My own chapter

Wettbewerbsbeitrag von Romy Weber, 16 Jahre

Ich hatte das Gefühl, dass diese Generation die Liebe endgültig ruiniert hatte. Ich saß an einem Strand nahe Warnemünde, die stürmischen Wellen von kaltem Wasser türmten sich und gingen schäumend in der dunklen Tiefe unter. Vielleicht war auch die Liebe genauso unerforscht wie das Meer. Vielleicht waren wir auch zu jung, zu naiv für die Liebe. Vielleicht  scheiterte sie deshalb jedes Mal. Vor drei Tagen saß ich noch in einer 3-Zimmerwohnung alleine gelassen und unter Tränen, geschockt. Mit einem Gefühl von tausend Tritten in den Magen. Warum war die Liebe so verlockend? Warum war es so einfach, sich dieser hinzugeben, aber so schwer, sie loszulassen? Vielleicht ist es auch das, was wir nie verstehen werden. Wir hatten einander geschworen zu hassen, doch wussten wir beide, dass dies nur Worte des Zornes waren. Doch der Stolz und die Eitelkeit hatten es zerstört. Hätten wir nicht nur die Wut sprechen lassen, wäre es wohl anders ausgegangen. Dann hätte ich keine Wohnung mit zerteilten Möbeln verlassen. Doch die Wut war wohl gesprächiger als die Liebe. Es fällt einem einfacher zu sagen, was man hasst, als einem die wahren Gefühle zu offenbaren, die man empfand. Nur leider gab es für diese, keine umschreibenden Worte, die diese jemals hätten verfassen können.

Wir hatten uns geliebt. Zumindest hoffte ich das. Vielleicht war ich auch zu naiv. Aber der Gedanke, dass unsere Charaktere zu gleich waren und es deshalb auseinander ging, ist wohl ein schönerer Gedanke, als dass er sich hat wegtreiben lassen. Als hätte sein Schicksal mit jemand anderem begonnen. Ich konnte jedoch das Gefühl der Liebe nicht verdrängen, das ich noch immer verspürte. Ich musste mir mit stockendem Atem den unkontrollierbaren Wasserfall zurückhalten, der sich in meinen Augen sammelte. Ohne etwas zu sagen, hatten seine blauen Augen ein Versprechen abgelegt, das nur ich deuten konnte. Seine Blicke waren für mich immer so eindeutig gewesen. Vielleicht hatte ich mir dies auch nur erhofft oder gar eingebildet. Der Gedanke dass der Satz: Wir sind Seelenverwandte auch nur im Ansatz stimmt, hatte mich geblendet. Ich dachte, er wäre mein Frieden. Doch wir begannen nur Krieg. Selbst weise Worte hätten den Brand nicht gelöscht, der Tag ein Tag aus in der Wohnung gebrannt hatte und begann an uns zu zehren. Hätten wir öfter die weiße Fahne geschwungen. Hätten wir öfters die Waffen niedergelegt. Hätten wir öfter einander zugehört. Mein Herz krampfte und schmerzte bei dem Gedanken, dass ein weiterer Teil gegangen war.

Wir hatten uns schon früh verloren, doch niemand hatte es ausgesprochen. Wir hatten trotz allem für uns den Frieden erhofft, denn wir hatten ein gemeinsames Herz erschaffen, eine gemeinsame Seele. Wir hatten die Abende geliebt, in denen wir spazieren waren, wir haben die Horrorfilme verzehrt, die wir auf Netflix fanden. Wir hatten lauthals zur Musik im Radio gesungen, wenn wir Autobahn gefahren waren. Ich glaube, unsere Fahrer hätten uns in diesen Momenten am liebsten erschossen. Wir haben gemeinsam im Regen getanzt und waren danach mit kalten Füßen in die Wohnung getapst. Er war einst mein schweigsamer Zuhörer gewesen, seine Arme waren wie die schützenden Arme meines Vaters, als ich noch ein Kind gewesen war. Jedes Mal, wenn er an meiner Seite stand, war ich der Mensch, der ich mir immer gewünscht hatte, zu sein. Ich wusste nicht, ob ich das ohne ihn sein konnte. Ich wusste nicht, ob ich das ohne ihn sein wollte. Selbst in den Momenten, in denen wir schweigend voreinander saßen, hatten unsere Blicke auf die schönste Art und Weise, eine, die ich bis heute nicht verstehen werde, miteinander kommuniziert. Auch wenn ich der schweigsamere Mensch von uns beiden gewesen war. Ich hatte an ihn die Stille verloren. Ich habe in ihm meine Zukunft gesehen. Er war mein Licht. Doch nun tappte ich im Dunkeln. Ich versuchte, das Licht wiederzufinden. Es wird eine neue Herausforderung, der ich mich stellen müsste. Aber irgendwann werde ich es wieder finden. Diese Suche würde Jahre dauern, das war mir bereits klar, doch irgendwann. Vielleicht irgendwann. Doch die Dunkelheit war noch zu groß und meine Sicht auf eine friedvolle Zukunft noch zu klein. Meine frühere, unermessliche Kraft, war auf ihr Minimum gesunken. Ich fühlte mich schwach und hilflos. Ein grauenhaftes Gefühl. Meine Gedanken gingen zu vergangenen Bildern, die mein Herz früher haben Saltos schlagen lassen und den Käfig mit den Schmetterlingen aufgebrochen hatten. Sein lockiges Haar, welches einen Tanz mit dem Wind vollführte oder seine Augen, die das Meer spiegelten. Seine Hände, die hingegen zu meinen so riesig schienen, dass sie die Welt und die Zeit für einen Moment still halten konnten. Die mich über jedes Hindernis getragen hatten, bis hin zu einer Baustelle, die aufgrund von Zeit und Geduld nicht fertig gebaut wurde. Wir beide hatten so viel vom Meer geträumt. So viel von dieser unendlichen Weite, wir wollten segeln, wir wollten frei sein. Wir wollten die Welt sehen.

Doch jetzt saß ich hier und blickte auf die sogenannte Freiheit. Seine Worte hatten mich berührt, seine Fürsorglichkeit hatte mich verzehrt. Doch seine Taten hatte er nie bereut. In einem Moment hatten wir im Regen getanzt, jedoch im nächsten ließ er mich stehen. Meine Worte waren zu einem Flummi geworden, der an einer Wand abprallte und zu mir zurückkam. Seine Worte wurden zum Teufels Antlitz. Jedoch war wohl das schmerzhafteste an allem, die schnelle Akzeptanz, die ich für mein Leben brauchte. So schwer es mir auch fiel, durfte mein Leben jetzt nicht gefrieren, es musste weitergehen. Wie meine Mutter immer meinte, das Leben ist zu kurz für Trauer. Ich nahm mir ein Ticket und fuhr fort. Ich wollte nicht mehr in dieser Wohnung sitzen und hoffen, dass sich der Schlüssel noch einmal um sich selbst drehte und schwere Schritte hineintraten. Auch wenn ich mir damals noch still erhoffte, dass sein Duft die Wohnung benebelt und dies nur ein Kapitel war, welches sich mein Kopf ausdachte. Doch dem war nicht so. Ich wollte als ein anderer Mensch zurückkehren, ich wollte meinen Fokus auf mich legen, mich selbst lieben lernen und unabhängig werden. Es klang so einfach, doch ich wusste nicht, ob ich das je erreichen würde. Doch genau dieser Wunsch gab mir Hoffnung, auch wenn mein Kopf mit Vorwürfen meiner Selbst durchlöchert wurde, beschwichtigte mich mein Herz bereits, dass ich alles gegeben hatte, was ich konnte.

Wir hatten uns auseinander gelebt, wir gingen nun jeder einen anderen Weg, doch unsere gemeinsame Vergangenheit werden wir hoffentlich in guter Erinnerung behalten. Ich hoffte niemals zu hören, dass er die Vergangenheit verleugnete oder schlecht redete, denn das würde mich umso mehr verletzen. Denn schlussendlich waren wir aus Liebe zusammen gekommen, und musste man sich gleich hassen, wenn es zu Ende ging? War dies schon ein zu ende geschriebenes Kapitel, über das niemand weiter nachdenkt, da es wie ein Gesetz wirkt? Ich bin zwar gefallen, mir wurde der Boden weggezogen, aber ich schaffe den Weg auch alleine. Auch, wenn ich denke, dass ich nicht alleine bin. Es war an der Zeit, ein neues Kapitel zu schreiben. Ein Kapitel, über das ich hoffentlich irgendwann Worte verlieren kann ohne dabei zu weinen. Ich schaltete nach langer Zeit meinen Flugmodus aus. Es war an der Zeit, wieder ins Leben zurück zu finden. Es war an der Zeit, Normalität zu finden. Doch als ich merkte, welche Nachrichten empfangen wurden, lief es mir eisig den Rücken hinunter und mein Herz explodierte. Seine Nachricht ließ mich erschaudern. "Ich liebe dich“. Eine weitere Nachricht darunter von seiner Mutter: „er hatte einen Autounfall“.




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Am 27. November 2022 fand die Lesung zum Schreibwettbewerb VERWANDELBAR statt, bei der fünf der Gewinner:innen ihre wunderbaren Texte präsentierten. Moderiert wurde die Lesung durch den Autor Manfred Theisen, der auch Mitglied der Jury war.

Autorin / Autor: Romy Weber