Aufregende Reise
Die Geschichte des olympischen Fackellaufs
Am Leben hält mich in der Fackel eine ganz einfache Gaskartusche. Die ist leicht und muss nicht ständig erneuert werden. Bei früheren Spielen nährten mich auch schon Schwarzpulver, Pech, Harz oder Olivenöl. Diese Brennstoffe haben sich aber vor allem auf meinen ungewöhnlichen Routen nicht bewährt. Denn nur dreimal wurde ich ausschließlich zu Fuß transportiert, bei allen anderen Spielen kamen Transportmittel zum Einsatz – und was für welche! Im Jahr 2000 sah ich das Great Barrier Reef, als ein Taucher mich an die Küste Australiens brachte. 1994 erlebte ich einen Fallschirmsprung, 1992 reiste ich mit Überschallgeschwindigkeit in einer Concorde. Ich saß auf Kamelrücken und Motorschlitten, in einem indianischen Kanu und auf einem Mississippi-Dampfer.
Aber so aufregend das für mich auch sein mag – gespannt sind die meisten Menschen vor allem auf den letzten Läufer, der mich ins Stadion bringt. Der Name des Läufers wird bis zum Schluss geheim gehalten – er steht meist für einen ganz besonderen Gedanken. Oft halten mich Nachwuchssportlerinnen und -sportler in den Händen. Manchmal werde ich aber auch von Menschen getragen, die sonst nicht in einem Stadion zu Hause sind. 1964 beispielsweise hieß der Schlussläufer der Olympischen Spiele in Tokio Yoshinori Sakai. Er wurde am Tag des Atombombenabwurfs in Hiroshima geboren.
*Boykott der Spiele?*
In diesem Jahr war es ... [wird ergänzt] Und jetzt brenne ich – in einem Land, das als Austragungsort der Olympischen Spiele höchst umstritten war und ist. Vor allem, weil die Situation der Menschenrechte „nicht zufriedenstellend“ ist, wie auch der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) festgestellt hat. Aber gerade deshalb hat er jegliche Boykottaufrufe abgelehnt und auf den Zusammenhang zwischen Sport und Ethik hingewiesen. Denn in der Ausrichtung der Spiele liegt, so der DOSB, die Chance, das Land „unumkehrbar zu öffnen“. Die Welt schaut auf China, vor, während und nach Olympia.
Dieses Rampenlicht ersetzt freilich nicht die Politik. Soll es übrigens auch nicht. Überall dort, wo ich brenne, sind politische oder religiöse Äußerungen nicht erlaubt. Das gilt für das olympische Dorf und für alle olympischen Spielstätten. Das ist, auch wenn es in letzter Zeit oft den Anschein hatte, keine Bestimmung, die aus chinesischen Amtsstuben stammt, sondern Bestandteil der olympischen Idee nach Pierre de Coubertin. Die Verabredung ist eine Grundregel der Olympischen Spiele der Neuzeit. Sie verbietet weder den Athletinnen und Athleten noch den Funktionären den Mund, denn außerhalb der olympischen Stätten sind alle frei zu sagen, was sie eben zu sagen haben. Aber dort, wo es um den Sport geht, darf es keine aufgeladene Atmosphäre geben, sondern einen 16-tägigen Frieden, in dem sich die Athletinnen und Athleten gegenseitig achten.
Autorin / Autor: Jana Kellermann - Stand: 13. August 2008