Um ehrlich zu sein: Das Schicksal, der Himmel, eine größere Macht, die Sterne, das ganze verdammt grosse Universum hat es noch nie gut gemeint mit mir. Wieso? Ich weiß es nicht. Es ist nur so, dass ich jedes Mal, wenn ich wieder etwas versucht habe, gescheitert bin, und zwar kläglich. Jahr für Jahr, Mal für Mal habe ich es wieder probiert, immer und immer wieder, bis ich aufgegeben habe. Seit ungefähr Anfang September diesen Jahres habe ich nicht mehr gelächelt, nichts mehr versucht. Nichts. Beziehungsweise nichts neues. Das bedeutet, ich schütte mir zwar noch täglich ein paar trockene, alte Cornflakes, die nach nichts schmecken, in eine Schüssel, und kippe dann ein paar Tropfen Milch darauf, aber ich kaufe nie die besseren, nach Schokolade und Sommer schmeckenden. So ist es einfach. Und jetzt nicht denken, ich hasse das Universum, will euch dagegen aufbringen. Ich meine, ich verstehe es ja. Schlussendlich sind wir Menschen auch nur wichtigtuerische, erfolgslose Parasiten, die versuchen, einen winzigen Planeten instand zu halten. Warum sollte dann auch noch jedes einzelne Leben perfekt sein? Wir alle sind so unwichtig, so nichts im Vergleich zu der unausprechbaren Größe des Universums. All unsere Ziele, Gedanken, Träume, Wünsche, Hoffnungen, Leben bedeuten letztendlich und im Endeffekt nichts. Vielleicht werden mich jetzt alle empört anglotzen, ungläubig und sich einredend, ich sei nur ein weiterer Psychopath auf dieser Erde, aber ich weiss, dass ich die Wahrheit sage. Denkt noch mal drüber nach, ja?
Im Moment stehe ich übrigens an einer Bushaltestelle, beziehungsweise unter einer Bushaltestelle, denn es regnet, gießt, schüttet richtig, und ich bin mir ziemlich sicher, dass eine Minute da draussen ausserhalb der dreckig beschmierten Glasscheibe, im strömenden Regen, meinen tragischen Tod bedeuten würde. Irgendwie bin ich ziemlich empfindlich gegen Regen. Und nein, ich zähle jetzt nicht jeden der bescheuerten Katzen-Regen-Sprüche auf, die ich im Laufe meines kurzen, tragischen Lebens ertragen musste. Nur, weil sich alles an mir sträubt, wenn es regnet, bedeutet das noch lange nicht, dass ich im Dunkeln sehen kann und ausserdem immer auf den Beinen lande, egal, wo ich runterfalle. Wie ich schon öfters hörte: „Das Ziel des Lebens ist es nicht, nie hinzufallen, sondern, sich immer wieder aufzurichten.“ Klar, dieses Zitat klingt schön und alles, aber ich könnte wetten, es stammt von so einem Menschen, der alles hat, das perfekte Leben und so, dessen Unfälle sowas sind, wie eine Tasche mit frischgekauften Orangen fallenzulassen. Die, nebenbei bemerkt, sofort von einem wunderbaren Menschen aufgehoben werden, der kurz darauf gemeinsam mit dem Orangen-Mensch vor dem Standesamt steht. Bei mir werden die Orangen einfach achtlos zertreten und ich zu Boden gerempelt.
Ehm, ja, wo blieb ich stehen? Ach jaaaaa, an der Bushaltestelle. Unter der Bushaltestelle. Meine Regenjacke: Zuhause. Mein Hoodie: Zuhause. Meine lange Hose: Zuhause. Meine Mütze: Zuhause. Meine gute Laune: So gut wie nicht existent. Meine Motivation: Existiert eventuell irgendwo in einem Paralleluniversum, in einer Parallelwelt.
Der Bus kommt. Fährt gemächlich vor, verströmt Wärme und Geborgenheit. Misstrauisch gehe ich darauf zu. Lausche dem zischenden Geräusch der sich öffnenden Tür. Steige ein.
Busfahrer: „Guten Tag.“
Ich: „Ich hatte erst wenige gute Tage, und dieser ist definitiv keiner davon.“
Busfahrer (irritiert): „Okay. Ihr Ticket bitte.“
Ich: „Ist es nicht seltsam, fünf Franken siebzig für eine Fahrt von weniger als zwanzig Minuten zu bezahlen?“
Stimme jemand anderes: „Es zieht! Fahren Sie weiter!“
Busfahrer: „Ticket.“
Ich: „…“
Busfahrer: „Bitte.“
Ich: „Leider habe ich noch keines gelöst. Kann ich eins kaufen?“
Busfahrer (genervt): „Hier bitte. Fünf siebzig.“
Ich: „Das Leben ist billiger als ein Busticket.“
Busfahrer: „Bezahlen Sie jetzt das Geld oder ich fahre ohne Sie.“
Ich: „Bitte sehr.“
Dann nehme ich mein Geldbeutel, der über fünfhundert Franken beinhaltet und setze mich auf einen leeren Zweiersitz. Die ganze Fahrt über höre ich zwei Teenies in meinem Alter zu, die über den bevorstehenden Herbstball tuscheln. Als gäbe es nicht wichtigeres.
Bei meiner Station steige ich aus und bin sofort wieder dem Regen ausgesetzt. Mit einem kurzen Griff in meine Jeans-Tasche bemerke ich, dass mein Geldbeutel verschwunden ist.
Zuhause angekommen lasse ich erstmals eine Standpauke über mich ergehen, weil ich a) zu spät und b) total nass bin. Das verlorene Geld erwähne ich mal besser nicht.
Mom: „Du bist zu spät.“
Ich: „Ich weiß.“
Mom: „Wieso?“
Ich: „Weil.“
Mom (erschöpft): „Was mache ich bloss aus dir?“
Ich: „Süss-Sauer-Eintopf.“
Mom: „Womit habe ich das verdient?“
Ich: „Mit deinem Gehalt?“
Mom: „Ausserdem bist du nass. Deine Schuhe sind zerstört.“
Ich: „Ja.“
Mom: „Fühlst du dich schuldig?“
Ich: „Ja, Kindergartenbetreuerin.“
Mom: „Deine Strafe wird schrecklich.“
Ich: „Okay.“
Mom: „Willst du sie nicht wissen?“
Ich: „Nein.“
Mom (ignoriert meine Antwort): „Einen Monat lang Hausarbeiten.“
Ich: „Okay.“
Mom: „Arrrrgh.“
Einige Tage später muss ich einkaufen gehen. Ironischerweise Orangen. Haha, Universum, du hast ja sooo einen guten Humor. Das Wetter schwankt zwischen mies und absolut unerträglich. Und ich kaufe Orangen.
Die Verkäuferin mustert mich skeptisch, als ich die Orangen auf die Kasse lege.
Verkäuferin: „Das macht sieben neunzig.“
Ich: „Hier.“
Verkäuferin: „Sie wissen schon, dass Orangen gerade so ziemlich das unsaisonalste sind, was Sie hier kaufen können?“
Ich: „Ja.“
Ich: „Sie wissen schon, dass Sie als Verkäuferin keine Waren schlechtmachen dürfen?“
Verkäuferin: „Alles andere darf ich nicht schlechtmachen, aber Orangen… ein absolutes No-Go.“
Ich: „Okay.“
Damit verlasse ich den Laden. Mit einer Motivation die ziemlich stark unter Null ist, marschiere ich mit meiner Tasche voller frischgekauften Orangen in Richtung Fussgängerstreifen. Wäre ich so ein perfekter Mensch, gäbe es genau heute einen Rabatt auf Orangen, die Verkäuferin hätte Orangenrezepte mit mir ausgetauscht und wir wären beste Freundinnen geworden.
Erstaunlicherweise werde ich angerempelt und die Orangen rutschen aus meinen Händen. Wer hätte schon damit gerechnet? *Ironie*
Anrempler: „He, passen Sie auf.“
Und ich will heulen.
Als plötzlich zwei Schuhe neben mir stehen bleiben und Hände die Orangen auflesen, sorgfältig und behutsam.
„Hier, bitte.“ Die Orangen landen wieder in meiner Tasche.
Fassungslos sehe ich auf. „Danke.“
„Bitte.“
Ein warmes Lächeln, voller Freude, Zuneigung und Liebe sieht mich an.
Vielleicht ist das Universum doch nicht so asozial.
Und ich lächle strahlender zurück, als ich es jemals getan habe.