Der Himmel wurde immer dunkler und die wenigen Wolken färbten sich zu prallen orangen und gelben Farben. In den Vierteln am Rande der Stadt war es dreckig. Stimmengewirr folgte den Leuten, die sich durch die schmalen Gassen bahnten. Am Ende des Hauptweges ragte ein größeres Haus hervor, auf seinem festgenagelten Holzbrett an der Front stand: “Noahs Mechanik“.
Vor jenem Haus schrien sich zwei Jugendliche, ein durchtrainiertes Mädchen und ein Junge mit grünen Haaren, gegenseitig an. Dann hörte man deren laute Seufzer und Stille traf wieder über die Straße ein
„Komm schon Noah, nur noch ganz kurz.“ Das Mädchen hatte sich wieder aufgerichtet, sie war um einen Kopf größer als der Junge, welcher seine Augen etwas heben musste, um ihr einen kalten Blick zuzuwerfen.
„Ich habe dir jetzt schon drei Mal gesagt, dass wir schließen.“
„Aber ich brauche wirklich nur noch ganz kurz, dann verspreche ich dir, dass ich nicht einmal mehr Platz für Aufzeichnungen habe.“
„Ich dachte mir, da ist überhaupt gar kein Platz mehr drauf.“ Sein Blick schweifte zu der alten Ledertasche, die an allen Seiten abgerieben war. Zwischen den Fächern waren mehrere gelbe Papiere, neue Tinte mit kurzen schwungvollen Buchstaben darauf geschmiert.
„Okay, aber nur noch zehn Minuten!“
„Danke, du bist ein Schatz!“ Mit einem Kuss auf seine Wange lief das Mädchen wieder hinauf, setzte sich auf die Fensterbank und stellte das Teleskop wieder auf.
Ihre Augen erfüllten Millionen von Sternen, immer wieder unterbrochen von Planeten, Monden und in jenem Moment war sogar ein Meteoritenschauer in ihrem Blickfeld. Mit einem lauten Staunen riss sie sich von der Aussicht los und skizzierte auf die Rückseiten der vollgeschriebenen Blätter. Nach ein paar Minuten kam auch Noah wieder.
„Hey! Linda!“ Er schmiss ihr einen roten Schlüssel zu.
„Du kommst morgen sowieso wieder. Sperr ab!“
Das Mädchen grinste vor sich hin während sie hastig weiter auf ihre Papiere krakelte.
Am nächsten Morgen, als Noah wieder in den Laden kam, erblickte er einen zusammengesackten Körper, an den Fensterrahmen gelehnt. Die Hände, die dazu gehörten, bewegten sich langsam und die Wörter, die sie schrieben, füllten nur noch die noch die kleinen Plätze zwischen den Zeilen, an denen sich noch keine Tinte befand. Er beäugte dieses Geschehen beeindruckt. Linda warf einen Blick auf den Jungen, dessen Schritte sie halbwegs geweckt hatten. Dann erfüllte ihr Gesicht ein starkes Leuchten, ihre Müdigkeit weggedrängt.
„Ich hab’s gefunden.“, flüsterte sie unter ihrer Jacke hervor. Dann erfüllten sie wieder die dunklen Augenringe und zusammenbrechende Augenbrauen und gleich darauf schlief sie wieder ein. Noah betrachtete sie, ihre Information würde sie ihm später sagen. Jetzt gab es nur die schlafende Linda und Noah, der sie mit einem liebevollen Blick mit einer dünnen Decke einhüllte.
Lindas Schritte hallten durch den Korridor. Ihre Füße bewegten sich mit energischem Abstoß. Neben ihr liefen geschäftige Menschen mit Anzug und Stöckelschuhen. Jeder brüllte etwas, in deren Handy oder an die Menschen nebenan. Sie bewegte sich leise voran, wie immer in Trainingshose und engem T-Shirt. Schließlich kam sie zu einer mintgrünen Tür. Sie klopfte. Zwei Mal. Als die Tür endlich geöffnet wurde, erblickte sie ein gewaltiger Saal, in der Mitte ein langer Tisch an dem sich die Bäuche weißhaariger Männer reihten. Sie ging schnell zur Tafel, die am Anfang des Tisches aufgestellt war.
„Hallo. Ich heiße Linda Kowalski und möchte ihnen heute eine Zukunft vorstellen. Wie ihr alle immer im Kopf habt, bin ich am untersten Ende der Nahrungskette in dieser Gesellschaft. Was ihr auch alle wisst, ist, dass jeder, der am unteren Ende ist, nach oben kommen will. Also habt ihr viele arme Leute, habt ein vermodertes Gebäude stehen gelassen, von dem ich nun berichten kann, dass es eine erfolgreiche Schule geworden ist, und von dieser Schule kommen schlaue Kinder, die wenig Bildung schätzen. Und von diesen Kindern erhofft ihr euch immer mehr Ideen. Und sie werden angetrieben von dem Gedanken, genug wert zu sein, dass ihr Name in den hohen Kreisen fällt.
Nun jetzt habt ihr endlich eure große Idee. Ich weiß, dass ihr halb gehofft habt, dass sie, wie genau jetzt, einfach zu euch kommen wird. Denn dieser Planet stirbt. Dieses Problem habt ihr sicher gut in euren Köpfen. Und ich habe eine Lösung dazu!
Ich brauche ein sicheres Raumschiff. Ich habe eine Konstellation von Planeten entdeckt, die eine Atmosphäre, gut genug für Menschen zu überleben, bilden. Und ich will deren Gegend erkunden.“
Sie hängte ein paar der alten Blätter auf und diese wurden vergrößert, um die Männer erstaunen zu lassen. Vor ihren Augen war auf den ersten Blick die Weiten ihrer Galaxie, auf den zweiten Blick erkannte man die zusammengefassten Linien von drei Planeten. Auf dem zweiten Papier eine noch nähere Ansicht, die Linda durch eingebauten Verspiegelungen erblicken hatte können.
Nach einer folgenden großen Diskussion schüttelte Linda alle faltigen Hände mit Erfolg in ihrem Gesicht. Sie hatte es geschafft. Sie würde aus dieser Hölle hinauskommen.
Auch Noah hatte gleich die Gelegenheit, die sie ihm vor drei Stunden bot, erkannt und hatte angefangen zu packen. Es kam ihm irrsinnig vor, aber alle hatten schon zu lange auf eine Hoffnung gewartet. Und nun war sie da, der Verstand von Linda Kowalski.
Am darauffolgenden Tag hatten sie schon alles bereit. Jeder wollte eine neue Entdeckung, jemanden ins All für bessere Bedingungen schicken. Für mehr als den Betonklotz, der sich zu schnell in ihre Welt gebahnt hatte und nicht mehr wegwollte.
Sie brauchte Noah als Co-Pilot, als Unterstützer und als Freund. Also stiegen sie ein paar Stunden später zusammen in das experimentell sicherste Raumschiff, das sie eines Tages zum Ziel bringen würde. Der Countdown begann, die beiden Jugendlichen krallten sich in ihre Sitze.
3, 2, 1… mit einem heftigen Druck starteten sie. Für den Planeten waren sie eine weitere Hoffnung für Rettung. Eine Chance mehr für Überleben, eine Chance mehr einfach einzuatmen und aufzuatmen.
Für Linda und Noah aber gab es nur die Sterne in ihren Augen.