Dunkelgrüner Frieden

Wettbewerbsbeitrag von Kristina, 22 Jahre

Freitag, November 2021

Es ist unmöglich vorwärtszugehen, wenn du dich auf dem Weg verloren hast. Wenn dir der Schlaf fehlt, kannst du nicht träumen und wenn dir die Luft zum Atmen fehlt, nicht leben. Ohne eine Melodie tanzen deine innersten Gefühle nicht. Sie wollen fliehen, losstürzen, dich erdrücken. Wie ein unschuldiger Gefangener akzeptieren sie nicht, sie setzen deine Lungenflügel in Flammen. Dein Kopf dröhnt, wird schwerer und schwerer, bis du fliegst und fliegst. Keine Schlucht, keine Klippe hinunter. Nicht in ein Loch. Du fliegst in einen Abgrund. Er schnürt dir die Lunge ab, zieht dich in eine Schlucht, in der am Grund keine Wellen gegen Felsen peitschen. Eine endlose Tiefe der Verlassenheit, der Verständnislosigkeit. Dir wird heiß, weil dein Herz nicht gegen dein Schluchzen ankämpfen kann. Rinnsale der Hoffnung tropfen auf Scherben, die jegliche Freude herauskratzen. Eine stechende Hilflosigkeit. Die Wucht in deinem Kopf schreit Tränen aus. Eine Leere umnebelt deine innerste Regung, sie schnürt dir die Venen ab. Sie erschaudert jede deiner Fasern. Du frierst, doch dein Seelenschmerz brennt in dir, reißt ein Loch in dich. Dein Herz wird schwerer und schwerer, bis du fliegst und fliegst. Du wehrst dich nicht gegen die Schreie, keine Träne der Welt kann einen Feuersturm löschen. Die Schmetterlinge in deinem Magen flattern nicht, sie saugen an deiner Verzweiflung. Wie Fliegen an Fensterscheiben brummen sie wehrlos dagegen. Gegen eine trübe Verzweiflung, die dich durchflutet. Dich einhüllt. Dich haltlos im Kreis drehen lässt. Minute für Minute wirst du schwerer und schwerer, bis du fliegst und fliegst.

Du suchst den Himmel in deiner Hölle. Du willst die funkelnden Sterne am Himmel greifen, ausreißen, von der Bildfläche verschwinden. Doch du kannst nicht vor dir selbst weglaufen. Du bist ein Gefangener deines Abgrunds. Wirst du jemals wieder das Licht fassen? Die Sterne werden kleiner und kleiner, bis der Regen an die Scheibe prasselt. Es beruhigt dich, es dämmt die Flammen ein. Wie Pfingstrosen im Frühling blühen Hoffnungsschimmer. An seidenen Fäden willst du dich nach oben ziehen. Unmöglich, ohne einen Halt unter den Füßen. Deine Hoffnungsfunken ersticken, du fliegst und fliegst.

Die Sehnsucht umfängt dich wie eine Mutter sein Neugeborenes. Sie holt dich ein. Und zerrt an dir. Kein Mensch der Welt stillt seinen Hunger, wenn ihn Übelkeit flutet. Ein Tsunami von Neid und Rachgier. Das Verlangen nach Gerechtigkeit lässt deinen Lebensimpuls schillern. Doch die Eifersucht zermürbt deine Arterien, sie krallt sich in dir fest. Eine Kälte schreit in dir auf. Sie schnürt dir die Kehle zu, saugt dir jegliche Energie aus den Gliedern. Warum löscht sie nicht das Flammenmeer? Warum friert sie nicht den Gedankenstrudel ein? Bitterkalt, bis du fliegst und fliegst.

Die Erde dreht sich weiter. Splitter tanzen in deinem Herzen. Splitter, die aus dem Abbild deines Abgrunds im Spiegelbild aneinander kleben. Du blinzelst in grelle Sonnenstrahlen. Werden sie dich jemals wieder wärmen? Die Winterluft nagt an deinen trockenen Lippen, kühlt deine Wangen. Deine Tränen klammern sich an die trockene Haut. Autos peitschen an dir vorbei. Trubel und Geschnatter reißen dich durch die Straßen und durch die Supermarktregale. Du kämpfst durch den Lärm gegen deine innere Nervosität, bis du deine Haustür hinter dir zuschlagen kannst, bis du fliegst und fliegst. Bis dein Herz bricht und bricht.


Mittwoch, Januar 2021

Innerliche Leere ist eine unfassbare Last. Schwer, schwerelos, wird sie zum Mittelpunkt deiner Gefühle. Sie ist jedem Alltagstrubel ausgeliefert. Angreifbar, haltlos verletzlich. Du strandest immer wieder an dem Punkt der Verzweiflung. Sie zerrt an deiner Sehnsucht nach Liebe, nach Freude. Mit ihr in dir siehst du erst all das Leid, all den Hass, all die Eifersucht und Selbstsucht. Die Erde in Wunden, verursacht durch mich, durch dich. Wieso schreibe ich immer du?! Nicht im Geringsten verstehst du, was du in mir angerichtet hast. In diesem Moment bin ich so alleine wie noch nie. So alleine, so sinnlos. Die Lebenslust erstickt in einem Keim voller nichts aus Grausamkeit. Wie soll ich das überleben? Will ich das überleben? Niemand kann meine Gedanken auslöschen. Niemand kann mich davor bewahren mich auszulöschen. Ich muss wieder auf die Spur kommen. Muss ich? Will ich? Ich habe keine Wahl, weil ich wählen muss. Zwischen Schmerz bekämpfen oder Schmerz beenden. 

Ist das das Schlimmste, was mir passieren kann? So zu fühlen? Was ist das Schlimmste, das einem Menschen passieren kann? Tod? Töten? Schmerz? Leid? Krieg? Folter? Hilflosigkeit? Raub? Entführung? Nein, es sind zu unverblümte Begriffe, die nichts greifen, was geschieht. Nichts. Ich weiß einfach nicht, was es ist, weil ich in jedem Verderben lerne zu überleben.

Samstag, Februar 2022

Meine gequollenen Augen starren ins Spiegelbild. Meine knochigen Finger, angenagt und blutig um die Nägel, fahren über eitrig stachelige Wimpern, über die Wangenknochen, durch verzotteltes braunes Haar. Die Frau dort, das kann ich nicht sein. So wahnsinnig verloren. Es muss eine Ende haben.

Sonntag, Juni 2022

Hey du! Ja, ich lebe, ich atme. Einen letzten Morgen pulsiert die Waldluft durch meinen Körper. Eine Jahreszeit lebe ich nun in einer Hütte. Der Weg aus dem Seelenschmerz ohne den Kuss einer beistehenden Hand. Tief im Nadelwald habe ich aus Holz, Steinen, Rinden, Erde mein Zuhause erbaut. Tagein, tagaus Tränen voller Unsicherheit und Panik. Heute blinzle ich in die kaiserlichen Baumkronen. Ein Gedankenpalast umzingelt von Einsamkeit. Aus ungekünsteltem Trübsinn rangeln sich Luftschlösser. Sie thronen auf einem friedlichen Wolkenozean. Ein Tanz voller Endorphine durch das feuchte Moos unter meinen nackten Füßen, Tautropfen perlen von den grünen Nadeln, noch nie war ich so in mir, mit mir, erregt von meinen eigenen Emotionen, frei und alleine. Der Wasserkocher pfeift, reißt mich aus meiner Trance. »Frühstück fertig!« sage ich zu mir, »heute wird ein wundervoller Tag!« sage ich zu mir. Ein letztes Mal in den ersten Sonnenstrahlen schmunzle ich in meinen Brennnessel-Tee. Die Wildromantik heilte meine Wunden bis zu dem Abend vor drei Sonnenaufgängen, an dem durch mich ein Geistesblitz jagte: Ich will ein Heim auf einem schwedischen Grund eröffnen, für Tiere, für Kinder, für gebrochene Seelen, wie ich eine war. In einem Haus, sonnig, kuschelig, beschützt von Apfelbäumen, von Beerensträuchern, von gackernden Hühnern, grunzenden Schweinen, von einem taufrischen Bach. Hasen hoppeln durch die Gräser, Kinder toben so frei und sorgenlos. Ein einziger Gedanke, der die Welt nicht rettet, doch meine eigene, solange, bis ich fliege und fliege, beflügelt von einer Liebe zu mir, zu diesem magischen Planeten, die nicht in Worte, nicht in Gedanken zu fassen ist. Schwer, schwerelos, wird sie zum Mittelpunkt meiner Gefühle.

Alle Infos zum Wettbewerb

Die Verwandelbar Sieger:innenehrung

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Die Beiträge zum Schreibwettbewerb Verwandelbar

Verwandelbar - Die Lesung

Am 27. November 2022 fand die Lesung zum Schreibwettbewerb VERWANDELBAR statt, bei der fünf der Gewinner:innen ihre wunderbaren Texte präsentierten. Moderiert wurde die Lesung durch den Autor Manfred Theisen, der auch Mitglied der Jury war.