Fiona ging den Flur des Hauses entlang, in dem sie mit ihrem Vater eine kleine Wohnung bezog. Ihr Herz klopfte. Ihre Hände schwitzten. Das Buch, dachte sie. Sie ließ ihren Rucksack den Arm heruntergleiten und griff an den Reißverschluss, da rutschte ihr das Buch aus den Händen und fiel aufgeschlagen zu Boden. Sie ging schnell in die Hocke und packte es ein. Es war ihr Lieblings-Science-Fiction-Roman: „Lonesome Star“.
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„Woran denkst du gerade?“, fragte Luna.
Fiona drehte sich auf den Rücken.
„An nichts.“
Luna schmunzelte.
„Wenn dein Kopf leer wäre, dann wärst du schon längst eingeschlafen.“
Fiona kniff die Augen zusammen. Erst ertönte ein kleines Lachen, dann bahnten sich Tränen ihren Weg aus ihren Augen. Luna legte den Arm um sie. Fiona weinte.
Der Raum erfüllte sich mit dem melancholisch-blauen Licht, dass die Erde von der Sonne zurückwarf und nun in die Raumstation schickte. Unglaublich wie die Erde, der Planet des Lebens, für alle umliegenden Himmelskörper nichts anderes als kaltes, gespenstisches Licht übrig hat, dachte Luna vor sich hin. Fiona räusperte sich und setzte sich auf.
„In meinem Kopf spinnt einfach noch die Entdeckung herum, die wir gemacht haben. Ich kann dir leider nicht sagen, worum es geht.“
„Das ist schon okay.“, Luna streichelte Fionas Schläfe und strich ihr Haar zur Seite, „Du kannst mir trotzdem erzählen, wie du dich fühlst. Das kann dir keine wissenschaftliche Schweigepflicht untersagen.“
Fiona lächelte wieder. Sie drehte ihren Kopf und gab Luna einen langen Kuss. Nach mehreren synchronen Atemzügen lösten sich ihre Lippen wieder und Fiona legte ihre Stirn an die von Luna.
„Wenn ich bei dir bin, fühle ich mich sicher. So viel steht fest.“
Sie legten sich wieder hin, eng umschlungen. Der Mond, auf dem sich die Station befand, ging weiter seiner üblichen Rotation nach und das blaue Erdlicht erlosch im Zimmer. Für diese Nacht würde es nicht mehr blau leuchten.
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Timo Wendelin marschierte mit geschwellter Brust vor dem Gremium auf und ab und erläuterte den Verlauf der Mission.
„Also meine Herren, während wir hier sitzen ist Dr. Fiona Grünewald auf dem Weg durch das Wurmloch, um ihre Theorie über den Zeitsprung in die Tat umzusetzen. Sie wird eine Reise in eine Zeit des frühen Entstehungsstadiums unseres Sonnensystem unternehmen und Daten darüber sammeln. Dadurch wird es uns in Zukunft leichter fallen die Spuren von Sonnensystemen besser lesen zu können, um nach alternativ-bewohnbaren Welten zu suchen. Noch Fragen?“
„Zu welchem genauen Zeitpunkt wird sie denn reisen?“
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„6. September 2023“
Fiona las flüsternd vor sich hin. Dieses Datum stand auf dem schon fast verblassten Bibliotheksstempel hinter den Worten „ausgeliehen am“, des Romans „Lonesome Star“. Fiona prüfte ob der Umschlag noch zwischen den Seiten steckte, dann klappte sie das Buch wieder zu. „Ein Zwischenstopp. Dann bin ich die Albträume für immer los. Die Falten wären glatt gebügelt.“ Sie stockte.
„Die Falten wären glatt… gebügelt.“
Ihr Blick ging wieder auf das Kontrollpult. 2032, 2031. Fiona drosselte das Tempo. Die Geschwindigkeit ging auf Monatsebene, dann Wochen-, dann Tagesebene. Plötzlich bewegten sich nur noch Stunden.
„12. Mai 2031“
Fiona stoppte ganz und klinkte sich aus dem Zeitstrahl aus.
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Zwei Frauen betraten die gigantische Wäscherei der Raumstation. Eine trug eine blaue Uniform mit einem Sternen-Symbol. Die andere einen blass-grauen Kittel und ein feuerrotes Kopftuch.
„Danke, dass ich bei dir sein darf… Ich will nur meinen Kollegen für gewisse Zeit aus dem Weg gehen.“
„Versteht ihr euch nicht, oder wie?“
„Doch schon. Es ist nur, sie bedrängen mich etwas. Sie fordern von mir die Lösung zu dem Projekt an dem wir arbeiten und ich bin aktuell nicht fähig, diese zu liefern. Geschweige denn, bezweifle ich, sie jemals liefern zu können.“
„Aber, es hat doch einen Grund, dass du die Chef-Astrophysikerin bist!“
Im Hintergrund gingen dutzende Frauen ihrer Arbeit nach. Sie befüllten Wagenrad-große Waschtrommeln, schoben sperrige Wägen vollgestopft mit diversen Textilien durch die schmalen Zwischengänge und öffneten die Türen von so vielen Trocknern, dass sich eine massige Dampfwolke ansammelte und zur Decke hinaufstieg.
„Ja, dass stimmt schon… Ich schlafe aktuell einfach wieder nicht gut.“
„Vielleicht, weil dein Gehirn so emsig an der Lösung arbeitet?“
„Es hat leider noch mehr zu verarbeiten…“
Sie nahm eine Hand vor den Mund und wich etwas zurück.
„Oh, Gott. Ich weiß gar nicht, warum ich dir so viel erzähle. Wir haben uns doch eben erst kennengelernt.“
Die andere Frau antwortete nicht. Sie wandte sich wieder ihrer Arbeit zu und spannte ein Laken über die Bügelunterfläche. Sie griff an eine Vorrichtung darüber und zog das große quadratische Bügeleisen herunter. Es zischte. Dann hob sich das Eisen wieder. Sie strich mit ihren Handflächen über den Stoff.
„Da musst du wohl nochmal drüber.“
Sie schüttelte den Kopf.
„Besser wird es nicht werden. Es legt sich immer in Falten. Um deine Stirn solltest du dir Sorgen machen. Die sollte sich nicht so in Falten legen.“
Sie lachte. Die andere schwieg.
„Es legt sich immer in Falten. Der Raum legt sich in Falten. Das… ist es.“
Sie sah ihr in die Augen.
„Ich muss los.“
„Okay.“
Die Frau in blauer Uniform machte kehrt und ging zur Tür. Sie blieb nochmal kurz stehen und drehte sich um. Luna lächelte ihr zu. Sie lächelte zurück, dann verschwand sie und machte sich auf den Weg in ihr Büro. Fiona stand in ihrem Tarnanzug im Gang und sah ihrem vergangenen Ich nach. Sie gönnte sich nochmal einen Blick auf Luna und sah ihr zu, wie sie langsam, lächelnd Wäsche faltete. Dann machte sich wieder zu ihrem Raumschiff.
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„Lonesome Star“ verschwand in der Tasche. Der Reißverschluss schloss sich. Fiona sammelte sich kurz, dann drückte sie die Klinke der Wohnungstüre nach unten. Im Raum stand die Luft. Ihr Vater baute sich vor ihr auf. Er fixierte sie mit seinen kalten Augen und zog langsam seinen Gürtel aus. Fiona schloss die Augen, ließ ihre Augenbrauen fallen - entspannte ihre Stirn. Dann öffnete sie ihre Augen wieder.
Das Raumschiff steigerte an Geschwindigkeit und steuerte auf das Ziel der Mission zu.