Aber
Wettbewerbsbeitrag von Frida Pankiewitz, 18 Jahre
Die Decke bricht über mir zusammen. Die Wände rücken enger und enger an mich heran. Erst erscheinen die Risse. Dann werde ich von Betonstücken erschlagen. Es regnet auf mich ein. Ich bin machtlos. Ich kann es nicht stoppen.
Ich werde erdrückt.
Ich kann nicht atmen.
Die Worte hängen in meinen Ohren fest, spielen auf Dauerschleife. Zukunft, Zukunft, Zukunft. Was willst du einmal machen?
ENTSCHEIDE DICH!
Ich liege unter Tonnen von Beton. Begraben. Keine Energie zum Kämpfen. Keine Energie, den kleinen Finger zu bewegen. Ich kann gar nichts bewegen. Meine Muskeln reagieren nicht auf mein Gehirn. Oder mein Gehirn sendet die Signale nicht.
ENTSCHEIDE DICH!
Was will ich tun?
Zukunft, Zukunft, Zukunft.
Jetzt.
Aber es ist doch nur eine harmlose Frage. Das ist doch kein echtes Problem. ENTSCHEIDE DICH! Das kann doch nicht so schwer sein. Jeder weiß doch, was man später einmal werden will. Das stand als Kind in jedem Freundebuch.
Mach schon!
Aber was, wenn ich falsch liege. Verschwende dein Talent nicht. Meine Finger verkrampfen sich. Die Muskeln funktionieren also doch noch.
Eine Hand liegt auf meiner Schulter.
Aber ich bin alleine. Erdrückt. Der Beton –
eine Hand liegt auf meiner Schulter. Warm. Lebendig. Kein Beton. Eine Stimme ist in meinem Ohr.
Ist alles okay, fragt sie.
Nein, sage ich, nein. Woher soll ich das denn wissen? Ich könnte so viel falsch machen.
Der Beton erdrückt mich.
Eine Hand liegt auf meiner Schulter. Freund?
Und wäre das denn so schlimm, sagt die Stimme. Etwas falsch zu machen? Das darf man doch. Das tut doch jeder.
Wäre es? Ich schweige. Freund? Freund. Freund! Unterstützung.
„Du darfst Sachen ausprobieren, Dinge falsch machen.“
Ich atme tief ein.
„Nicht alles muss von Anfang an perfekt laufen.“
Aber ist das so? Ich soll mein Talent nicht verschwenden. Das wird mir immer gesagt. Was nach der Schule kommt, ist wichtig. Es entscheidet über mein ganzes Leben.
Ich atme aus.
Mein ganzes Leben. Ich will nichts falsch machen.
„Aber Fehler sind menschlich. Und du musst nicht gleich alles entscheiden. Dein Leben wird nicht besser dadurch, dass du nichts machst und dich verkriechst. Du musst nicht alles auf einmal machen. Niemand erwartet das. Fang einfach an.“
Aber ich kann nicht. Wirklich nicht.
„Es ist okay, Angst zu haben. Rede mit mir. Frag nach Hilfe.“
Freund. Nicht allein. Zusammen. Warm.
Unsere Stimmen tragen den Beton ab. Ein Stück nach dem anderen. Noch ist er da, noch bin ich begraben. Aber er ist leichter. Weicher, wärmer.
Kein Beton. Styropor.
Meine Beine wachen auf.
Ein Schritt nach dem anderen.
Nicht alles auf einmal.
Eine Entscheidung.
Nicht viel. Aber genug.
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Am 27. November 2022 fand die Lesung zum Schreibwettbewerb VERWANDELBAR statt, bei der fünf der Gewinner:innen ihre wunderbaren Texte präsentierten. Moderiert wurde die Lesung durch den Autor Manfred Theisen, der auch Mitglied der Jury war.