Das Leben wie es sein kann, ohne Filter und Nachlass

Wettbewerbsbeitrag von Elisa, 17 Jahre

Wir schreiben das Jahr 2021. Corona Pandemie und ganz viel Depressionen. Nicht für mich. Für die Menschheit. Alle sprachen davon, dass die Pandemie den Kindern die Kindheit raubte, den Jugendlichen, die Erfahrungen, den Studenten das Studium und den Alten das Leben. In Masken hauchten wir unsere letzten Atemzüge, mit Schnelltests stoppten wir unsere blutenden Nasen. All das und ich mittendrin. Doch ich fand es nicht schlimm. Ich verstand die Leute nicht, die wie wild diskutierten, die sich sogar an die Gurgel gingen, und die Leute die sich an die Gurgel gingen und diskutierten, wegen dieser anderen. Ich meine, war es nicht schon immer so gewesen? Haben die Menschen sich nicht schon immer über große und kleine Probleme gestritten? Und hatte das alles nicht sowieso nur mit den blöden social Media zu tun, welche unsere Kinder krank machte und die Gesellschaft vergiftete?

Ich raffte es nicht, denn mein Bett verließ ich nicht wegen Corona kaum, sondern einfach, weil ich zu müde war. Zu müde, um zu lernen, zu müde, um zu laufen, zu müde, um zu essen, zu müde, um zu leben. Die Schule war ein Ort der Folter geworden. Dabei ging ich so gerne in die Schule. Und ich war gut, denn früher war ich es nicht. Es wurde kalt, es wurde Herbst. Ich hatte nun schon ein viertel Jahr in meiner grauenvollen Klasse überstanden, die mir nur allzu vertraut von früher war. Ich lebte von Tag zu Tag, von Stunde zu Stunde, ja sogar von Minute zu Minute, denn alles in einem zu sehen, war zu anstrengend für mich. Und dann wurde es unangenehm. Meine Zähne putzte ich immer seltener und auch meine Haare hatten seit über einer Woche kein Wasser mehr gesehen. Warum viel es mir nur so schwer in das vorgesehene Kästchen rein zu passen? Es hatte doch sonst auch immer so wunderbar funktioniert. Also strengte ich mich an. Ich wollte alles richtig machen. Ich wollte nicht einmal dazu gehören, dieses Ich hatte ich in der 7. Klasse zurückgelassen, ich wollte einfach nur die anderen lachen sehen und den Klang meiner Lache zu hören bekommen. Doch es gelang mir nicht. Ich grenzte mich von meinen Freunden ab, denn wer wollte schon mit jemanden befreundet sein, der es nicht einmal schaffte, einem Gespräch zu folgen, der lieber den Kopf senkte und von seinen Gedanken in die Tiefe gezogen wurde. Wer will das schon? Das zumindest dachte ich, als ich begann gar nicht mehr zu antworten und nur aufzuschauen, wenn ich meinen Namen öfters als ein Mal hörte. Ich fieberte den Weihnachtsferien entgegen, redete mir ein, dass danach wieder alles besser werden würde. Und so war es auch. Für eine Woche. Dann, Überraschung, ging es weiter bergab. Ich wusste nicht, dass dies möglich war, doch der Berg auf dem ich ursprünglich gestanden habe, muss sehr hoch gewesen sein. Da es sehr steil runter ging, stolperte ich. Viele Male. Jeder Tag ging schleppend voran. Jeden Tag musste ich einen Punkt überwinden, an dem ich sonst einfach losgeheult hätte. Ich wollte dann immer „nach Hause“. Mir war zu diesem Zeitpunkt noch nicht bewusst, was für eine immense Bedeutung diese zwei harmlosen Wörter hatten. Doch ich denke, ihr könnt es euch ausrechnen.
Wo waren wir stehen geblieben? Also, ich schlief schlecht, ich aß wenig und ich interessierte mich für nichts mehr. Ich konnte mich nicht einmal mehr daran erinnern, dass ich es mal geliebt habe zu lesen, zu schreiben, Klavier zu spielen. All diese Dinge sind mir geraubt worden, ich hatte mich selbst beraubt. Und ich fühlte mich schlecht, denn ich sagte mir, dass es mir nicht zustünde, mich so zu fühlen. All meine Freunde waren doch für mich da und nun seien wir doch mal ehrlich, so schlimm ist die Klasse nun auch wieder nicht. Das redest du dir alles nur ein! Lustig, ich weiß. Noch lustiger, dass ich es mir glaubte. Doch vielleicht war dies der eine springende Punkt, warum ich weiter machte. Ich zog also Mauern um mich herum hoch. Baute Ziegelstein um Ziegelstein meine Festung neu auf. Ich wurde stark, abweisend und wütend. Sehr, sehr wütend. Denn nichts funktioniert besser, als seine Traurigkeit in Wut zu verwandeln. Und auch ich wandelte und zwar durch die Gänge. Wie ein Geist. Denn so fühlte ich mich, wie ein Geist, der mal da und mal hier auftauchte und sonst unsichtbar war.
Durch die Wut bekam ich eine gewisse Zielstrebigkeit. Ich wollte mein altes Leben zurück, ich wollte die Narben auf meinen Armen einfach wegwischen können und da ansetzen, wo alles schiefgelaufen war. Ich wollte es besser machen. Und so strengte ich mich noch einmal an. Mit dem letzten Hauch von Energie lernte ich für Klausuren. Meißelte mir ein Lächeln ins Gesicht, um mir selbst einzureden, dass alles wieder gut sei. Doch es funktionierte nicht. Ich steckte zu tief drin. Ich begann mir Gedanken über meinen Todestag zu machen. Wann würde dieser wohl sein? Was würden wohl meine Freunde sagen? Da wurde mir plötzlich klar, dass ich ihn mir in naher Zukunft vorstellte. Und das was mich erschreckte war, dass ich darüber gar nicht erschreckte.
Also, es wurde alles ziemlich, ziemlich düster und ranzig. Und dann? Ich meine, irgendwer muss ja diesen Text verfasst haben, nicht wahr? Es geschah nichts Spektakuläres für Außenstehende. Für mich schon, denn ich bekam Hilfe. Obwohl ich sie mir nicht einmal gesucht hatte, denn eigentlich wollte ich sie nicht. Oder vielleicht doch? Naja danach kletterte ich dann erstmal wieder bergauf, bis zu dem Punkt, wo ich heute stehe. Nicht oben, aber auch nicht unten. Und wenn ihr mich fragt, hat jeder Berg überhaupt kein „unten“. Wir definieren das „Unten“, wenn wir tot sind. Solange wir leben, laufen wir bergab. Und ich weiß, das klingt jetzt vielleicht erstmal beängstigend, aber solange wir bergab laufen, können wir auch wieder bergauf laufen.

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Am 27. November 2022 fand die Lesung zum Schreibwettbewerb VERWANDELBAR statt, bei der fünf der Gewinner:innen ihre wunderbaren Texte präsentierten. Moderiert wurde die Lesung durch den Autor Manfred Theisen, der auch Mitglied der Jury war.

Autorin / Autor: Elisa, 17 Jahre