Wettbewerbsbeitrag von Mariam Raji, 18 Jahre

Manchmal ist der Mond wie das eigene Spiegelbild, du verlierst dich selbst darin, in seinem hellen, weißen Licht, als könntest du von deiner Entfernung aus wissen, welche Muster ihn prägen. Du denkst über ihn nach, ob du ihn je näher betrachten wirst, was er wohl von dir und der Welt hält. Aber es bleiben nichts weiter als verborgene Fragen, dessen Antworten durch die Sonne wieder verdeckt werden. Deine Neugier steigt, denn es scheint, als behüte der Mond Geheimnisse, vielleicht weiß er Dinge, die du nicht mal ahnen kannst und du weißt Dinge, die er nicht mal ahnen kann. Was würdest du für einen Austausch geben, der, so du befürchtest, mehr Zeit einnehmen würde, als bis die Sonne euch vertreibt. Und manchmal, da blendet dich sein Licht, denn deine Gedanken sind wie spitze Dornen in deinem Kopf, die, wenn du versuchst, sie zu entfernen, dich wiederum am Finger verletzen, deshalb Vorsicht.

Du liebst die stillen Momente, die stillen Gedanken, die die Ordnung wiederherstellen und dich beruhigend zum einschlafen bringen, wie ein Gute Nacht Lied. Ich liebe sie auch, doch die lauten Gedanken kommen häufiger. Meine Augen schauen starr auf meine hellblauen Gardinen, ihre Raffungen erinnern mich an Wellen, deren Stärke ich bestimmen könnte, würde ich die Seite der Gardine einmal ausschütteln. Ich drehe mich zur Seite, sodass mein Bett ein lautes Knarren von sich gibt. Würde ein Einbrecher hier sein, dann wäre das der Grund, dass ich ertappt wurde. Mein Blick fällt auf meinen schief aufgehängten Kalender, der stets auf das richtige Datum zeigt.

„Morgen müsste ich den Kunden aus Holland noch anrufen. Ich hoffe, ich kann ihn noch zufrieden stellen, wenn nicht, dann ist es auch ok, es könnte zwar etwas schlecht für mich aussehen, aber dafür halte ich die nächsten Telefonate in der Zeit, das sollte reichen“, denke ich. Die Seite des Bettes wird mir zu warm und ich drehe mich auf die andere Seite. Ich stelle mir vor, mein weißer Schrank hätte ein Gesicht, die schwarzen Schrankgriffe könnten die Nase sein. „Aber wieso können wir uns eigentlich nur was menschliches vorstellen? Monster und Aliens in Filmen oder Serien ähneln immer dem Menschen, heißt das, wir können uns nichts weiteres hinaus vorstellen? Würde ich mir ein Gesicht ohne Mund vorstellen… aber warte, wieso braucht etwas ein Gesicht?“ Ich komme mir vor, als wäre meine Vorstellungskraft so klein, in ihrem kleinen Raum und über ihr ist so viel mehr Platz, wie das Universum. Wie klein wir doch sind. Ich schließe meine Augen, denn der Schlaf müsste rufen. Ich öffne sie wieder und sehe meinen Schrank wieder vor mir.

„Meine Kleidung für Morgen liegt bereit, das ist gut.“ Lange Zeit schaue ich nur auf die Decke. Die Uhr tickt weiter. Es ist fünf vor Eins, das ist schlecht, nur noch ungefähr fünf Stunden Schlaf. Ich denke darüber nach, wie ich morgens noch auf meinem Bett liege und der Wecker schon acht Uhr anzeigt, das Gefühl würde sich wie Verzweiflung und Machtlosigkeit anfühlen und man weiß, man hat alle enttäuscht. Der Druck bohrt sich in mich, wie ein Presslufthammer. „Ich sollte mich entspannen, ich werde schon nicht verschlafen.“ Ich versuche den Druck abzuschütteln, in dem ich über den gestrigen Tag nachdenke, an die schönen Dinge.
„Die Buchhaltung lief gut, und dann kam Michael vorbei und was sagte er mir da nochmal: „Auch wieder da?!“, ich habe doch in den acht Monaten nur zwei Mal gefehlt, das letzte Mal war mein Zustand wirklich schlimm, und als sich die anderen über ihre Fehltage unterhielten, war das deutlich mehr. Aber wen interessiert das schon, ich versteh gar nicht, wieso man diesen Spruch raushauen muss, was interessiert ihn das? Wieso achten die Leute darauf und müssen noch ihren Kommentar dazugeben? Als würden sie nur auf einen Fehler von dir warten.“

Ich merke, wie mein Herz schneller klopft, lege meine Finger auf die Stelle und versuche, meine Atmung zu kontrollieren. Ich lege mich auf die andere Seite, wodurch mein Bett wieder knarrt, diesmal lauter, der Einbrecher würde jetzt angreifen, denke ich. In meinem Kopf ging es weiter, mir kamen die Gespräche zwischen den Büroabteilungen in den Sinn, bildlich vor mir. Dieser versteckte Rassismus in den Aussagen der Menschen lässt mich bis jetzt aufwühlen. „Wieso muss man für eine schlechte Eigenschaft oder Tat die Herkunft dieser Menschen verantworten? Das sind doch alle Menschen, und wie jeder andere tragen wir mit uns schlechte Eigenschaften, ist doch völlig egal, woher derjenige herkommt oder welcher Religion er angehört, alles Schwachsinn, sie könnten nicht mal die Sprache von einer anderen unterscheiden.“

Meine Atmung wieder immer schwerer, denn ich spüre das Gewicht des Steines auf meinem Brustkorb, dessen wirkliche Schwere ich nicht vorahnen könnte. Ich setze mich auf, das Geräusch meines Bettes ist jetzt am lautesten, „ob ich über den Einbrecher wohl gesiegt hätte?“ Ich verspüre Schmerzen an meinen Gliedern und meine innere Stimme raunt mir zu: „Es wird eine schlaflose Nacht.“ Immer und immer wieder. Angst breitet sich in meinem Magen aus, denn ich fürchte mich vor schlaflosen Nächten. „Es wird keine dieser schlaflosen Nächte“, versuche ich mich zu beruhigen und lege mich wieder hin. Diesmal schaue ich wieder auf die Decke. Erst jetzt merke ich, wie verkrampft mein Körper ist, er versucht sich zu schützen, denn in meinem Kopf geht es rasend weiter. Ich erinnere mich an den aufgebrachten Kunden, den ich trotz größter Mühe nicht schaffte, zufrieden zu stellen. Ich hatte währenddessen auf die Uhrzeit geachtet und das sieben Minuten Zeit Limit konnte ich natürlich auch nicht einhalten, wie frustriert ich war. „Ich kann all diese Regeln verstehen, aber was macht es nur mit dem Menschen, der diese Grenzen nicht überschreiten darf?“ Es ist dieser ständige Druck, der an einem klebt und dabei noch die anderen Kollegen und ihre Gespräche, dessen Inhalte mich nur mehr aufregen lassen. Es kommt mir so vor, als müsste ich vielem standhalten und meine Menschlichkeit geht dabei Stück für Stück ganz langsam verloren, es ist, als würde ich meine Gefühle wie unter den Teppich kehren, damit die Menschen die glänzende Oberfläche bewundern können, dabei muss ich bemerken, dass Staub sich überall festlegt, ganz gleich, ob man ihn wieder entfernt, er kehrt wieder zurück. „Was macht das mit einem? Wie sähe mein Leben aus, würde ich immer so weitermachen? Will ich so weitermachen? Ich verstehe, dass die Arbeit am Büro wichtig ist und auch hilfreich ist, aber ist sie für mich hilfreich? Für mich als Person? Würde ich immer auf dem selben Stuhl und mit den selben Kunden über immer wieder die selben Themen reden wollen? Will ich das noch mit fünfzig oder sechzig Jahren? Oder ist es bis dahin schon zu spät? Wenn ich gehe, wird die Firma weiterlaufen, wenn die Firma nicht mehr da ist, wird sich die Welt weiterdrehen, was ist dann essenziell? Was will ich eigentlich?“

Der Stein auf meiner Brust lässt mich sein ganzes Gewicht spüren, Mein Brustkorb fühlt sich voller Luft an, nach jedem Ausatmen schmerzt es mich. Ich setze mich unruhig auf, sehe die Gardinen wieder vor mir und denke an die tobenden Wellen. Ich spüre Adrenalin durch meinen Körper schießen, meine Arme sind ganz zappelig, mein Kopf zerspringt gleich. Ich möchte einmal durch den Block rennen, aber ich muss einschlafen, wie Menschen es einfach friedlich tun. Die Gedanken so intensiv und klar, wie inmitten einer Menschenmenge zu stehen. Sie rennen an mir vorbei, doch ich erfasse jeden ihrer Ausdrücke. Laute Gedanken verwandeln jede Struktur in deinem Kopf zu Chaos, so aufreibend und hektisch, doch genau so deutlich und greifbar wie die Nacht, die sie umhüllt. Ich verspüre eine Leere, die mit einer Sehnsucht einhergeht, die das Loch in mir zu füllen vermag, doch ich befürchte, dass der Inhalt weit über die menschliche Liebe hinausgehen muss, denn sie erfüllen mich nie. Jedoch führt mich diese Sehnsucht immer wieder zu den weißen Seiten meines Notizbuches, manchmal weiß wie der Mond, wobei ich mich in den Zeilen verliere. Ich wirble den Staub mit meinem Bleistift auf, sodass jeder ihn sieht, lass so meine Gefühle in die Welt. All diese Fragen über das Leben, ich möchte nicht, dass die Sonne sie verdeckt, ich möchte dass sie genau wie die Sonne strahlen. Ich sitze auf meinem Schreibtisch und schreibe, so viel ich kann und mein Leiden hört langsam auf, denn es steht auf Papier. Laute Gedanken kommen wie ein Wirbelsturm, dabei holen sie das Beste aus dir heraus, denn es kann sein, dass die Ordnung in deinem Kopf nicht das Richtige ist und es nur eine schlaflose Nacht braucht. Manch einer kann es Wahnsinn nennen, ich nenne es Kreativität.

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Verwandelbar - Die Lesung

Am 27. November 2022 fand die Lesung zum Schreibwettbewerb VERWANDELBAR statt, bei der fünf der Gewinner:innen ihre wunderbaren Texte präsentierten. Moderiert wurde die Lesung durch den Autor Manfred Theisen, der auch Mitglied der Jury war.