Der Stau verstopfte jeden Zugang zur Stadt wie Dreck einen Abfluss. Warum musste das gerade an dem Tag sein, an dem ich meine erste Theoriestunde hatte?
So kam es, dass ich verschwitzt, atemlos und ganze 30 Minuten zu spät in den voll besetzen, stickigen Raum platzte und alle Blicke auf mich zog wie ein Alien, der durch den Schornstein ins Wohnzimmer eindrang.
Der Lehrer fuhr mit seinem Vortrag fort, als hätte er mich gar nicht bemerkt. Gerne hätte ich mich zu den drei Mädchen am Tisch in der ersten Reihe gesetzt, doch da ich immer noch zu viel Aufmerksamkeit auf mich lenkte, ließ ich mich einfach auf den nächsten freien Stuhl sinken.
Und dieser Platz – als einziges Mädchen an einem Acht-Personen-Gruppentisch – blieb mir natürlich erhalten. Die jungen Männer neben mir reagierten sehr verschieden auf meine Anwesenheit. Die einen waren froh, jemanden gefunden zu haben, der zuhörte – nur für den Fall, dass sie es nicht mitbekamen, wenn der Kursleiter eine zehnminütige Raucherpause ankündigte. Die anderen lächelten mich entweder ständig an oder sie ignorierten mich als wollten sie sagen: „Frauen am Steuer?“
Kurz: Der Platz war ätzend.
Doch im Laufe der Woche änderte sich das. Die Damen an Tisch eins waren extrem diskussionsfreudig und anstrengend, sodass ich überaus froh war, nicht bei ihnen sitzen zu müssen. Auch meine Tischkameraden begannen langsam, mich als Teil ihrer Führerschein-Gruppe zu akzeptieren. In der letzten Stunde begrüßten sie mich nacheinander mit einem High-Five, womit ich mich offiziell von den „nervigen Mädchen“ distanzieren konnte.
Da ich schon immer sehr zielstrebig und ehrgeizig war, fiel mir die Theorieprüfung leicht und auch die darauffolgenden Fahrstunden liefen gut.
Natürlich fuhr ich nicht sofort wie ein Profi, doch immerhin verbrachte ich nicht gleich die ersten drei Stunden mit Anfahrtraining. Bereits fünf Wochen nach meiner ersten Fahrstunde war ich zur praktischen Prüfung angemeldet. Ich schüttelte dem Prüfer die Hand. Er sah aus wie ein Fossil und behandelte mich, als wären wir alte Kumpel. Obwohl ich eigentlich nicht unter Prüfungsangst litt, wurde ich immer nervöser. Schließlich hing mein Erfolg bei dieser Prüfung auch davon ab, wie sich alle anderen Verkehrsteilnehmer verhielten, während man mich mit der Waffe namens Auto auf die Straßen ließ.
Doch die Sorge schien unbegründet. Alles lief super. Das Parken, das Wenden, die Vorfahrtsregeln... Zufrieden fuhr ich in den letzten zehn Prüfungsminuten auf die Bundesstraße. Während ich in Gedanken schon meinen Führerschein in der Hand hielt, erblickte ich vor mir einen Radfahrer. Was um Himmelswillen hatte der an einem Freitag Vormittag auf so einer Straße zu suchen?
Im Rückspiegel sah ich das ungeduldige Gesicht des Prüfers. Mir war klar, dass er von mir erwartete, den Radfahrer zu überholen. Also beschleunigte ich, blickte in die Spiegel und scherte aus. Doch kaum waren der Radfahrer und ich auf einer Höhe, schoss wie aus dem nichts ein schwarzer BMW auf mich zu. Er war soeben um die Kurve gebogen und fuhr viel zu schnell. Panik stieg in mir auf und bearbeitete meine Schädeldecke von innen mit einem Presslufthammer. Ich warf einen Blick in den Seitenspiegel, sah, dass der Abstand zum Radfahrer zwar nicht perfekt, aber ausreichend war und wechselte wieder zurück auf meine Spur. Noch im gleichen Atemzug rauschte der BMW-Fahrer an uns vorbei und war schon bald um die nächste Kurve verschwunden.
Ich zitterte am ganzen Körper, während der Prüfer wie gewohnt seine Anweisungen gab. Gott sei Dank hatte er die Prüfung nicht abgebrochen und mich durchrasseln lassen.
Als wir endlich wieder auf dem TÜV-Gelände standen, sah ich meinen Fahrlehrer an. Er lächelte und mir fiel ein Stein vom Herzen. Ich hatte es geschafft. In meinen Gedanken war ich schon dabei, es allen zu erzählen. Doch dann geschah etwas, mit dem mein Ego noch nie in seinem Leben konfrontiert worden war. Der Prüfer sagte: „Heute leider nicht bestanden.“
Mir blieb die Luft weg, während ich versuchte, die Tränen zurückzuhalten. Auch mein Fahrlehrer schien entsetzt.
Der selbstgefällige Prüfer – plötzlich kein Kumpel mehr – verkündete, dass der Seitenabstand zum Radfahrer zu gering gewesen sei. Netterweise fügte er hinzu, dass es in einer solchen Situation keine richtige Verhaltensweise gegeben hätte. Es wäre – als würde es das auch nur im Geringsten besser machen – einfach Pech gewesen.
Ich hatte versagt. Jede Beteuerung von meiner Familie, meinen Freunden und meinem Fahrlehrer, dass es einfach nur dumm gelaufen war und es nächstes Mal klappen würde – ging geradewegs an mir vorbei. Ich hatte keine Erfahrung darin, etwas nicht zu schaffen. Und das Schlimmste an all dem war, dass ich mich dieser beängstigenden Prüfung noch einmal stellen musste – es sei denn, ich würde kampflos aufgeben. Doch das war keine Option.
Und so saß ich zwei Wochen später wieder hinterm Steuer. Der Prüfer hatte den Fahrschüler vor mir gerade zum zweiten Mal durchfallen lassen und wirkte missgelaunt. Er stellte mir ein paar Fragen und forderte mich dann zum Losfahren auf.
Nervös wie ich war, würgte ich gleich erstmal das Auto ab. Mein Fuß zitterte so sehr, dass ich die Kupplung kaum halten konnte.
Als der Prüfer mir befahl, den Motor abzustellen, hatte ich das Gefühl, den Boden unter den Füßen zu verlieren. Doch er sagte nur: „Atmen Sie tief durch. Es spielt keine Rolle, ob Sie zum ersten, zweiten oder achten Mal hier sind. Wichtig ist nur, dass Sie sich nicht durch die Angst zu scheitern die Chance auf Ihren Erfolg nehmen lassen.“
Ich folgte seinem Rat und holte tief Luft. Als ich das Gefühl hatte, endlich bereit zu sein, startete ich den Motor und fuhr los. Wir nahmen so ziemlich alle Strecken, die ich nicht ausstehen konnte, doch es lief ganz gut.
Dann – im letzten Kreisverkehr vor dem TÜV-Gelände – sah ich aus dem Augenwinkel einen Radfahrer. Déjà-vu der Extraklasse. Ich entschied mich im Bruchteil einer Sekunde für eine scharfe Bremsung. Die Zeit reichte gerade noch für einen verständnislosen Blick des Prüfers, dann raste der Radfahrer auch schon vor mir über die Straße. Nun sah ich den Mann im Rückspiegel zum ersten Mal schmunzeln. „Gut gemacht. Den hatte ich gar nicht gesehen“, sagte er und ich fuhr – mental völlig am Arsch – weiter Richtung TÜV-Gelände.
An diesem Nachmittag konnte ich nicht nur sagen, die glückliche Inhaberin eines Führerscheins zu sein, sondern auch wieder in den Spiegel sehen und mir eingestehen, dass es in Ordnung ist, etwas nicht sofort zu schaffen.
Auch wenn alle Beteiligten mir zustimmten, dass ich vom ersten Prüfer unfair behandelt worden war, hatte ich nun endlich geschafft, was ich mir für diesen Sommer vorgenommen hatte.
Außerdem wusste ich jetzt, dass ich mutig genug war, meine Pläne auch dann in die Tat umzusetzen, wenn ein Fahrradfahrer sie durchkreuzte.