Ich laufe durch meine Stadt und sie ist grau. Die Tage vergehen. Sie vergehen einfach. Die letzte Absage kam erst gestern. Es ist ein komisches Alter Mitte zwanzig zu sein. Bei allen anderen scheint es irgendwie zu laufen, doch bei mir nicht. Und woran genau liegt das? Warum habe ich eigentlich angefangen, wenn ich nur Absagen bekomme? Ich mache mich fertig für einen Job, auf den ich eigentlich keine Lust habe, um ein Studium abzubezahlen auf das ich keine Lust hatte. Die Stunden ziehen sich in die Länge, während sich irgendein Mitarbeiter neben mir lautstark mit einer Kundin telefoniert. Irgendwann ist es vorbei und ich schlendere durch die Tür und nehmen den Aufzug. Ich blicke in den Spiegel."Verräterin.",flüstere ich. Mein Nachhauseweg ist die Zeit, die ich am meisten hasse. Vielleicht, weil schon wieder ein Tag vergangen ist und ich feststellen muss, dass ich mich immer mehr von meinen Träumen entferne. Ich seufzte und setze mich auf die blaue Bank. Es sind keine Sterne am Himmel zu sehen, sondern einfach nur der Himmel. Blau. So verdammt blau, dass es schmerzt. Und tief in mir schlummern Dinge, die ich mit einem großen Schluck, von meinem "Erwachsenengetränk" runterspüle. Ich schließe die Tür zu meiner Wohnung auf, schmeiße mich auf mein kaltes Bett und schlafe ein. Das letzte, was ich sehe ist die sternenlose Nacht. Und der Mond, der heute so einsam ist. Die Tage vergehen. Tagein. Tagaus. Der Sinn hinter jedem einzelnen Tag verblasst immer mehr. Die Tage vergehen. Sie vergehen, wenn ich am Frühstückstisch sitze, während draußen die Kinder lachen und die Familien glücklich sind. Die Tage vergehen. Sie vergehen, wenn ich das Gras unter meinen Füßen spüre und wenn ich mit dem Korb in der Hand, den Hügel überquere, um einkaufen zu gehen. Und manchmal frage ich mich, ob es je anders war. Es war Sommer. Die warmen Sonnenstrahlen berührten meine Haut sanft. Sommer. Die Blüte meines Lebens ist schon lange vorbei und mit dem hohen Alter sagt man, sollte man doch eigentlich glücklich und zufrieden sein, also warum? Warum spüre ich diese Leere in mir? Ich habe nie das gemacht was ich wirklich wollte. Und heute zerreißt mich diese Schuld in Stücke. Tag für Tag. Stück für Stück. Ich sitze auf einer blauen Bank. Es sind Jahrzehnte vergangen und doch trauere ich der Farbe blau nach. Ich berühre die Bank vorsichtig mit meinen Fingerspitzen. Was würde ich nur dafür geben es noch einmal zu erleben? Das Leben. Plötzlich wurde alles schwarz, als ich die Augen öffnete stand ich am Fenster eines Klassenzimmers. Mit einem kräftigen Windstoß öffnete sich das Fenster und mein Herz zog sich zusammen. Ich war dort, wo ich immerzu sein wollte, auch nach 60 Jahren sehnte ich mich nach dem Glück, das ich hier in diesen Zimmern erlebte hatte. Die Gesichter voller kindlichen Hoffnung und Vorfreude auf das Leben. Ich hörte eine Stimme, die ich tief in meinem Herzen verborgen hatte, weil der Schmerz, der sich mit dieser Stimme verband, viel zu groß war, als das ich ihn ertragen konnte. Ich hatte diese Stimme, die doch die Antwort auf all meine Tränen und Sehnsüchte war so tief in meinem Herzen versteckt. Ich hatte ihn so tief in meinen Erinnerungen vergraben und jetzt steht er vor mir. Es war die Zeit, die ich nie vergessen werde, weil ich mir immerzu gewünscht hatte, es würde nie vergehen. Er kam ans Fenster. Dunkelblaue Augen schauten mich an. Dieser Blick, diese zarten Gefühle der ersten Liebe, die sich in ihnen spiegelten brachen mir das Herz. Es brach mir das Herz. Unsere Jugend dauerte nur zwei Sekunden, doch wie sehr hatte ich mir gewünscht sie würde für immer verbleiben? "Ich will weg.", flüsterte ich leise. Als ich aufwachte war ich in einem Zug. Mir wurde übel. "Warum bin ich hier?", flüsterte ich mit erstickter Stimme. Ich hatte mich damals grade erst mit jemanden verlobt und saß in dem Zug. Ich war auf dem Weg zur meiner Hochzeit. Heute frage ich mich, warum ich ihn so schnell geheiratet hatte? Was wollte ich mit dieser Hochzeit beweisen? Welche Gefühle wollte ich ertränken? Vor mir sitzt mein 30 jähriges-Ich, dass keine Träume mehr hatte. Ich hatte extra eine gesamte Kabine reserviert, um nicht gestört zu werden. Die erste große Liebe, die ich in meinem Herzen so behutsam aufbewahrt hatte, war nur noch ein Echo aus einem längst geschlossenen Kapitel. Ich war damals voller Hass. Ich hasste mein Leben, denn all die zarten Träume und Hoffnungen, die ich hatte waren zerstört. Ich schaute sie liebevoll an. Ihre braunen Haare hatte sie zu einem lockeren Zopf zusammengebunden und schaute alle fünf Minuten unzufrieden in den Spiegel und zupfte an ihrem Zopf. "Du siehst schön aus liebes. "flüsterte ich mit erstickte Stimme. Es brach mir das Herz sie so zusehen. Völlig erschöpft vom Leben, unsicher und verletzt. Und dann kam die die Ansage: "Sehr geehrte Passagiere die Abfahrt des Zuges wird sich um einige Minuten verzögern." Mein Jüngeres-Ich fluchte leise. Hektisch zückte sie ihr Handy und rief alle möglichen Menschen an. "Ja ich weiß Mama ich beeile mich, aber dieser verdammte Zug-willst du dich jetzt ernsthaft am Tag meiner Hochzeit mit mir streiten? Na schön, dann komm eben nicht. Ist mir doch egal." Mit den Worten legte sie auf. Es war als wollte ich meine Wut, jeden spüren lassen. Sie alle sollten fühlen, wie ich mich fühlte. Kalt. Einsam. Verzweifelt. Sie schaute aus nach draußen. Heute war der Tag, an dem ich ihn zum letzten Mal sah. Er ging durch den Bahnhof. Genauso stolz wie immer. Seine Haare sahen anders aus. Sie waren länger und schimmerten gräulich. Er war umwerfend. Er stand da und ich war hin-und weg. Ich schaute zu meinem damaligen Ich rüber. Sie verzog keine Miene, doch ihre Augen verrieten sie. Die Traurigkeit, die in ihnen schimmerte , konnte sie nicht verbergen. Im selben Moment ertönte die Ansage aus den Lautsprechern. Der Zug würde in wenigen Minuten abfahren. "Geh zu ihm.", bettelte ich sie an. Als hätte sie meine Worte gehört, wurde sie plötzlich nervös. Ungewissheit, lag in ihrem Blick. Die Angst eine falsche Entscheidung zu treffen, die Hochzeit vergessen zu wollen und rauszustürmen. All diese Dinge wollte ich damals tun, doch sie drehte den Kopf zur Seite und schloss die Augen. "Es ist zu spät.", flüsterte sie leise. Und eine Träne fuhr ihr über das Gesicht. "Nein", schrie ich so laut ich konnte. Sie drehte sich zu mir und und schaute mir direkt ins Gesicht. "Dann mach es anders.", antwortete sie lächelnd. Mit einem Mal war ich wach. Schweißgebadet. Ein Leben voller Reue? Nein, ich will ein Leben das sich zu leben lohnt, ein Leben das ich liebe. Heute räumte ich auf. Die Wohnung war nicht mehr so kalt. Dann kündigte ich meinen Job. Vielleicht male ich ab morgen? Ich werde den Weg gehen, der mich glücklich macht. Schritt für Schritt. Tag für Tag. Ich ging nach draußen und setzte mich auf die blaue Bank. Ich holte tief Luft und schreibe drei Worte. "Ich liebe dich" Gesendet. Ich laufe durch meine Stadt und heute ist sie nicht grau.