Es stimmt wirklich, dachte ich. Das verfluchte zweite Buch. Schon seit Wochen saß ich daran und überlegte. Geschrieben hatte ich noch keinen einzigen Satz, beziehungsweise hatte ich immer mal etwas geschrieben, es dann aber gleich wieder gelöscht. Weil es Blödsinn gewesen war. Oder weil ich zu verkopft an die ganze Sache herangegangen war.
„Willst du nicht langsam mal anfangen?“, fragte mein Gegenüber. „Na du bist mir ja eine tolle Hilfe“, schnauzte ich unfreundlicher zurück, als ich es eigentlich vorgehabt hatte. Mir gegenüber saß Kommissar Johannes Fabeck, der Hauptcharakter meines ersten Buches. Nun wollte ich einen zweiten Teil, noch besser, eine ganze Buchreihe aus dem Gotha-Krimi machen. Doch mir fiel absolut nichts ein. „Wolltest du nicht die nächste Leiche auf dem Boxberg platzieren?“, versuchte Fabeck nun erneut, mir zu helfen. Ich zuckte mit den Schultern: „Eigentlich schon. Aber wer soll es denn gewesen sein? Wie sollst du auf den Täter kommen?“ „Das ist doch nicht mein Problem, mir das auszudenken“, eiferte sich Fabeck, „ich muss es schließlich nur herausfinden. Aber fang doch einfach damit an, wie die Leiche gefunden wird.“ Etwas ratlos sah ich ihn an: „Vielleicht… vielleicht findest du sie selbst. Auf… einem Spaziergang?“ Er schnaubte: „Als ob ich spazieren gehen würde.“ Ich stöhnte. Das könnte sich noch komplizierter gestalten, als ich am Anfang gedacht hatte. „Vielleicht hast du dich ja mit deiner Frau gestritten und brauchst deshalb ein wenig Abstand…“ „Hatten wir nicht gesagt, dass ich geschieden bin?!“, fiel mir Johannes ins Wort. Ich entgegnete: „Das hatten wir nirgends festgelegt.“ „Du in deinem Kopf aber schon.“ „Die Leute können mir doch nicht in den Kopf gucken!“, rief ich entrüstet. Fabeck schüttelte den Kopf: „Und? Macht das einen Unterschied? Du musst schon bei deinen Festlegungen bleiben, sonst wird der Gotha-Krimi genauso eine Katastrophe wie deine bisherigen, zum Glück unveröffentlichten Bücher.“ Was erlaubte der sich eigentlich?! Eigentlich sollte er mir dankbar sein, schließlich hatte ich ihn zum Leben erweckt! „Woher willst du das denn schon wieder wissen?“, fragte ich gereizt. Er zuckte mit den Schultern: „Ach, wir Buchfiguren reden halt miteinander.“ „Aha“, sagte ich langsam. So ganz verstand ich das zwar nicht, allerdings wollte ich es auch gar nicht so genau wissen.
„Du könntest ja auch“, überlegte ich nach einer Weile laut weiter, „deine Radtour machen, die du eigentlich an dem Wochenende hattest machen wollen, an dem Nadine dich aber wegen der Leiche angerufen hat.“ „Das war im Mai“, meckerte Johannes, „meinst du nicht, dass es jetzt im September etwas spät wäre, diese Radtour nachzuholen? Und mal abgesehen davon, was hast du dir damals eigentlich gedacht, mich am Sonntag arbeiten zu lassen?! Schon mal was von Arbeitsschutz gehört?!“ „Was bist du denn auf einmal so unleidlich?“, fahre ich ihn an, „Dieses Mal wollte ich dich ja mitbestimmen lassen, ich habe dich extra gefragt, aber auch da hast du nur zu meckern! Weißt du was, ich schreibe es einfach wieder alleine! Damit wirst du dann halt leben müssen.“ „Aber…“ „Und wenn du noch ein bisschen meckerst, dann lasse ich dich an den Sonntagen ab sofort immer arbeiten, kapiert?!“, schnitt ich ihm das Wort ab. Fabeck klappte den Mund wieder zu. Fast schon ein wenig hilflos saß er auf dem Küchenstuhl, den ich neben meinen Schreibtisch gestellt hatte.
So schwiegen wir uns eine Weile an, bis er fast kleinlaut vorschlug: „Du kannst ja aktuelle Probleme in das Buch einbauen. Gasprobleme – wir frieren uns im Büro den Arsch ab. Oder Corona – einer von uns muss in Quarantäne. Oder…“ Ich seufzte erneut: „Nein, genau das möchte ich ja eben nicht. Ich will nicht, dass meine Leser auch noch in fiktiven Büchern mit den Problemen genervt werden, die sie so schon den ganzen Tag haben.“ „Also würdest du kein Buch übers Schreiben lesen wollen?“, bohrte er hartnäckig weiter. „Was… nein… vielleicht… keine Ahnung. Mein Problem ist ja auch – im Gegensatz zu den Anderen – eher ein positives Problem. Ich habe ein Buch veröffentlicht und mache mir Gedanken über das Zweite. Das ist ja eigentlich etwas total Schönes und überhaupt nichts, worüber man sich ärgern müsste.“ „Das klingt ja fast so, als würdest du dein Problem noch eine Weile behalten wollen.“ Ich zuckte mit den Schultern: „Vielleicht. Ich habe ja Zeit. Aber... was die Radtour auf dem Boxberg angeht… hast du darauf noch Lust?“