„Nicht ich bin die Böse, du machst mich zur Bösen. Du hast gar keine Ahnung, wie es ist, alleine zu sein. Niemanden zu haben, der dich versteht. Für dich gab es immer deine Artgenossen, die nachempfinden konnten und dir zuhörten. Von mir gibt es nur mich. Ein hässliches, leeres Unikat.“ Die Worte sprudeln nur so aus ihrem Mund, während sie mit den Tränen kämpft. Dieses Mal schmerzt es besonders. Sie dachte wirklich, er sei das Licht in ihrer Dunkelheit und das war er auch. Für einen Wimpernschlag. So plötzlich, wie er kam, ging er auch wieder, mit der Begründung, er könne nicht mit dem Wissen leben, dass sie ganze Arten und Welten zerstört, nur weil sie einsam sei. Er könne mit diesem Wissen nicht an ihrer Seite bleiben.
Infinity gibt sich selbst die Schuld daran. Immerhin ist der Kabru vor ihr, ein drei Meter hohes Gesteinswesen aus Obsidian und Kohle, ihrer Vorstellung von Selbstlosigkeit entsprungen. Sie hat ihn so erschaffen, was erwartet sie da anderes? Nicht zum ersten Mal steht sie sich somit selbst im Weg.
Als Universum gestaltet es sich sehr schwierig, die Liebe zu finden. Alles, was sich im Universum befindet, selbst die Materie, ist sie. Infinity ist keine Person, sie ist ein Raum voller Energie, die sie nach Belieben formen und gestalten kann. So wie sie es bei dem Kabru gemacht hat, bei allem anderen im Universum und bei ihrer Manifestation, die sie Mensch nennt.
„Ich kann dieser Jemand für dich sein, aber nicht unter diesen Voraussetzungen.“ Seine Stimme zittert vor Trauer. Wie sehr er sich doch wünscht, diesen selbstlosen Teil abschütteln zu können und ihr das zu geben, was sie so lange gesucht hat. Stattdessen ist er der Grund, warum sie Tränen unterdrückt und diesen leeren Blick hat. Er hasst sich dafür, weil er sie nur beinahe bedingungslos liebt, aber als Ebenbild der Selbstlosigkeit, kann der Kabru nicht als Einziger überleben und den Rest dem Tod überlassen. Oder in diesem Fall, Infinity.
Der Kabru macht einen Schritt auf sie zu. Infinity weicht zurück, dreht ihm den Rücken zu und streicht sich schnell eine Träne von der Wange. Gefühle sind etwas Schreckliches. Sie machen alles viel schlimmer. Auch in diesem Fall.
Vielleicht ist der Schöpfer dazu verdammt, niemals die wahre Liebe bei seiner eigenen Schöpfung zu finden. Denn von niemandem bedingungslos geliebt zu werden, scheint ihr Fluch zu sein.
„Du wählst alle anderen, anstelle von mir?“ Infinity deutet auf die offenstehende Doppeltür, welche zum Balkon führt, der einen atemberaubenden Ausblick auf das Universum schenkt. Der Kabru schweigt, doch sie kann ihn spüren. Durch die Materie um ihn und in ihm. Sie kann sein Nicken fühlen.
Das letzte bisschen ihrer Vernunft stirbt und somit die schwindend geringe Chance auf eine gemeinsame Zukunft. Die angelehnte Tür ist mit einem Kopfnicken zugeschlagen worden, sowie die Tür zu ihrem Herzen nun verschlossen und verriegelt ist.
Eine letzte Träne rinnt ihr über die Wange.
„Dann soll es so sein. Wenn du in mir die Böse siehst, will ich dafür sorgen, dass es begründet ist.“ Sie reißt sich zusammen, strafft die Schultern und dreht sich schwungvoll um. Bis zu diesem Moment war ein Ausdruck von Schmerz in ihren Gesichtszügen zu erkennen, jetzt ist dort Entschlossenheit zu sehen.
Eigentlich hatte sie nicht vor, den Kabru in diesem Ausmaße leiden zu lassen, doch es bleibt ihr nichts anderes übrig. Er muss den gleichen Schmerz spüren, den er ihr zugefügt hat. Und das wird ihr am besten gelingen, wenn sie ihm seinen Albtraum vor Augen führt.
Ohne ein Wort zu sagen, schreitet sie an ihrer Liebe vorbei nach draußen. Er folgt ihr, jedoch nicht aus freiem Willen. Infinity übernimmt die Kontrolle seiner Muskeln, sodass er ihr nach draußen folgen muss.
Zum ersten Mal, seit sie sich kennen, hat er Angst vor ihr. Das Funkeln in ihren Augen ist bedrohlich und da er weiß, wie mächtig sie ist, fürchtet er das Schlimmste. Er versucht sich gegen die unfreiwillige Bewegung zu wehren, doch es passiert nichts. Schweigend muss er zusehen, wie sie auf das Geländer steigt, dort verharrt und die Arme hinter dem Rücken verschränkt. Dies ist sein Werk. Seine Schuld.
Infinity spürt seine Angst und dreht sich um.
„Warum plötzlich so ängstlich? Du bekommst das, was du wolltest.“ In der Hoffnung, die Liebe zu ihm verdrängen zu können, konzentriert sich Infinity allein auf ihre Wut. In ihrer gesamten Materie, spürt sie sie wie Elektrizität knistern. Sie legt den Kopf in den Nacken und schließt die Augen.
„Ich hatte vor, das Leben mit einer einfachen Implosion, die zugleich Ende und Anfang bedeutet, auszulöschen, doch du hast mich zu Leid inspiriert.“ Infinity lässt sich von ihren Gefühlen leiten und greift nach der kompletten Energie aller Lebewesen im Universum. Sie will, dass sich jeder vor dem Ende so fühlt, wie sie sich gerade.
Eine Hand um das Herz, die immer stärker zudrückt und das Leben herausquetscht. Kochendes Blut. Brennende Haut und eine gebrochene Seele, die verblutet.
„Infinity, das bist nicht du.“
„Doch, genau das bin ich. Was glaubst du? Dass ich das zum ersten Mal mache? Es gab vor dir so viele andere Wesen, bei denen ich das Licht gesucht habe und es wird noch so viele nach dir geben. Genau wie es mit den Universen ist. Unzählige habe ich erschaffen, nur um sie gleich wieder zu zerstören. Ich hasse mich selbst und meine Erschaffungen, nichts ist gut genug. Ich ertrage diese Leere einfach nicht mehr.“ Nicht nur ihm tun ihre Worte weh, auch ihr blutendes Herz schmerzt, weil sie weiß, dass es Lügen sind. Noch nie hat sie so jemanden geliebt wie ihn. Wie sollte sie jemals über ihn hinwegkommen, geschweige denn jemand anderes lieben können?
„Du kannst niemanden lieben, wenn du nicht endlich anfängst, dich selbst zu lieben. Du bist mehr als du dir eingestehst. Mehr als wir alle zusammen.“
Die Wahrheit in seinen Worten macht Infinity so wütend, dass sie dem Wunsch der Wesen nachkommt und alles mit einem Schrei, tief aus ihrem leeren Inneren, und einer blutigen Implosion, aus roten, kleinen Perlen von Blut, auslöscht.