»Hast du schonmal gekifft?« Die Frage kommt ziemlich unerwartet, sodass sich unter meine Müdigkeit an diesem sonderbaren Freitagmorgen eine leichte Verwirrung mischt. »Nein«, antworte ich deswegen nur knapp und schaue meinem gutgelaunten Banknachbarn in die grünlich braunen Augen.
»Heute ist Gegenteiltag, also doch,« lächelt er mir ins Gesicht und wendet sich dann fröhlich wieder seinem Mathematikhefter zu.
»Gegenteiltag ist immer Mittwoch«, meine ich, halte die ganze Sache jedoch für ziemlich kindisch. Wenn man 16 Jahre alt ist, gibt es nun einmal keine Gegenteiltage mehr, wo alles, was man sagt, genau das Gegenteil bedeutet. Das Gespräch wird von unserem Mathelehrer unterbrochen, welcher uns um unsere Aufmerksamkeit bittet. Wie verlangt, fokussiere ich mich wieder auf den Unterrichtsstoff und versuche, das eben angerissene Thema zu verdrängen. Meine Gedanken kreisen jedoch immer noch um die mir gestellte Frage, welche mich ehrlich gesagt schon verunsichert hat.
»Du sicherlich, wenn du schon fragst«, flüstere ich in seine Richtung und wiederhole es, als er mit einem Gesichtsausdruck klarmacht, dass er es nicht auf Anhieb verstanden hat.
»Vor einer Ewigkeit mal. Vielleicht vor fünf Jahren.« Er zuckt mit seinen Schultern, woraufhin sich meine Augen weiten.
»Vor fünf Jahren? Wir sind sechzehn!«, bringe ich entsetzt über die Lippen und kann geradeso meinen Flüsterton aufrechterhalten.
»Na gut, fünf Jahre kommt wohl nicht ganz hin. Es ist aber schon eine Weile her und so toll war es auch gar nicht.« Beruhigen kann mich die Aussage trotzdem nicht. Bei diesem Thema habe ich eine wirklich hundertprozentig festgelegte Meinung, Drogen sind für mich ein absolutes No-Go. Jetzt liegt es an mir, mit den Schultern zu zucken und wende mich wieder meinem Mathebuch zu, welches mir vertraut unschuldig vorkommt.
»Wie wäre es? Hast du morgen Zeit?«, stupst mich mein Banknachbar wenige Minuten später am Arm an und zwingt mich so zu Augenkontakt. In mir bricht erneut an diesem Tag eine wohlbekannte Nervosität aus. Ich könnte schwören, in mir schreit es auf vor Entsetzen.
»Was?«, frage ich nach, doch ich bin mir recht sicher, worauf er hinauswill.
»Du solltest es probieren, nur einmal. Ich besorg was«, sagt er und spricht es aus, als wäre es das Normalste der ganzen Welt mit dem vertraut schelmischen Grinsen.
»Ach ich weiß nicht. Eigentlich wollte ich das nie machen.« Ich fühle mich unwohl, streiche mir unsicher die Haare hinter die Ohren und weiche seinen Blicken aus.
»Überleg es dir. Die Stunde geht noch vierzig Minuten. Die hast du noch Zeit, dich zu entscheiden.« Sein Lächeln ist schrecklich sympathisch und trügerisch zugleich. Die restliche Unterrichtstunde rutsche ich nervös auf meinem Stuhl herum, es fällt mir schwer, mich auf die Zahlen und Formeln an der Tafel zu konzentrieren. Als sich die Stunde dann dem Ende neigt, schaut mich mein Banknachbar an, eine Antwort erwartend.
»Nein«, sage ich mit der Intention, dass er davon ablässt und lenke meinen Blick auf die Uhr, um seinen nicht zu treffen. Mit aller Macht versuche ich entspannt zu wirken, verstecke meine Nervosität hinter einem gespielt gleichgültigen Gesichtsausdruck. Mein Gegenüber verzieht sein Gesicht enttäuscht, zuckt dann aber mit den Schultern und lässt ab. Genau wie ich packt er seine Sachsen zusammen und macht sich auf den Weg in das nächste Klassenzimmer.
»Schönes Wochenende dir!«, rufe ich ihm noch nach und er hebt erwidernd die Hand, dreht sich aber nicht noch einmal um. Der restliche Schultag verläuft wie immer – langweilig und ohne Zwischenfälle. Nach ein paar lustigen Gesprächen mit meinen besten Freunden vergesse ich meine Verwirrung, das mulmige Gefühl verlässt mich restlos und macht Platz für Freude auf das Wochenende. Am Nachmittag treffe ich mich mit ein paar guten Freunden, wir gehen ins Kino und lachen viel miteinander, meine Stimmung sowie Gefühlslage ist exzellent, was sich schlagartig ändert, als ich am Abend zu Hause ankomme. Ein Blick auf mein Handy und zurück sind die unwohlen Gefühle von heute Morgen. Mein Kopf ist ruckartig gefüllt mit Gedanken wie ein Einkaufszentrum am Samstagvormittag. Schuld ist verpasster Anruf meines Banknachbarn aus Mathematik.
»Mist«, fluche ich leise vor mich hin und werfe mein Handy auf mein Bett, so wie ich es immer tue, wenn ich direkt weiß, was ich von einer Nachricht denken soll. Einen Augenblick später lege ich mich auch auf das Bett, starre gegen die Decke und versuche meinen Kopf aufzuräumen. Nur wenige Minuten der Ruhe sind mir gegönnt, dann vibriert mein Handy neben mir. Darauf ein eingehender Anruf in Kombination mit dem Namen meines Banknachbars. Ich schlucke, gehe aber nach einigen Sekunden ans Telefon.
»Hallo?«, sage ich und lasse es leider eher nach einer Frage klingen.
»Dachte schon, du gehst nicht mehr ran«, kommt es von ihm mit einem Lächeln in der Stimme.
»Ich wollte nochmal fragen, ob du es dir nicht anders überlegt hast«, fügt er hinzu, woraufhin eine kurze peinliche Pause folgt.
»Ich- ähm- eigentlich nicht«, stottere ich vor mich hin und bin wahnsinnig froh, dass er mein errötetes Gesicht nicht sehen kann.
»Ach komm, es ist doch nur ein einziges Mal. Nur zum Ausprobieren, wenn du verstehst.«
»Nein, tatsächlich verstehe ich nicht. Ich möchte nicht, okay?«, meine ich und kann ein leicht erzürntes Schnauben nicht unterdrücken.
»Du hast gesagt, es ist gar nicht so toll«, füge ich hinzu, in der Hoffnung, er lässt es endlich. Ganz ehrlich, was ist an einem „Nein“ nicht zu verstehen?
»Wir sind doch gut befreundet. Was ist denn gegen einmal einzuwenden? Wenn du es nichts magst, musst du es ja nie wieder machen«, meint er total ruhig.
»Hör mal, ich mag dich echt, aber nein. Nein, ich will nicht. Zwing mich nicht dazu, Freunde machen das nicht«, sage ich und in meiner Stimme schwingen Verzweiflung und Enttäuschung.
»Freunde unternehmen Dinge miteinander, Freunde vertrauen einander.« Seine Behauptung schmerzt mehr als sie es sollte und ich schlucke entsetzt nach Luft.
»Wahre Freunde lassen dem Anderen eine Wahl und akzeptieren die. Ich wünsche dir eine gute Nacht«, bringe ich heraus und beende das Telefonat, ohne auf seine Antwort zu warten. Sobald der Signalton ertönt, der das Gespräch beendet, werfe ich das Handy zurück auf mein Bett und vergrabe mein Gesicht in den Händen.
Was sollte das? Bis jetzt war er immer ein guter Freund gewesen, man hatte sich immer nett mit ihm unterhalten können. War es falsch, dass ich ihn komplett abgewiesen habe? Meine Meinung scheint ins Wanken zu kommen, wiegt sich im Wind von links nach rechts, doch ich zwinge sie, wieder zur alten Form zurückzukehren. Nein, es war absolut richtig, ihm nicht nachzugeben. Freunde akzeptieren Meinungen anderer Freunde und in Zukunft halte ich mich an die Freunde, die das wirklich tun. Wer braucht schon falsche Freunde, die einen zu falschen Dingen zwingen wollen? Gefasst stehe ich auf, verbanne alle Gedanken und richte mein Gesicht nach vorne.