Das Klingeln des Weckers schallte in ihren Ohren wie eine Backpfeife. Gerade noch im warmen Traum, jetzt mit einem Knall in der Realität. Das Gefühl, nicht geschlafen zu haben, zehrte schon an ihren Nerven und sie wusste, der Tag würde schwarz werden. Sie stand auf, schlurfte zum Kleiderschrank.
Wo war ihre Lieblingsbluse? Alles durchgewühlt, sie konnte sie nicht finden. Na toll. Dann musste ein anderes Outfit her. Sie sah eine ihrer neusten Errungenschaften. Zusammen mit einer blauen Jeans und frischer Unterwäsche streifte sie die Kleidung über und ging dann ins Badezimmer.
Das grelle Licht der Deckenlampe schien ihr viel zu hell für ihre müden Augen so früh am Morgen.
Sie sah sich im Spiegel an. Gott, sie konnte sich gar nicht ansehen. Sie verabscheute sich. Schnell sah sie weg, nahm die Zahnbürste, fing an sich für den Tag fertig zu machen. Sie bekleckerte ihr neues Shirt mit Zahnpasta, brauchte vier Versuche für ihren Eyeliner und war trotzdem unzufrieden. Die Haare saßen beschissen. Abschließend einen Blick in den Spiegel – naja. War okay. Sie versuchte es mit einem Lächeln im Spiegel, scheiterte aber kläglich. Sie wirbelte herum und schloss die Badezimmertür hinter sich. Ihre Augen wanderten durch ihr Schlafzimmer. An der Uhr blieb ihr Blick stehen, schon 07:10, scheiße! Vor 5 Minuten hätte sie losgemusst.
Die Tasche für die Uni geschnappt und schnell aus der Tür. Sie vermisste ihr Bett jetzt schon.
Nach kurzer Zeit fing es an zu regnen. Sie spannte gerade ihren Regenschirm auf - da fiel ihr der Stiel des Schirmes vor die Füße. Na klasse. Naja, Haare sehen eh scheiße aus, da können sie auch nass werden.
Das Zischen von sich schließenden Bustüren hallte in ihren Ohren wider und sorgte dafür, dass ihre Muskeln sich anspannten. Bevor sie loslaufen konnte, sah sie den Bus abfahren.
Also stampfte sie durch den Regen zur Uni. Natürlich kam sie zu spät. Nachdem sie sich durch die Reihen geschlängelt hatte, nahm sie Platz, achtete darauf, neben niemandem zu sitzen.
Laptop hochfahren, Akku leer.
Sie holte ihren College-Block heraus und einen Kugelschreiber, der leer war. Genervt kramte sie einen Bleistift heraus. Den Rest der Vorlesung bemühte sie sich nicht einzuschlafen und spitze ihren Bleistift drei Mal an, nachdem er immer wieder abbrach.
Endlich vorbei. Mit gepackten Sachen wartete sie, bis die anderen weg waren. Dann verließ sie das Gebäude, stapfte durch matschige Pfützen nach Hause. Auf dem Weg begegneten ihr wenige Menschen, aber die, die ihren Weg kreuzten, nervten. Ein Kind, das quengelte, ein kläffender Hund, eine viel zu langsame ältere Dame. Sie konnte es nicht erwarten, sich endlich wieder im Bett zu verkriechen. Endlich zu Hause. Tür auf, Tür zu, ab ins Bett. Sie schmiss die Tasche in die Ecke, ließ sich aufs Bett fallen. Nur ein paar Minuten dösen, dann würde sie Haushalt und Essen machen. Dann wurde es dunkel um sie.
„Warum bist du so zu dir?“
Sie schreckte hoch.
„Was?“
„Wieso hasst du dich?“
„Ich hasse mich nicht. Es ist einfach scheiße, alles läuft schief.“
„Willst du vielleicht nur das Negative sehen?“
„Wie?“
„Manchmal liegt alles im Auge des Betrachters. Sei netter zu dir, nimm die Dinge nicht so ernst und so hin, wie sie sind.“
Das Klingeln des Weckers schallte in ihren Ohren wie eine harte Backpfeife.
Aus dem Traum gerissen öffnete sie die Augen. Was war das für ein Traum? Seltsam. Wie lang hatte sie geschlafen? Sie hatte doch keinen Wecker gestellt. Ein Blick aufs Handy und ihr Atem stockte. Montag, 15. September 2022, 06:50 Uhr. Unmöglich. Aber auch die Suche im Internet spuckte dasselbe Datum und dieselbe Uhrzeit aus. Verwirrt stand sie auf und ging zu ihrem Schrank. Wieder fand sie ihre Bluse nicht und wieder war sie genervt davon.
Gerade wollte sie die Schranktür zuknallen, da erinnerte sie sich an ihr neues Shirt. Und an den Traum. Einatmen, ausatmen. T-Shirt rauskramen und anziehen. Diesmal sah sie sich noch kurz im Spiegel an und freute sich, wie gut das Shirt saß. Es stand ihr gut. Dann ging sie ins Bad, nahm die Zahnbürste und kleckerte aufs Shirt. Gerade wollte sie das Shirt genervt in die Ecke werfen, entschied sich dann aber, es kurz unter kaltes Wasser zu halten und ein bisschen zu reiben – der Fleck war fast nicht mehr zu sehen. Glücklich zog sie es wieder über. Der Eyeliner wollte nicht, nach dem vierten Mal wischte sie ihn einfach weg. Dann halt ohne. Die Haare band sie schnell zu einem lockeren Pferdeschwanz zusammen, sodass man nicht sah, dass sie eigentlich schlecht saßen. Diesmal schaffte sie es, sich überzeugend im Spiegel anzulächeln. Sie sah heute gut aus, obwohl sie das beim Aufstehen nicht für möglich gehalten hatte. Nicht zuletzt ihr Lächeln und ihre Einstellung trugen dazu bei.
Zu spät aus der Tür, fing es an zu regnen und der Schirm war kaputt. Egal, sie legte sich den Schal über den Kopf und ging zur Bushaltestelle. Als ihr der Bus vor der Nase wegfuhr, verfluchte sie sich und ihr ständiges zu spät sein. Genervt stapfte sie zu Fuß los, Blick auf den Boden gerichtet. Nach einiger Zeit zwang sie sich, hochzuschauen und sah einen Regenbogen, wunderschön. Hätte sie nicht hochgeguckt, hätte sie diese Schönheit der Natur nicht wahrgenommen. Sie bemerkte außerdem, dass ihr der gezwungene Spaziergang am Morgen gut tat.
Etwas zu spät in der Uni, schlängelte sie sich leise durch die Reihen, wollte sich gerade an einen Platz allein setzen, als sie sich zwang, ihre Angst zu überwinden.
„Ist hier noch frei?“, flüsterte sie einer jungen Studentin zu. Diese lächelte sie an.
„Ja.“
Schnell setzte sie sich hin. Fuhr ihren Laptop hoch – leer.
„Shit“. Hatte sie das gerade laut gesagt?
„Na, vergessen aufzuladen?“, fragte die Studentin neben ihr.
„Ja. Ich muss mir das echt mal angewöhnen.“
„Kenn ich. Ich bin übrigens Jess.“ Sie schmunzelte sie an.
„Ich bin Marie.“, sagte sie, und schmunzelte zurück.
Dann kramte sie ihren Collegeblock heraus und einen Kugelschreiber. Leer.
Als sie begann, einen Bleistift zu suchen, hielt Jess ihr einen Kugelschreiber hin.
„Hier.“
„Danke! Ich bin so schusselig.“
„Kein Problem. Ich war auch mal so, das pendelt sich ein.“
Sie nahm den Stift und konzentrierte sich dann auf die Vorlesung.
Als diese beendet war, stöhnte Jess und stütze den Kopf zwischen die Hände.
„Alles in Ordnung?“
„Jaa…ich verstehe dieses Thema nur nicht.“
„Ich kenne mich da gut aus. Wenn du magst, revanchiere ich mich für den Kugelschreiber und gebe dir Nachhilfe?“
„Das wäre toll!“
Jess strahlte sie an und Marie konnte nicht anders, als ebenfalls zu strahlen.
„Wir könnten ja rüber ins Cafe gehen, etwas essen und dabei erklärst du mir alles?“
„Ja, gerne!“
Also die beiden die Straße überquerten, hörte Marie einen nervig kläffenden Hund, den sie ansah und sofort nicht mehr nervig fand. So ein süßes Tier. Das quengelnde Kind blendete sie aus und die langsame alte Dame vor sich ließen sie in Ruhe passieren und halfen ihr mit dem Rollator den Bürgersteig hoch. Dafür kassierten sie ein Lächeln und ein „Dankeschön!“.
Was für ein bunter Tag, dachte Marie.