Ich sehe in die Sterne und frage mich, ob ich jemals auch einer sein werde. Ich blicke zu den Wolken hinauf und frage mich, ob ich jemals das weiche Gefühl des Schwebens erfahren werde wie die Astronauten, die es immer wieder schaffen, der Anziehungskraft der Erde zu entfliehen. Ich mache meine Augen zu und bin in einer Welt, wo das alles möglich ist. In meiner eigenen Welt.
Rund um mich ist es dunkel. Stockdunkel. So dunkel wie in dem Keller meiner Großmutter, in welchem ich immer mit meinem Bruder verstecken spiele. Ich taste mich langsam voran, aber meine Bewegungen sind durch den Anzug, den ich trage, eingeschränkt. Er ist weiß. So weiß wie der Schnee, der letzten Winter in unserem Garten lag. Dieser Anzug bietet mir Schutz vor der unglaublichen Wärme, die an diesem Ort herrscht. Wäre er nicht da, würde ich auf der Stelle verbrennen. Durch die verschiedensten Stoffe, Schichten und Schläuche wird das aber nicht passieren.
Ich schaue mich um. Nach einer Zeit, wo sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnt haben, sehe ich aber winzige, funkelnde Tüpfelchen, die schnell an mir vorbeizischen. Sterne. Die Sterne, die ich im Nachthimmel betrachtet habe. Jetzt bin ich unter ihnen. Ich stelle mir vor, ich würde strahlen. Genauso hell wie der hellste von ihnen allen. Die Sonne.
Ich wende meinen Blick. Da ist sie. Groß. Mächtig. Wunderschön. Heiß. Strahlend. Ich bin überwältigt. Es ist wie ein überdimensionaler Feuerball. So ein Feuerball wie der, den mein bester Freund immer in seinen Videospielen einsetzt, um seine Gegner zu besiegen. Und obwohl meine Augen wehtun vom Hinschauen, kann ich nicht aufhören das Phänomen zu bestaunen. Je näher ich mich versuche zu ihr hinzubewegen, desto unklarer sehen meine Augen, desto schneller schlägt mein Puls, desto mehr Schwitze ich. Und dann auf einmal, ist sie weg.
An ihrer Stelle ist jetzt die Erde. Da unten ist Südamerika. Es ähnelt einem deformierten Schnitzel, wenn ich es von hier aus betrachte. Ich schwebe weiter. Hier ist Afrika. Wenn man den Kopf nach links dreht, ähnelt es einem komisch gezeichnetem Herzen. So einem, wie meine kleine Schwester es im Kindergarten immer malt. Ich versuche näher ranzukommen, näher an zuhause, aber durch die Schwerelosigkeit sind all meine Bemühungen umsonst.
Plötzlich stehe ich auf dem Mond. Ich sehe von hier aus die Erde noch immer, aber sie ist weiter weg und egal welche Tages-, Monats- oder Jahreszeit es sein mag, von hier aus sehe ich den grün-blauen Planeten, den wir unsere Heimat nennen, immer. Meine Füße sind von grauem Boden umgeben. Die Landschaft hier ist kahl und mager und bietet mir wenig Freude. Da gefallen mir der See und der Wald, an dem ich jeden Morgen zur Schule vorbeigehe, schon besser. Abgesehen davon, dass es kahl und mager ist und mir keine Freude bietet, sind die Krater, wovon es hier eine Menge gibt, einschüchternd. Den einzigen Farbfleck, den ich erkennen kann, ist eine weiße Metallstange mit einem Stück Stoff oben dran. Eine Flagge bei näherer Betrachtung. Die roten und blauen Farben deuten das Muster der Flagge von Amerika und insgeheim hoffe ich es sei die, die Neil Armstrong und Edwin Aldrin auf ihrer Expedition mit Apollo 11 aufgestellt haben. Die erste Flagge auf dem Mond. Der erste Mensch auf dem Mond. Das muss ein unvergessliches Gefühl sein. Wenn man all diese Vorbereitungen und Tests und Übungen hinter sich hat und schlussendlich das erste Mal in einer Rakete vom Erdboden abhebt und dann in eine komplett andere Welt untertaucht, wo die Gesetze der Physik, die wir unser Leben lang kennen, nicht mehr gelten und man von unendlicher Tiefe umgeben ist.
Langsam, aber stetig bewege ich mich auf einen Krater zu. Ich habe Angst. So eine Angst, wie ich sie habe, wenn ich alleine Zuhause bleibe. Einen Schritt vor den anderen setze ich. Schlussendlich stehe ich am Rand dieses Loches und blicke hinab. In diesem Krater ist es dunkel und man kann kaum was erkennen. Ich sehe, dass sich etwas bewegt. Ein kleines Zucken und Zischen erklingt. Jetzt habe ich noch mehr Angst, aber da ich ein mutiges Mädchen bin, gehe ich nicht weg, sondern bleibe stehen bis sich das, was sich bewegt zum Vorschein kommt.
Große, dunkle Augen. Haariger Körper. Gebückte Haltung. Pinkes Fell. Ein flauschiges, undefinierbares Etwas steht vor mir. Es sieht einer Illustration ähnlich, die ich erst letztens in einem Buch gesehen habe. Ich nähere mich langsam dem Wesen. Es blickt mich mit einem verständnislosen Blick an. Seine Ohren ragen von seinem Kopf ab und Zähne kann ich keine sehen. Ich gehe immer weiter darauf zu, doch bevor ich es ansprechen oder berühren kann, löst es sich in Luft auf. Ohne Vorwarnung. Ich schaue mich um, versuche weiter in den Krater zu gehen, um das Lebewesen wiederzufinden, doch nichts funktioniert. Es ist weg. Und keiner wird mir glauben, dass ich es gesehen habe. Das erste außerirdische Leben. Das erste Alien. Und das auf dem Mond, wobei dieser doch bereits so gut erforscht ist. Bevor ich mir Gedanken darüber machen kann, wie ich den Menschen auf der Erde erklären soll, dass es tatsächlich Leben hier gibt, mache ich meine Augen auf.
Ich sehe wieder die Sterne über mir, doch sie scheinen nun nicht mehr so fremd zu sein. Ich frage mich jetzt auch nicht mehr, ob es ein tolles Gefühl ist im Weltall zu schweben, denn das ist es. Ich weiß, dass mir niemand von meinem Abenteuer glauben wird. Weder, dass ich am Mond war, noch einem Alien begegnet bin oder aus nächster Nähe die Sonne sah. Aber irgendwann, wenn ich kein zehnjähriges Mädchen mehr bin, das aufgrund seiner regen Fantasie gehänselt wird, irgendwann werde ich tatsächlich im All schweben neben den Sternen. Irgendwann werde ich genauso berühmt sein wie Neil Armstrong. Irgendwann werde ich diejenige sein, die wirklich ein Alien sieht. Und irgendwann werde ich nicht nur in meinen Gedanken und sehnlichsten Träumen eine Astronautin sein, sondern in echt. Und dann wird mir jeder von meinen Abenteuern glauben, denn dann sind sie nicht mehr in meiner eigenen Welt.