich zu sein, ohne zu denken, ich werde verurteilt.
Vielleicht werde ich verurteilt, doch das ist egal, denn ich bin noch da und das war nicht immer klar.
Meinen ersten Klinikaufenthalt hatte ich mit 13, damals war ich noch so naiv.
Hab nicht verstanden, was sie alle von mir wollten, Ärzte, Therapeuten? Ich war doch gesund!
Ach Mann, ich war so jung.
Danach war mein Leben ein Wechsel aus Hungern, Lügen, Weinen, Tricksen, Arztbesuchen und Fresubin trinken. Nach und nach nahm mir die Essstörung immer mehr. Sie nahm mir mein Lachen, meine Freunde, meine Spontanität, meine Träume, meine Freiheit, meine Einheit. Sie nahm mir mich selbst!
Die Essstörung wurde meine Identität. Das was ich konnte, was mir Sicherheit gab. Die Essstörung wurde wer ich war!
Dieser kurze Kick, wenn man es schaffte ne Mahlzeit auszulassen ohne dass es die Eltern bemerkten, das war in dieser Zeit alles, was mir Hoffnung gab.
Ich begann meine Beine zu hassen, sie zu verachten. Ich sah sie nur noch als Problem, wollte, dass sie weggehen. Ja es kamen sogar so Gedanken, ich würde lieber im Rollstuhl hocken, als es in diesen Beinen auszuhalten.
Und jedes Kompliment ehrlich gemeint, durch die Essstörung verneint. Dargestellt wurde es als Lüge oder so verdreht, dass ich es als Beleidigung anseh’.
Das alles war zwar schwer, doch es ging mir um mehr. Um dieses Gefühl, wenn man total ausgehungert ist. Das war irgendwie magisch! Dieses Gefühl hat mich
beschützt. Ich habe es geliebt, wenn ich mehr Tod war, als wirklich da.
Ich habe geweint und geschrien, wegen einer Mandarine. Meine Eltern gehasst, wenn sie mich zum Arzt schleppten, und konnte nicht sehen, wie sie mich eigentlich retteten.
Am 24.12.2019 war es dann so weit. Es eskalierte zuhause und ich kam in die Notaufnahme. Gut 2 Wochen später wurde ich in einer Fachklinik aufgenommen.
Doch es wurde nicht besser, also folgte: Intensivstation!
Ich habe im Jahr 2020 Acht Bluttransfusionen bekommen!
Acht Mal konnte ich ohne fremde Hilfe überhaupt nicht mehr überleben oder für mich selber sorgen! Ja, Störung der Selbstfürsorge, Ich finde das passt eher. Denn eigentlich hat diese Krankheit gar nichts mit Essen zu tun. Es ist so viel mehr.
Sie ist ein Zeichnen von absoluter Verzweiflung, ein Hilfeschrei. Bitte nehmt das ernst. Bitte versucht nicht, uns nur zum Essen zu zwingen und uns jeglichen Verstand abzuringen. So manipulativ und böse, wie die Essstörung nach außen hin scheint, so ist sie auch, aber nur aus einem Grund!
Und sie wird ihn nicht halten, ihren Mund! Wir müssen versuchen zuzuhören, was sie wirklich sagt, versteckt hinter Kalorien und Schritten. Wir müssen zwischen den Zeilen lesen, nur dann kann es Hoffnung geben.
Nach der Intensivstation folgten noch zahlreiche Klinikaufenthalte, Verlegungen und der Einzug in eine Wohngruppe. Dazu kamen noch die Diagnosen Zwangsstörung, Depressionen, und Traumafolgestörung.
Und heute stehe ich hier, nach 4 Jahren Krankheit, nach 6 Klinikaufenthalten und vielen Hoch und Tiefs und ich sage euch, wie am Anfang, heute bin ich froh, dass es mich noch gibt.
Es war ein weiter Weg bis hier hin, und es liegt auch noch ein weiter Weg vor mir.
Ich werde die Essstörung und die letzten 4 Jahre niemals vergessen, sie sind ein Teil von mir. Heute muss ich meine anderen Teile wieder finden. Diese Suche wird lange dauern. Vielleicht wird sie nie enden, doch ich bin lieber auf der Suche als im Grab.
Als kleines Mädchen erwartete ich so viel von der Welt. Ich sah sie in bunten Farben vor meinen Augen. Irgendwann musste ich erkenne, nicht alles ist bunt und leicht. Jedes Lachen hat seinen Preis und trotzdem ist es jedes Lachen wert, gelacht zu werden.
Unsere Welt hat Millionen Schattierungen, es gibt kein richtig oder falsch!
Ich bin ein Mädchen mit einer Essstörung. Aber ich bin nicht meine Essstörung. Lasst euch das von niemanden einreden, ihr seid so viel mehr als man von außen sieht!
Jeder auf der Welt trägt sein eigenes Päckchen.
Darum möchte ich euch bitten, gebt aufeinander acht, passt auf, dass ihr euch gegenseitig nicht kaputt macht.
An alle da draußen mit Essstörung oder ohne: Es lohnt sich, dem Leben eine Chance zu geben, es wenigstens zu versuchen.
Es lohnt sich, weiterzumachen, auch wenn die Zukunft ungewiss scheint.
Die Essstörungs-Recovery ist für mich ein bisschen so wie die Metamorphose eines Schmetterlings: Da ist eine zerbrechliche Raupe, scheint so hilflos in der Welt. Doch sie trotz allen Gefahren und kritischen Phasen. Und eines Tages kommt der Moment, an dem sie sich verpuppt und zum Schmetterling wird.
Aus unserer Raupe ist ein Schmetterling geworden. Auch für ihn wird es Regentage geben, doch an jedem Tag, an dem wir ihn sehen, sehen wir das Glück uns winken. Und auch wenn dieses Glück nur kurz und vergänglich ist, ist es doch gerade wegen seiner Vergänglichkeit so wunderschön.
Herma Hesse schrieb einst, ein Schmetterling sei “ein perlmutterner Schauer, glitzert, flimmert, vergeht” und sei somit wie das Glück selbst, vergänglich.
Letztendlich ist all das Schöne, all das Lebendige, als das Magische vergänglich und auch unsre Leben werden vergehen!
Doch bis dahin möchte ich lernen zu fliegen!
So wie der kleine blaue Falter, selbst ein Zeichnen von Hoffnung, selbst ein Zeichen von Glück!
Wir alle sind wie Schmetterlinge!
Nutzt eure Flügel und entfliegt euren Grenzen.