„Du hast es geschafft.“, sagt er liebevoll, während ich zitternd, nackt und unter Tränen auf den kalten Fliesen meines Badezimmers hockte. Ich wusste, dass ich die schlimmste Zeit geschafft hatte, als ich meinen abgemagerten Körper langsam in das warme Wasser gleiten lasse. Eine liebevolle Hand auf meinem Rücken gibt mir Hoffnung, dass alles wieder gut wird. Aber nun erstmal von Anfang an…
Es ist der 22.09.1942 in Amsterdam, ein etwas windiger, aber trotzdem sonniger Tag. Ich war frische und junge 16 Jahre alt, hatte braunes, schulterlanges, lockiges Haar. Ich mochte es Kleider zu tragen, mich zu schminken und meine Haare zu frisieren. Ich liebte es zu schreiben, zu lesen und das Gefühl von Freiheit in meinen Haaren, wenn ich mit dem Fahrrad an den Grachten entlangfahre. Wir waren doch alle normale Menschen, mit Träumen und Gefühlen. Es hätte so schön sein können und das war es eigentlich auch, bis zu diesem Tag, als die Nazis meine Rechte und Ehre nahmen. An diesem windigen, sonnigen Tag ging ich unwissend zur Tür, als sie klingelte und öffnete diese. Ein Bote stand vor der Tür und drückte mir zwingend einen Brief in die Hand, ohne etwas zu sagen. Seinem Gesichtsausdruck zu urteilen, beinhaltet dieser eine schreckliche Nachricht. Nachdem ich in der Küche angekommen war, öffnete ich ihn. Die Nazis schickten mich zum arbeiten nach Deutschland. Eine Welt brach für mich zusammen. Es gab Gerüchte über diese Orte und sie waren so grausam und erschreckend, dass sie eigentlich nur Gerüchte sein konnten. Leute wurden gefoltert, erschossen und verwahrlost und grausam getötet.
Es gab keine andere Möglichkeit für mich, ich konnte mich nicht verstecken, also musste ich nach Deutschland. Der Abschied von meinen Eltern, Geschwistern und von meinen Freunden war grauenvoll. So fand ich mich also am kommenden Tag auf der genannten Adresse ein und wurde in einen vollen Zug gestopft. Das erste Lager war Westerbork, ein Durchgangslager. Ich war einen Monat dort und wurde dann wieder in einen vollen Zug gestopft. Es war schrecklich, ein Strudel, in dem ich gefangen war, als würde ich nie wieder hier rauskommen. Weinende, Verletzte, Tote, alle waren sie in diesem kleinen Wagon. Ausscheidungen tätigen wir in einen Eimer, der schon nach den ersten Stunden drohte zu überlaufen. Ich hatte einige Tage nichts gegessen als wir ankamen. Ein lichtüberfluteter Platz begrüßte mich, wenn auch nicht freundlich. Ich schaffte es, als arbeitsfähig eingestuft zu werden und konnte so dem Tod entgehen, ich sah ihm schon direkt in die Augen. Ich arbeitete bis zum Umfallen, schaute einige Male dem Sensenmann in die Augen, doch ich wollte leben. Ich musste leben, damit ich der Welt von diesem Grauen berichten kann. Die einzige Hoffnung, die ich hatte, war der Himmel. Immer wenn ich in das Blaue, Wolkige oder Schwarze sah, wusste ich, dass es besser werden wird, dass Gott nur zwinkert und wenn er die Augen öffnet, wird sich alles wieder zum Guten wenden. Ich wollte den Nazis, dem Bösen, zeigen, dass egal, was sie tun, sie mich niemals kaputt bekommen werden. Ich sah den Tod, ich spürte ihn, aber er bekam mich nicht.
Die Tage in diesen Lagern waren schwarz, seltener weiß, als hätte man die Farben gelöscht, nur meine Gedanken und meine Geschichten brachten Farbe herein. Ich wollte sie aufschreiben. Ich wollte nicht, wie tausende Menschen, namenlos sterben.
Ich schaffte es, ich überlebte und konnte es den Nazis so heimzahlen. Als ich endlich, nach drei Jahren wieder heimkam, wog ich so wenig, dass ich nicht mal wusste, wie ich überhaupt dahin kam und wer ich war. Ich realisierte erst, dass ich lebe, als ich das warme Wasser in der Wanne spürte, das langsam meinen eiskalten Körper und mein Herz erweichte. Ich war wieder ein Mensch.
Ich hatte es geschafft…