Meine schweren Schritte sind im Begriff, gespenstisch über das Linoleum zu hallen, während ich meine Gebeine über den sterilen Flur schiebe. Mein Geist ist bei dir und doch so fern, dass es mir geradezu widerstrebt, die Tür deines Zimmers zu öffnen und all die ohrenbetäubenden Gerätschaften neben deinem ruhenden Körper wahrzunehmen.
Eine Krankenschwester betritt schließlich vor mir deine Räumlichkeiten, mein zögerndes Wesen folgt ihr doch. So schwer ist es zu ertragen, meine Sehobjekte auf dich zu richten; die Pein zu spüren. Deine gute Seele hat in keinster Weise ein solches Leid verdient, sie sollte Glück verspüren und nicht die Qual des Krebses, welcher dich von innen zu zerreißen droht.
Die Schwester verspritzt dir eine neue gläserne Flüssigkeit, vermutlich das Morphium, vor dem ich mich zu fürchten pflege, sie verlässt das Zimmer und ich bleibe allein mit dir zurück.
Wie du da liegst. Der Kämpfergeist in deinen trägen Gehirnwindungen scheint gewichen zu sein, flach regt sich dein Atmen und die Tränen tanzen in meinen Augen.
Was wolltest du nicht alles sein, wenn du mal groß bist. Ich lasse mich auf deine metallene Bettkante sinken und schließe deine kleine kalte Hand in meine riesigen Pranken.
Die Atmung, die deinen Lungenflügeln entweicht, geht flach, wie ein lauer Sommersturm über einen See fegt und die Spiegeloberfläche sich kräuseln lässt.
Meine Hände sind indes im Begriff, über deinen glatten Hinterkopf zu streichen, der früher von grandioser Haarpracht bevölkert war. Deinen ganzen Stolz verdient sie und stellte zugleich den Schauplatz meiner kreativen Abgründe dar, wenn ich dir die Haare vor der Schule ungelenk zusammenraffte. Nun fehlt meiner geschundenen Seele der morgendliche Bändigungskampf mit deinen Kastanienlocken, mein Sinnesbild würde morden, um sie dir nochmals binden zu können, um Normalität zu verspüren zwischen Schmerz und Leid.
Mein Mund schmeckt das Salz der Tränen, die aus meinen Augen quellen. Ich greife zittrig zu den Papieren, die deinen Nachtschrank zieren, um meine Gedankenspiralen zu begradigen und den Blick auf etwas anderes, als das Leid deines Korpus richten zu können.
Die Blätter sind geziert von deinen unbeholfenen Buntstiftlinien. Sorgfältig gezeichnet, als die Hoffnung dich regierte; als wir ein Licht am anderen Ende des schmerzenden Tunnels sahen. Deine wertvoll kindliche Fantasie rettete dich. Vor den Schmerzen, die dich plagten. Sie ließ dich Flügel verspüren und in kleinen Momenten Abstand aus deinem gepeinigten Körper nehmen. Du konntest sein, was immer dir dein Kopf für Möglichkeiten bot, dich in alles verwandeln, um deiner irdischen Schmach zu entrinnen. Du wolltest stets ein Vogel sein, viele Spatzen mit schillerndem Federkleid zieren deine Zeichnungen. So bunt und anders wie du es bist. So frei und wild, keine Schlingen die dich fesseln, kein Leid das dich hält. Es war Balsam für die kleine Seele, den Kampf deines Lebens kurzfristig zu vergessen und dich in einen von Freiheit regierten Vogel zu verwandeln. Stärke verlieh es dir, den Glauben, es zu schaffen.
Doch nun ruhe ich hier, neben deinen geschlossenen Lidern und der Rotz läuft aus meiner Nase, während mein Körper unkontrolliert zittert.
Du wolltest soviel werden, doch die Zeit verrann gegen dich. Die Euphorie deiner und meiner Hoffnung ist gewichen, die traurige Realität hat ihre kalten Klauen über unsere Häupter gebreitet.
Vorsichtig streichle ich deine Wangenknochen wie ich es seit jeher stets zu tun pflegte, als ich dich erstmals in meinen Armen hielt. Du hast meine Welt verwandelt, hast mir größtes irdisches Glück beschert, dass ich dich auf deinem zu kurz geratenen Weg wenigstens begleiten und Zeuge deiner Erfolge sein durfte.
Teddy Theo mit dem rechten Arm umschlungen, links meine Hand haltend atmest du. Atmest du zum letzten Mal. Und mit jenem letzten Atemzug erlischt auch die Kerze, die ein Pfleger auf deinem Nachttischchen entzündete, bevor ich den Raum betrat.
Du lässt mich zurück in einer anderen Welt. Eine Erde, die du durch deine Schritte verwandeltest und auf der mir stets etwas fehlen wird.
Doch deine Seele soll fliegen, frei sein wie die schillernde Pracht eines Vogels, in den du dich immer verwandeltest, wenn die Schmerzen dich zerrissen. So schleppe ich mich zum Fenster und öffne dies, um deinem Geist Freiheit zu schenken, ihn fliegen zu lassen, so wie du es dir immer wünschtest.