Die Flut

Wettbewerbsbeitrag von Frieda, 12 Jahre

05. Juli.2100
„Lia, kommst du? Wir wollen doch noch zu Uroma“, rief meine Mutter von oben. „Ich komme schon“, rief ich und rannte die Treppe nach oben. Dazu muss ich noch sagen, mein Zimmer liegt im Keller, da es oben viel zu warm wird.
Ich fahre gerne zu Uroma. Sie erzählt tolle Geschichten. Davon handelt auch diese Geschichte. Ich habe sie für Uroma aufgeschrieben, damit ihre Geschichte niemals vergessen wird. Meine Uroma war zu der Zeit 12 Jahre alt.


Alles begann 2012: Eine schreckliche Nachricht überflutete die Welt. Am 21. Dezember dieses Jahres sollte die Welt untergehen laut Prophezeiungen der Maja (das ist so eine uralte Kultur). Ich machte mir nicht wirklich etwas daraus. Ich glaube meistens nicht an sowas. Doch das sollte sich am 21. Dezember ändern. Ich kam gerade aus der Schule nach Hause, es war der vorletzte Schultag, und in drei Tagen war Weihnachten, als es eine ungeheuerliche Meldung gab. An der Norddeutschen Küste war eine riesige Welle gesichtet worden – 20 bis 30 Meter hoch - und kam mit einer ungeheuren Geschwindigkeit auf Deutschland und die Niederlande zu. Alle Menschen im Umkreis von 300 km sollten in weiter entfernte Gebiete flüchten und das auch noch möglichst schnell. Was zu diesem Zeitpunkt noch niemand wusste, war, dass die Welle viel weiter eindringen würde. Deshalb machte ich mir auch keine Sorgen. Am nächsten Tag, es war die dritte Stunde, als unsere Schuldirektorin eine Durchsage machte. Alle Schüler sollten unverzüglich zu ihren Familien zurück, da die Welle die nördlich gelegenen Städte erreicht hatte. Sobald sie die Durchsage beendet hatte, brach in der Schule das Chaos aus. Viele kleinere Schüler weinten, andere waren wie erstarrt vor Schreck. Niemand hatte gedacht, dass die Welle so weit kommen würde. Alle hatten gedacht, sie würde höchstens bis nach Köln kommen. Das war immerhin die Hälfte von Deutschland. Ich stand da, alles um mich herum war still, ich hörte nur die Warnung in meinem Kopf. Du musst was tun. Moment, woher kam diese Stimme? Das war nicht ich! Was sollte das? Was zur Hölle… Da war wieder die Stimme „Du kannst das Maja. Du kannst das. LOS! Hör auf dein Herz. Du bist eine Maja, finde die anderen.“ „Welche anderen?“ „Die anderen.“ „Wer bist du?“ „Eine Maja, genau wie du.“ „Ich bin keine Maja!“ „Wie heißt du denn dann?“ „Na, Maja.“ „Na also, siehst du.“ „Aber was soll ich denn tun?“ „Finde dein Herz, tu, was es befiehlt und du wirst die Welt retten.“

Als ich zu Hause angekommen war, hatten meine Mutter und mein Vater schon unsere Koffer gepackt.

Auf der Fahrt dachte ich über die Worte der Stimme nach. Darüber, ob die Welle vielleicht dadurch entstand und wuchs, weil die Menschen nicht an den Maja-Kalender glaubten. In Stuttgart machten wir eine kurze Pause. Nun waren wir schon zweieinhalb Stunden unterwegs. Doch nach Friedrichshafen würde es noch zwei Stunden und 40 Minuten dauern, da wir über Ulm fuhren, um meine Großeltern abzuholen. In Ulm angekommen, bekam ich ein komisches Gefühl. Zuerst dachte ich, dass ich krank werde, doch es kam von wo anders: es kam aus meinem Herzen. Als ich dann wieder ins Auto steigen wollte, hörte es auf. Ich wusste noch nicht, dass nur zwei Häuser weiter ein Mädchen saß, das genau das gleiche erlebte. Sie hieß Maja und war genau wie ich 12 Jahre alt. Als wir schließlich in Friedrichshafen angekommen waren, fühlte ich es wieder. Ich hatte das Gefühl, dass es mich in eine Richtung drängte; in Richtung vieler Autos und 11 Mädchen, alle ungefähr so alt wie ich. Wir alle gingen in die gleiche Richtung. Alle gingen zum See. „Wie heißt du?“, fragte ich ein Mädchen neben mir. „Maja“, antwortete sie, „und du?“. „Auch Maja. Wie heißen die anderen?“ „Maja.“ „Echt jetzt?“ „Ja.“ „Wie alt bist du?“, fragte ich weiter. „12, und du?“ „Ich bin auch 12 und ich vermute die anderen auch?“ „Ja.“ „Woher kommen die anderen?“, fragte ich und musterte die anderen Mädchen. „Ganz unterschiedlich,“ antwortete Maja, „Nordseeküste, Berlin, Köln, Bremen, Hamburg, Hannover, Gütersloh, Hamm, Essen, Lüneburg und ich komme aus Ulm. Woher kommst du?“ „Aus Frankfurt, aber meine Großeltern wohnen in Ulm“, sagte ich und sie fragte: „Wo wohnen sie denn?“ „In der Kronengasse 3 und du?“ „In der Kronengasse 1.“ „Echt jetzt?“ „Ja.“ „Krass,“ sagte ich und dachte eine Weile nach. Es zog uns immer weiter, bis wir am Ufer des Bodensees standen. Dort staunten wir nicht schlecht, als plötzlich jede von uns die Stimme im Kopf hatte:

*Neben Bänken keine Bedenken, helfen Elfen leben unter Felsen*

„Habt ihr das auch gehört?“, fragte ich und bekam einen Wortschwall entgegen. „Was war das?“ „Was bedeutet das?“ „Was für ein komischer Satz.“  Doch ein Satz kam besonders oft vor. „Was hat das mit uns zu tun?“ Das war die Frage, die wir uns alle stellten. Wir überlegten eine Weile, bis wir verschiedene Theorien hatten:

1. Wir waren alle durchgedreht.
2. Wir waren schon tot und im Himmel.
3. Uns wollte jemand einen Streich spielen.
4. Oder wir hatten wirklich die Aufgabe, die Welt zu retten.

Wir entschieden uns für die vierte Möglichkeit. Somit suchten wir nach dem Ort, der von der Stimme beschrieben worden war. Es musste ein Ort sein, an dem es Bänke oder ähnliches gab, und es musste Felsen geben. Nur was es mit den Elfen auf sich hatte, wussten wir nicht. Vielleicht waren es auch Felsbänke. Dieser Gedanke kam mir, als ich Felsen im Wasser sah. Als ich den anderen von meiner Idee erzählte, beschlossen wir heute Abend genau zu diesen Felsen zu schwimmen, da diese sehr nah am Ufer lagen. Als wir später am Abend auf den Felsen waren, kam uns doch tatsächlich eine Gestalt entgegen. Sie sah so alt aus wie wir. Das Einzige, was bei ihrem Anblick störte, war, dass sie Flügel hatte. Durchscheinende hellgelbe Flügel. „Hallo“, sagte sie, „Ich bin Maja.“ „Du hast Flügel“, sagte ich und schaute sie mit großen Augen an. „Ja“, sagte sie, „als unsere Kultur durch Krieg, Dürre und Raubbau ausstarb, wurden die Erwachsenen und die Kinder zu Geistern. Jedoch eine Ausnahme gab es. Wenn ein Kind 12 Jahre alt war und Maja hieß, wurde es zu einer Elfe. Lange haben wir gerätselt warum, doch jetzt wissen wir es. Wir wurden Elfen, um euch zu helfen, die Welle aufzuhalten.“ „Und was sollen wir jetzt tun? Den Spruch aufsagen und hoffen, dass es funktioniert?“ fragte eine der anderen Majas. „Nein. Ihr dürft nicht hoffen, dass es funktioniert. Ihr müsst daran glauben!“ sagte die Elfen-Maja eindringlich und sah zu ein paar Steinen hinüber. Gleich müssten die anderen kommen. Dann müssen wir anfangen. Ein paar Minuten geschah nichts, dann kamen 11 andere Elfen aus den Felsen. Wir schauten uns an und wussten plötzlich, was zu tun war. Entschlossen fassten wir uns an den Händen. In dem Moment, als alle sich berührten, geschah etwas Unglaubliches. Wir fingen an, in den Himmel zu steigen, während wir gemeinsam den Spruch aufsagten:

*Neben Bänken keine Bedenken, helfen Elfen leben unter Felsen*
Feierlich stiegen die Worte in den Nachthimmel, wo sie verklangen. Und wir wussten: Die Flut war besiegt.

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Am 27. November 2022 fand die Lesung zum Schreibwettbewerb VERWANDELBAR statt, bei der fünf der Gewinner:innen ihre wunderbaren Texte präsentierten. Moderiert wurde die Lesung durch den Autor Manfred Theisen, der auch Mitglied der Jury war.