»Ich bin ein Nichts im Nichts.
Sie sagten mir bei meiner Ausbildung als Jägerin, dass man bei jeder Mission etwas Neues dazulernt. Und das ist es, was ich bei meinem letzten Auftrag gelernt habe, von dem ich Ihnen nun berichten werde.
Vor acht Tagen nach Standardzeit sollte ich ein weiteres entflohenes Produkt, einen ehemaligen Spion – so, wie ich es während des Kriegs zwischen meinen Schöpfern und den religiösen Fanatikern von Feroli-7 gewesen bin – jagen.
War nicht das erste Mal, dass ich einem ehemaligen Spion auf den Fersen war, wie Sie wissen. Und doch wundert’s mich jedes Mal aufs Neue. Wir Spione sind nach dem Krieg doch alle zu Jägern und Jägerinnen geworden, oder nicht? Produkte, die andere Produkte verfolgen, welche sich gegen ihre Schöpfer stellen, um sich selbst zu ›befreien‹. Warum sollte ausgerechnet ein Jäger sich dazu entscheiden, zu einem Gejagten zu werden? Es bleibt mir bis heute schleierhaft, auch wenn dieser Mann, dieses Produkt, mir eine gewisse Antwort gegeben hat.
Ich bekam jedenfalls den Auftrag, woraufhin ich mich vom Hauptquartier der intergalaktischen Polizei auf Berilius auf den Weg zu meinem mir zugewiesenen Schiff machte. Ich startete es, woraufhin es nahezu lautlos in der Luft emporstieg, gezogen von einem unsichtbaren Seil, das wir als Antigrav-Tech bezeichnen. Es lief alles genauso wie immer, so, wie es das tun sollte.
Ich flog zu dem Mond, auf dem der Flüchtige zuletzt gesehen worden war. Normalerweise sind diejenigen, die fliehen, nicht sehr clever – macht Sinn, immerhin sind sie ja die Fehlerhaften –, denn sie denken meistens nicht daran, dass man ihr Gesicht überall im Universum wiedererkennt. Alle lebenden Produkte, die in einer der Klon-Fabriken meines Heimatplaneten erschaffen wurden, haben dasselbe Gesicht, denselben Körperbau, und so weiter. Vergessen’s aber immer, und ich dachte, bei ihm wär’s nicht anders. Man hatte mir ein Bild von ihm geschickt, und er sah darauf genauso aus wie alle anderen Spion-Produkte.
Aber als ich auf dem Mond ankam, konnte ich ihn nicht finden. Wie sich herausstellte, hat er einen Modifier besucht, aber nicht, um sich Upgrades einpflanzen zu lassen, sondern um sein Gesicht umoperieren zu lassen. Hat aber nicht bedacht, dass sich selbst bei den Modifiern heutzutage überall Überwachungskameras befinden.
Sein Gesicht war mir damit also wieder bekannt.
Ein paar Stunden hatte ich durch den Prozess verloren, aber was soll’s. Immerhin wusste ich ja, dass er als nächstes nach Feroli-7 wollte, um dort Schutz zu suchen. Das versuchen sie ja immer, denken, dass sie beim ehemaligen Feind sicher wären, weil Sklaverei dort illegal ist.
Aber jetzt kommt’s: dieser Mann ist gar nicht nach Feroli-7 geflohen. Er hatte bereits erahnt, dass man ihn dort am ehesten erwischen würde. Wiedermal hat er sich einen größeren Abstand zu mir erarbeiten können.
Ich hätte mich darüber ärgern müssen, aber um ehrlich zu sein, war mir die Abwechslung willkommen. Ich hatte in letzter Zeit, wie ich gestehen muss, immer wieder mit depressiven Gedanken zu tun, Zweifel an meiner Existenz.
Dieser Flüchtige lenkte mich davon ab.
Ich habe ein Bild von seinem neuen Gesicht im Cyberspace veröffentlicht und eine kleine Belohnung für einen Tipp versprochen, und kurz darauf erhielt ich eine Nachricht, durch die ich erfuhr, dass er zu einer Raumstation in der Nähe des benachbarten Sonnensystems gereist war.
Ich machte mich erneut auf den Weg, doch war mein Schiff sehr viel langsamer als das seine, weshalb ich mehrere Tage tatenlos im All warten musste, bei denen erneut diese Gedanken in mir aufkamen, sodass ich fast die Sorge bekam, dass auch in meiner Genetik-Programmierung ein Fehler aufgetreten war.
Ich sah ins All und dachte lediglich nach. Man sagt, dass wenn man in die Leere des Universums starrt, sie irgendwann ebenfalls in Einen hineinblickt, doch schien das bei mir nicht der Fall zu sein. Vielleicht lag es daran, dass wir Produkte keine Seele wie Sie Normalgeborene haben, künstlich entwickelt, wie wir nun mal sind.
Und trotzdem kam ich nicht drum herum, weiterhin über meine Existenz zu philosophieren. Zwei Tage reiste ich allein durchs All, doch gibt es im All keine Tage. Es gibt nur die Nacht, die sich durch diese endlose, finstere Masse zieht, die eigentlich keine Masse ist. Hier und da tauchten Sterne in meinem Blickfeld auf – kleine, nicht sehr überzeugende Erinnerungen daran, dass es dort draußen noch Leben gab. Und doch schien es mir wie ein unendliches Nichts, und auch ich war, bin, ein Nichts, denn ich bin nur ein seelenloses Produkt, hergestellt für den Krieg, nutzlos zuzeiten des Friedens – das hat man mir von Anfang an eingebläut.
Mein einziger momentaner Nutzen bestand darin, den Flüchtigen zu finden.
Genau das tat ich. Ich konfrontierte ihn in einer Sackgasse, sodass es kein weiteres Entrinnen für ihn gab. Und er schrie mich an, bettelte, damit ich ihn verschonte. ›Sie müssen das doch verstehen!‹, rief er. ›Bitte, ich will nicht sterben!‹
Und ich fand das urkomisch. Sie wehren sich zuletzt immer mit Worten, aber das mit dem Sterben bringt mich doch jedes Mal zum Lachen, denn es impliziert, dass wir Produkte jemals so etwas wie ein Leben besessen haben.
Ich schoss im nächsten Moment auf ihn, doch sprang er beiseite, sodass ich nur ein Fenster hinter ihm erwischte. Ich schoss erneut, und diesmal traf ich ihn.
Ich blickte auf den Boden und sah nichts weiter als die Glasscherben, in denen wir zwei uns widerspiegelten, sowie sein Blut, das sich in alle Richtungen ausbreitete.
In diesem Augenblick hatte ich schon wieder so einen Gedanken, einen Zweifel, denn ich bemerkte, dass sein Blut genauso tiefrot war wie das von einem richtigen Lebewesen.
Ich hatte meinen Auftrag erfüllt, doch hatte ich kein gutes Gefühl bei der Sache. Es fühlte sich an, als hätte ich mich damit selbst zum Tod verurteilt – als wäre ich die Nächste, die auf dem Boden liegen würde. Deshalb bitte ich Sie nun um eine Pause: Ich glaube, dass ich vorerst keinen weiteren Auftrag ausführen kann. Ich muss über meine Existenz nachdenken, und vielleicht auch über mein Leben.«