Heimat der verstorbenen Seelen

Wettbewerbsbeitrag von Sarah M. Schulte, 19 Jahre

Da war er schon wieder, der Traum, der den Beginn von all dem hier Revue passieren lässt. In letzter Zeit träumt Nanurjuk immer wieder davon: Zusammen mit ihrem Vater sitzt sie abends in den Wintermonaten draußen vor dem Iglu und beobachtet die Sterne am Nachthimmel. Schon seit geraumer Zeit stellt sie sich die Frage, was eigentlich hinter all den Sternen zu finden ist und wie das alles entstanden ist. In ihrem Volk hat der Himmel und all das da oben eine große Bedeutung. Immer wieder hat ihr Vater davon erzählt, dass dort oben die Heimat der Seelen der Verstorbenen ist und auch ihr Name so viel bedeutet, wie „der Stern“. Doch das reicht ihr nicht. Sie will wissen, was dort oben wirklich ist, wo ist der Beginn von all dem und sind sie wirklich alleine? Es sind einfach so viele Fragen, auf die es bisher keine vernünftige Antwort für sie gibt.

Der Wecker klingelt und Nanurjuk schreckt auf, obwohl sie jetzt schon seit geraumer Zeit hier wohnt - in der Welt außerhalb des ewigen Eises - erschreckt sie sich jeden Tag aufs Neue. Früher ist sie immer dann aufgestanden als sie es für richtig hielt, denn im hohen Norden tickt die Zeit irgendwie anders. Doch heute ist ein wichtiger Tag, es ist der Tag ihrer Abschlussprüfung und der Weg ins All.
Vor 15 Jahren hat sie diese Entscheidung getroffen, sie war gerade einmal 12 Jahre alt, doch der Wunsch, all die Fragen klären zu können, die sie sich schon immer gestellt hat, waren größer als das ungute Gefühl, das Leben im hohen Norden hinter sich zu lassen. Nicht, dass das Leben dort schlecht war, nein es war wahrscheinlich das Beste, was ihr hätte je passieren können, doch sie wollte etwas entdecken. Nanurjuk entschied sich für das Leben als Internatsstipendiatin. Dafür musste sie hart kämpfen, denn es war nicht gerade einfach, einen Platz für die begehrten Plätze an der Ryerson Universität in Kanada zu bekommen. Es fiel ihr nicht leicht, ihre Familie zu verlassen, doch sie wusste, wenn sie es nach ganz oben schafft, steht der Weg für sie in alle Richtungen offen.

Schnell zog sie sich um und schmiss ihren Rucksack über, in dem sie schon vor Tagen die wichtige Erfindung und das Zubehör zurechtgelegt hat. Nur derjenige mit der besten Erfindung bekommt das Ticket für einen Weg ins All und die Möglichkeit, sein eigenes Projekt umzusetzen. Im Prüfungssaal angekommen, sitzen schon die anderen. Sie weiß, dass ihre Erfindung einzigartig ist, ja vielleicht sogar atemberaubend, denn sie ermöglicht viel... sehr viel! Es ist so weit, die wohl wichtigsten 15 Minuten ihres Lebens stehen bevor. Sorgfältig packt Nanurjuk ihre Erfindung und die dazugehörigen Plakate und Berechnungen aus… da war das gute Stück, eingehüllt in samtiges Stückstoff- die „Malina“. Nicht sehr kreativ, aber sie wollte unbedingt einen Bezug zu ihrer Heimat, den Inuit, haben, also wählte sie den Namen der Sonnengöttin. Das Besondere der Erfindung ist nämlich, dass dieser kleine Chip es möglich macht, die gesamte Energie der Sonne zu bündeln und somit unfassbar viel Energie speichern kann, um das Reisen im All - sogar in die unbekannten, entfernten Sphären - zu ermöglichen. Als sie ihren Vortrag beendet hat, bekommt sie sogar Standing Ovations, selbst ihre Eltern hatten all das Geld gespart, um heute hier sein zu können, und es scheint ein voller Erfolg zu sein. Jetzt heißt es nur noch warten, bis die restlichen Studenten fertig sind und das Ergebnis verkündet wird. Nach gefühlten Stunden ist es so weit, Nanurjuk hält den Atem an. Sie kann die erste Inuit im All sein und das sogar als Frau. Sie schließt ihre Augen, und dann ist es so weit: “… der Gewinner des Stipendiumpreises ist Liam Davis“. Nanurjuk schießen die Tränen in die Augen, waren all die Jahre umsonst? Sie hatte alles gegeben und nun ist der Traum geplatzt. Doch plötzlich bittet der Direktor der Universität um Ruhe, alle Blicke richten sich wieder nach vorne. „In diesem Jahr werden wir auch noch eine zweite Person ehren, und es ist uns eine ganz besondere Freude, heute den Fundamental Physics Prize zu vergeben und die Möglichkeit, eine eigene Forschungsgruppe für die Weltraumforschung zu leiten“. Die gesamte Menge verstummt. Dieser Preis war noch höher als der ausgeschriebene, den Liam Davis gerade erhalten hat. “Nun der Preisträger ist... Nanurjuk Ashevak." Ihr stockt der Atem, sie hat gerade Geschichte geschrieben.

Die Ereignisse der letzten Woche sind so schnell vergangen, dass Nanurjuk gar nicht alles verarbeiten konnte. Vor 14 Tagen ist sie zusammen mit einem Team ins All aufgebrochen und schon in wenigen Stunden wird sie der erste Mensch sein, der „Silla“ betritt. Laut ihren Berechnungen zufolge, ist „Silla“ einer der wenigen Planeten, die der Erde am ähnlichsten sind. Eigentlich wäre der Weg viel zu weit gewesen, um diesen Planten jemals zu erreichen, doch „Malina“ hat es ermöglicht, die benötigte Energie zu speichern und nutzbar zu machen, um den Flug hierhin zu verschnellern. Plötzlich wird es ganz still, alle Beteiligten der Mission schauen aus dem einzigen kleinen Fenster am Ende der Kapsel. Vor ihnen erstreckt sich eine riesige Landschaft aus schwebenden Seen, atemberaubenden Felsformationen und… und was ist das... kleinen Lebewesen, die aussehen wie Elfen. An ihrem Rücken befinden sich durchsichtige Flügel mit unterschiedlichen Symbolen. Jeder von ihnen ist damit beschäftigt, einer Tätigkeit nachzugeben. Nanurjuk schießen viele Fragen durch den Kopf, sind das die Seelen der Verstorbenen, wovon ihr Vater immer erzählt hat? Oder ist es ihr gerade gelungen, andere Lebewesen zu entdecken? Eins steht auf jeden Fall fest, dieser Anblick rührt sie zu Tränen, bereitet ihr aber auch Sorgen. Denn das, was sie hier sieht, ist eine intakte Welt, die im Gegensatz zur Erde noch nicht den negativen Einflüssen von uns Menschen ausgesetzt ist. Es scheint eine Welt aus Frieden, nachhaltigem Anbau und Lebewesen mit Wertschätzung zu sein, die keinesfalls durch uns Menschen zerstört werden darf. Sollten sie ihre Entdeckung wirklich den Menschen preisgeben?

Alle Infos

Die Über All Lesung

Lasst euch von sieben der Preisträger:innen des Wettbewerbs Über All in ferne Welten entführen

Die Über All-Preisträger:innen

Vielen Dank an alle Teilnehmenden für diese spannenden Exkursionen ins All und herzlichen Glückwunsch den Preisträger:innen

Die Über All Jury

Teilnahmebedingungen

Preise - Das gibt es zu gewinnen!

Schirmherrin Dr. Suzanna Randall

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