All(ein)?

Wettbewerbsbeitrag von Sofia Chautems, 20 Jahre

Das gleissende Licht des Labors spiegelt sich in den mit Flüssigkeiten gefüllten Bechergläsern. Eine durchsichtige Lösung blubbert in einem Glas über der Tonplatte des Bunsenbrenners. Das gleichmässige Surren der Dunstabzugshaube lässt die Kosmochemikerin Carla beinahe in einen Dämmerschlaf verfallen. Es ist spät im Speziallabor für Astrowissenschaften und ihre Laborpartner sind schon lange im Feierabend. Trotzdem ist es wichtig, dass Carla die Gesteins- und Liquidproben des neu entdeckten Planeten MOE-03 noch vor Tagesanbruch analysiert und kategorisiert. Ja, richtig gelesen, es wurden Flüssigkeiten auf dem Planeten gefunden und die müssen jetzt auf wasserähnliche Mineralien geprüft werden. Wegen des voranschreitenden Klimawandels ist die Menschheit schon seit geraumer Zeit auf der Suche nach einer zweiten Erde.

Diese wichtige Arbeit kann nicht bis morgen warten, darum kämpft Carla jetzt allein im sterilen Labor gegen die Müdigkeit an. Mit der linken Hand stabilisiert sie die rechte, die eine gläserne Pipette hält und ein Pröbchen einer dunkelblauen Flüssigkeit auf ein pH-Messblättchen tropft. Ein dumpfes Grollen ertönt im Gang der Forschungsanstalt. Von dem Geräusch aufgeschreckt zuckt Carla zusammen und träufelt gleich mehrere dicke Tropfen auf das Papier. Das Papier, welches eigentlich auch starken Säuren standhalten sollte, zieht sich zusammen, ändert zwei Mal die Farbe und fällt schliesslich als feiner Staub auf die Oberfläche der Laborinsel. Verdutzt schüttet Carla das Pulver in den Abfallcontainer und kreuzt auf der pH-Skala «unbekannt» an. Wieder ertönt das dumpfe Grollen. Diesmal wird es von einem herzzerreissenden Jaulen begleitet. Carla will schon aufstehen und nachsehen, woher der Lärm kommt, doch sie erinnert sich, dass die Astrobiologen heute eine riesige Ladung mit organischem Material von dem Planeten MOE-03 erhalten haben. Die ganze Forschergruppe habe anscheinend, so hat das Carla in einer Kaffeepause erfahren, eine Pressekonferenz auf den frühen Morgen gelegt, aber mit keinem Wort erwähnt, um was es sich handeln könnte. Diese Geheimniskrämerei ist wieder typisch. Wahrscheinlich verursachen verschiedene Testdurchläufe der Biologen diese dumpfen Geräusche.

Leise summend widmet sich Carla wieder ihrer Arbeit. Die Substanz, welche vorhin leise vor sich hin geköchelt hatte, wirft nun riesige gelbe Blasen, die alles andere als wasserähnlich aussehen. Selbst der Aggregatszustand scheint sich zu verändern: Am Boden des Becherglases hatten sich schwarze Klumpen abgesetzt, die eine gelbe Flüssigkeit ausstossen. In regelmässigen Abständen sprudelt die Flüssigkeit. Mit gerunzelter Stirn schaltet Carla den Bunsenbrenner aus und sucht nach der Tiegelzange. Irgendein übereifriger Praktikant scheint sie jedoch schon weggeräumt zu haben. Carla wühlt in der untersten Schublade herum und greift schliesslich nach einer alten, verrosteten Zange. Die muss reichen. Sie richtet sich auf und will gerade das Becherglas von der Tonplatte nehmen, als ihr auffällt, dass die schwarzen Klumpen in der Flüssigkeit verschwunden waren. Wahrscheinlich haben sie sich in der warmen Flüssigkeit aufgelöst, denkt sie.

Gerade will sie auch diese Flüssigkeit in den Abfallcontainer schütten, als das dumpfe Grollen wieder ertönt. Es ist nun lauter und ein haarsträubendes Kratzen mischt sich zur Geräuschkulisse. Nun muss Carla doch nachsehen. Gähnend streift sie ihre Handschuhe ab und schiebt die Sicherheitsbrille ins Haar. Nachdem sie sichergestellt hat, dass alle Fläschchen wieder luftdicht verschlossen sind, streicht sie den Laborkittel glatt und öffnet die Tür. Draussen auf dem Gang ist es gleich viel wärmer als im runtergekühlten Chemielabor. Carla folgt dem Grollen, bis es plötzlich verstummt. Die Kosmochemikerin will sich schon wieder umdrehen und in ihr Labor zurückkehren, als es im Astrobiologielabor klirrt. Eine Millisekunde später ertönt ein Platschen, als würde jemand ein nasses Handtuch auf den Boden werfen. Neugierig öffnet Carla die Sicherheitstür und hat nicht mal mehr Zeit zu schreien, als etwas Schleimiges sie ins Labor zieht.

Alle Infos

Die Über All Lesung

Lasst euch von sieben der Preisträger:innen des Wettbewerbs Über All in ferne Welten entführen

Die Über All-Preisträger:innen

Vielen Dank an alle Teilnehmenden für diese spannenden Exkursionen ins All und herzlichen Glückwunsch den Preisträger:innen

Die Über All Jury

Teilnahmebedingungen

Preise - Das gibt es zu gewinnen!

Schirmherrin Dr. Suzanna Randall

EINSENDUNGEN

Autorin / Autor: Sofia Chautems