Es ist vorbei. Ich bin Danny und habe soeben in den sozialen Netzwerken beim täglichen Stalking meiner großen Liebe ein Foto entdeckt, das mir schlagartig einen Kloß bis in die Magengrube gegeben hat. Ich starrte es sekundenlang an. Ich hoffe, es waren tatsächlich nur Sekunden. Ich vergaß zwischenzeitlich sogar, dass zu dem lebensnotwendigen Prozess des Atmens nicht nur das Einatmen gehört. Leider bestehen wir Menschen nicht aus Glas, ansonsten wäre ich wohl bei dem Anblick des Fotos augenblicklich zerbrochen und hätte niemals dieses Gefühl fühlen müssen. Ein Gefühl, das sich in etwa so anfühlt, als ob alle Profiboxer gleichzeitig meine Gefühlswelt als Sandsack für ihr intensives Training verwenden.
Das Foto, ja dieses verdammte Foto, zeigte meine große Liebe mit einem anderen Mann, Arm in Arm, lachend. Glücklich. Ich wurde so wütend und wünschte den beiden alles erdenklich Schlechte für ihre Beziehung. Ich könnte ohne sie niemals so glücklich sein, was dachte sie sich nur?
„Vielleicht ist das nur ihr Cousin oder ein guter Freund.” Ich startete sofort mit der Recherche. Wer ist der Typ? Hatte sie ihren Beziehungsstatus geändert? Fragen über Fragen, mit hoffentlich nur guten Antworten für mich. Tief im Inneren wusste ich natürlich, dass es sich bei dem Mann zu 99% um ihren neuen Freund handeln musste. Niemand nimmt solch intime Bilder mit seinem Cousin auf. Doch ich klammerte mich an die kleine Chance, anstatt die Realität zu akzeptieren und dann nach einem 20 minütigen Heul Fiasko weiterzuziehen. „Falls sie mit diesem Typen zusammen ist, hält das doch eh nur ein paar Wochen. Wir sind füreinander bestimmt. Ich weiß das.”
10 Monate sind seitdem vergangen. Im Übrigen war es doch nicht ihr Cousin auf dem Foto, wie ich es in der Zwischenzeit in Erfahrung bringen konnte. Aus dem neuen Freund, der nach meiner professionellen und nüchternen Prognose lediglich ein paar Wochen mit ihr zusammen bleiben sollte, ist ihr fester Freund seit über 10 Monaten geworden. Woher ich weiß, dass die beiden leider noch zusammen sind? Das tägliche Stalken meiner großen Liebe habe ich drastisch reduziert, denn stets bekam ich diesen Magenkloß, wenn ich sie glücklich in den sozialen Netzwerken sah. Mittlerweile stalke ich sie im Netz nur noch alle paar Wochen. Das ist für die Psyche viel gesünder und ich bin jetzt nur noch chronisch depressiv anstatt leicht selbstmordgefährdet. Ein großer Fortschritt.
Loslassen kann ich nicht. Wie könnte ich das bei meiner Seelenverwandten? Absurd. Lieber bleibe ich mein restliches Leben traurig. Den Stacheldraht festhalten, obwohl es täglich schmerzt. Das ist wahre Liebe. Ich entscheide mich dafür, traurig zu bleiben, denn ich will sie für immer lieben. Ich bleibe auf diesem liebevollen Leidensweg. Aber ich habe schon fieberhaft an einer Lösung gearbeitet. Da meine große Liebe Handball spielt, in einer relativ hohen Liga, habe ich beschlossen, ebenfalls meine große Leidenschaft für Handball zu entdecken. Der geniale Plan: Wenn ich super gut werde und dann die Handballszene vermehrt über mich spricht, werde ich endlich ihre Aufmerksamkeit bekommen! Sie wird nicht um mich herumkommen und dann ist die perfekte Beziehung zum Greifen nah! Der Plan ist idiotensicher. Viel einfacher, als ihr einfach meine Gefühle mitzuteilen und danach jede Antwort zu akzeptieren. Ich habe da wesentlich mehr zu bieten!
Ein halbes Jahr später. Mein großes Vorhaben mit Handball läuft eher mäßig. Ich bin zwar mittlerweile ganz gut, allerdings nicht gut genug, um auch nur annähernd ihre Aufmerksamkeit zu bekommen. Ich gehe immer seltener zum Training und meine anfängliche Motivation schwindet täglich. Im Verlauf der Monate habe ich mich auch zunehmend isoliert. Dank meines Studiums kann ich auch die meiste Zeit zuhause verbringen. Ich will auch keine neuen Leute treffen, da doch eh alles sinnlos ist. Nie bekomme ich das, was ich haben möchte. Dabei war ich mir doch sicher, dass sie meine Seelenverwandte ist. Doch scheinbar reicht es für die ewige Liebe nicht, wenn nur eine Person von beiden sich ganz sicher ist. Warum zeigt sie sich so glücklich? Sieht sie nicht, wie sehr ich leide? Sie ist so herzlos und egoistisch. Mittlerweile hasse ich sie genauso stark, wie ich sie liebe. Ich lebe von Tag zu Tag und habe mein endloses depressives Dasein im Namen der großen Liebe akzeptiert. Es wird nicht besser werden. Ich lebe irgendwie weiter und werde dann hoffentlich irgendwann von einer herabfallenden Waschmaschine erschlagen. Mein einziger sozialer Kontakt, den ich noch ab und an pflege, ist meine gute Freundin Kathrin, die ich bereits seit über einem Jahrzehnt kenne. Gerade bin ich dabei die Tür zu öffnen, denn sie ist zu Besuch vorbeigekommen. Sie will wohl überprüfen, ob ich noch lebe. Als sie mich erblickt, blitzen ihre Augen auf. Dieses Blitzen sehe ich bei jedem Treffen mit ihr. Vielleicht auch nur Einbildung. Nicht so wichtig. Wir setzen uns an meinen Küchentisch, groß aufgeräumt habe ich für meinen Besuch nicht, aber vom Boden essen tut ja sowieso keiner. Nicht so wichtig.
„Wie geht's dir? Wir haben uns lange nicht gesehen.” Mitleid in ihrem Blick. „Ganz gut”, antworte ich und wir reden etwa eine Stunde lang miteinander, dabei rede ich wie immer nur über meine große Liebe und wie traurig das doch alles ist. Dann macht sie sich auf den Weg zur Tür und dieses nette, aber doch für mich anstrengende Gespräch ist endlich vorbei und ich kann mein Leben in trauriger Einsamkeit wieder fortführen. Ich halte ihr die Tür auf und möchte mich gerade noch möglichst nett verabschieden, da dreht sie sich plötzlich zu mir, gibt mir einen Kuss auf die Wange und umarmt mich mehrere Sekunden lang. Derartige Nähe habe ich ewig nicht gespürt. Dieses warme Gefühl. Ich hoffe, sie geht gleich. Das ist zu viel für mich. Ich will das nicht. Ich will traurig sein. Alleine.
Schließlich lässt sie mich los, lächelt mich an und sagt: „Es bricht mir das Herz, dich traurig zu sehen. Du solltest dein Leben nicht wegschmeißen für eine Person, die sich überhaupt nicht für dich interessiert. Du verdienst besseres.” Ihre Augen werden bei dem letzten Satz nass, daraufhin dreht sie sich schlagartig um und geht. Ich starre ihr sekundenlang - ich hoffe es waren tatsächlich nur Sekunden - hinterher und fühle zum ersten Mal seit vielen Monaten statt einem Kloß ein warmes Gefühl in der Magengegend.
Kathrin gab Danny damit einen Hoffnungsschimmer. Auch wenn er danach nicht sofort loslassen konnte, sehnte er sich doch vermehrt nach dem warmen Gefühl, das er an diesem Tag mal wieder gespürt hatte. Liebe fühlt sich stets gut an, niemals schlecht. Man sollte nicht die Person verpassen, die für einen bestimmt ist, weil man einer Person nachtrauert, der man egal ist. Danny hat dann seine Trauer nach vielen Monaten schließlich überwunden, auch dank Kathrins Hilfe. Kathrin, die Person, die ihm einen Hoffnungsschimmer gab, als er dabei war aufzugeben und mit der er mittlerweile schon mehrere Monate glücklich zusammen ist.