Es war auf einer Überfahrt von Beirut nach Italien, als das Schiff von Kapitän Blancco auf Abwege geriet. Neben seiner Mannschaft aus erfahren Matrosen und einer Lieferung von Gewürzen und Stoffen begleiteten Blancco zwei Gäste auf seinem Kahn. Da war einmal der jüdische Gelehrte Nathanael und zum anderen ein Prinz namens Manetho. Da geschah es aber, dass sie an einer unbekannten Insel vorbei kamen. Schon von weitem hörten sie Klänge, worauf sich die Matrosen die Ohren mit Wachs ausstopften. Der Kapitän wollte auch seine Gäste dazu bringen, doch sie weigerten sich und machten sich über den Aberglauben der Seeleute lustig. Es war ein fataler Fehler, denn das Schiff kam dem Gesang immer näher und bald zeigten sich wunderschöne Sirenen. Der liebliche Gesang zog die beiden Männer so in ihren Bann, dass sie alles andere auf der Welt vergaßen. Staunend bewunderten sie die Schönheit dieser anmutigen Wesen. Nie im Leben war ihnen eine Frau begegnet, die auch nur annäherungsweise so hübsch gewesen wäre. Sie waren so bezaubert, dass sie auf die Reling stiegen, um sich in die Flut zu werfen und zu den himmlischen Stimmen herüber zu schwimmen. Das Rufen des Kapitäns hörten sie nicht. Gerade als der Prinz springen wollte, traf ihn ein Brett hart am Kopf. Kurz darauf zog man Nathanael nach hinten. Dieser wehrte sich zwar mit Händen und Füßen, doch es gelang der Mannschaft ihn zu fesseln. Auch Manetho, der von dem Schlag das Bewusstsein verloren hatte, banden sie zur Sicherheit fest. Nathanael würde nie vergessen, wie sehr er unter dieser Folter litt. Die Stimme zu hören, aber nicht hin zu können, war eine bestialische Qual. Und doch hätte er für kein Geld der Welt mit dem bewusstlosen Prinzen tauschen wollen, verpasste dieser doch den herrlichen Gesang.
Dieses Erlebnis prägte die beiden Herren sehr. Sie konnten die Perfektion, der sie auf hoher See begegnet waren, einfach nicht vergessen. Und so rückten ihre früheren Ziele in den Hintergrund und sie stürzten sich rein auf ein Einziges: Die Schönheit der Sirenen wiederzuerlangen. Nathanael hatte sich vor allem in ihren Gesang verliebt.
Mein Geist war rein von Tugend,
Auf der Welt begehrt ich nichts.
Doch sang dieses mächtige Trugbild,
So unbeschreiblich lieblich für mich.
Und findet mein Herz keine Ruhe,
Nichteinmal in Sitte und Gebet,
Wie in einer verschlossenen Truhe,
Hör ich‘s doch kann‘s nicht verstehen.
Ich ging zu Konzerten und Opern
Und lauschte wohl tausend Stimmen
Ich reiste durch Welten sofern,
Und doch wollte kein Gesang stimmen.
Dann dacht‘ ich bei mir ‚Du Dummkopf,
Bist doch selbst der größte Geist,
Versink nicht mehr länger im Rumtopf,
Spiel selbst die Musikstücke ein.‘
Ich war begabt, so gut war keiner,
Und spielte bald jedes Instrument,
Doch nie war der Klang feiner,
Als in jenem wundersamen Moment.
So zerfraß mich kalt der Leib,
In der Suche nach Perfektion.
Egal wie oft der Bogen reibt,
Es bleibt der falsche Ton.
In dieser bitteren Not frage ich nur
Was bringt mir heut die Klaviatur.
Ich starre stumm aufs leere Blatt,
Dass mich immer nur enttäuschet hat.
Doch Prinz Manetho erging es nicht besser. Ihm hatte das wunderschöne Aussehen der Sirenen den Kopf verdreht. Und so suchte er wie im Wahn nach einer Möglichkeit, diesen Anblick wieder zu erlangen.
Tausend Frauen hab ich aufgesucht,
Doch keine war so schön wie ihr.
Die Erinnerung die ihr mir schuft,
Vernebelt jede Lust in mir.
Drum bleibt mir nichts, als euch zu malen,
Und meine Erinnerung zum Blatt zu tragen.
Aber mein Talent reicht so nicht aus,
Daher gebe ich nun alles andere auf.
Erfüllen will ich mich nur in der Kunst,
Such hektisch nach einer Leinwand,
Um zu spüren eure Gunst,
Im inneren meines Freiland.
Nicht Venus oder Aphrodite,
Nein nicht einmal die Nofretete
kann mich entzücken.
Keine Freude der Vergangenheit,
Kann mich von meinem Weg abrücken.
Ich schmeiß gern mein Königreich dahin,
Wenn ich dafür nur einmal mit euch bin.
In euren Armen liegt mein Heil,
Bietet ihr mir eure Liebe feil.
Doch bin ich noch zu weit entfernt,
Und male unterdessen.
Das alle Welt jauchzt vor der Schönheit,
Meiner Pinselstriche.
Doch ist die Szene auch Perfekt,
Das Modell kann es nicht sein.
Egal wie oft ich es ersetz,
Das Bild zeigt euch nie rein.
Ich bin vielleicht der größte Künstler,
Den die Welt zu bieten hat.
Doch nichts ist so schön wie euer Antlitz,
Nichts was mich ergriffen macht.
In diesen Qualen erwache ich,
Jeden Morgen geliebt von allen,
Im Spiegel betracht ich mich,
Was soll ich heute malen?
Die beiden so renommierten Männer wurden wahnsinnig und obwohl ihre Kunst von solcher Qualität war, dass es ihnen kein Zweiter hätte nachmachen können, waren sie unzufrieden, denn sie hatten die Perfektion gesehen und gehört und wussten, dass sie das erlebte nicht zurück holen konnten. So kam es nach einigen Jahren, dass sich die Beiden zusammen taten. Gemeinsam charterten sie ein kleines Schiff und beluden es mit ihren Habseligkeiten und einer großen Menge an Speisen. Damit stachen sie in See, um die Insel der Sirenen wiederzufinden. Sie segeltet Wochen, ohne ihr Ziel zu erreichen und wie das Schicksal spielte liefen sie eines Tages auf eine Steinbank auf. Ihr Schiff versank zwar nicht im Meer, aber es war schwer beschädigt, sodass es unmöglich war, damit weiter zu segeln. Daher stiegen Nathanael und Manetho von Bord und gingen auf die Steinbank, auf die sie nun auch ihre Vorräte verluden. Als die Tage dahin strichen, langweilten sich die Beiden und so begann Manetho zu malen und Nathanael zu musizieren. Er spielte ein eigens komponiertes Stück auf seiner Violine, während Manetho eine Staffelei aufbaute und darauf eine Leinwand bemalte. Da kam es dazu, dass Kapitän Blancco die Gewässer kreuzte. Er transportierte Stoffe und Gewürze von Beirut nach Italien. Schon von weitem hörte er den wunderschönen Klang. In weiser Voraussicht wies er seine Matrosen an, sich die Ohren mit Wachs auszustopfen. Auch zwei Gäste, die er bei sich hatte, versuchte er dazu zu drängen, doch sie wollten nicht hören. Als sie der Steinbank näherkamen, waren die beiden Gäste so verzaubert von dem himmlischen Klang, dass sie sich auf die Reling stellten. Als sie von dort das wunderschöne Gemälde eine Frau erblickten, verliebten sie sich in das Bild und die Melodie und wollten sich ins Wasser werfen, um herüber zu schwimmen. Blancco brauchte drei weitere Helfer, um sie festzuhalten und vor ihrem Verderben zu schützen. „Sirenen! Es sind Sirenen!“, schrie er, während er die beiden tobenden Männer an den Mast fesselte.