Wenigstens weinen wir alle unter demselben Himmel, unter den Sternen, die zu viel wissen, um unwissend zu leuchten und unter dem endlosen Leiden. Und wenigstens sind das Leiden und das Universum beide endlich, aber dennoch grenzenlos.
Die junge Frau schaut mit Tränen in den Augen zu den Sternen hoch, sie sieht die Schönheit nicht, alles, was sie sieht, sind Sternbilder, die sich verzerren und verschwimmen, bis sie wieder ihr Gesicht werden, verzweifelt, ertrinkend. Ihre Augen rauschen schon wieder von einem der erleuchteten Fenster in der Dunkelheit der sich heruntersenken Lider zum anderen, und sie fragt sich, wo sie wohl ist. Was sie macht. Woran sie denkt. Ob sie noch immer Gedichte schreibt? Ob sie noch immer gemeinsam ins All fliegen wollen? Ob sie noch immer die Sterne pflücken will, und im Sternenstaub küssen? Ob sie noch immer nicht daran glaubt, dass wir alles sind, alles, allein im Universum?
All diese Menschen, denkt die junge Frau. Sie alle, sie sind so verloren.
Ich bin verloren. Ich bin ein Wrack. Auch wenn ich nie durch ein Meer aus schwarzen Löchern getanzt bin.
«Wo», murmelt sie, gesunken. «Wo bist du nur, und wo bin ich, und wo sind wir? Wir sind nirgendwo, weil wir nicht sind und ich werde nie schwerelos sein. Ich werde dir nie den Mond vom Himmel holen, nur weil ich es will. Weil ich es kann. Nie werde ich sehen, ob der Nachthimmel nur aufgestickt ist, ob vielleicht Liebe dahintersteckt. Und niemals werde ich dich küssen, so richtig.»
Die Tränen kullern aus ihren Augen, über ihre Wangen, tropfen auf ihren gekrümmten Körper, sie umschlingt sich selbst, sie weint und sie schreit, aber sie kann sich selbst nicht hören, weshalb sollte sie auch.
Irgendwo hatte sie mal gelesen, dass beim Tränen lachen die Tränen zuerst aus dem linken Auge kommen, oder aus dem rechten, egal, und beim Trauer weinen kommen sie zuerst aus dem anderen.
Ihr Herz krümmt sich zusammen, bricht in Wellen immer wieder zusammen und richtet sich wieder auf. Sie will sterben und gleichzeitig leben, sie will sterben, aber nur, wenn es heißt, dass das Leiden aufhört und dass sie sie wiedersehen wird, und dass sie irgendwohin kommt, wo die zertrümmerten Seelen immer da sind, wo sie nicht verblasst. Nur wenn es heißt, endlich schweben zu können, endlich frei zu sein, endlich weg von den Menschen, im All, überall sein, vom Sternenlicht leben zu können. Wie sollte es auch möglich sein? Was gibt es den mehr als das, dieser Ort, unter dem Nachthimmelsleuchten?
Kann sie den Schmerz in Glück umwandeln? Es sind ja ihre Gefühle, abgesehen davon, dass ihre Gefühle nicht sind, aber egal. Ihr Kopf sendet doch die Gefühle aus, oder? Sollte sie dann nicht die Gefühle beeinflussen können? Sollte nicht sie entscheiden, ob sie glücklich ist, oder traurig, oder ob sie stirbt oder lebt? Ob sie hier auf dem Boden ist, oder schwebend in der Luft?
Hummeln haben ja eigentlich auch ein unmögliches Gewicht, und fliegen können sie trotzdem. Sogar diese geflügelten Wesen sind dem Himmel näher als ich. Den Sternen und der Unendlichkeit (was ist schon unendlich, wir sind es nicht).
Das bin nicht ich, denkt sie in einer auf schwappenden Welle voller Angst. Dieses alles bin nicht ich.
«Ich bin glücklich», keucht sie. «Ich bin verdammt glücklich. Weil die Sterne immer noch leuchten und sie vielleicht gerade ein Gedicht schreibt und weil der verdammte Mond immer da ist, und weil die Erde eines Tages untergehen wird, und damit alles Leiden, aber das Leiden bleibt und geht trotzdem.»
Denn auch wenn wir an den Himmel denken, was selten geschieht, zu selten, dann denken wir doch eigentlich auch nur an uns selbst. Wir denken: «Dieser Himmel ist so schön, das Abendrot, wie sieht es wohl vom Mond aus aus? Sieht er es überhaupt, wenn er mit einem Schlaflied die Sterne in Träume versinken lässt? Sieht er mich? Bin ich?»
Alle Geschichten handeln letztendlich nur von uns selbst.
Wir Menschen bestehen zu neunzig Prozent aus Sternenstaub, aber Sterne sind wir nicht.
Erneut schluchzt sie auf. Sie besteht sicher nur aus Sternenstaub, allein in ihren Augen leuchten Galaxien voller Sterne.
Ihr wird klar, dass sie nicht wirklich leiden kann. Andere haben es doch so viel schwerer. Denk an das Leiden anderer, ermahnt sie sich. Schreib irgendwas darüber. Über das Leiden anderer. Vielleicht verdrängt es deines. Das wunderschöne Leiden anderer.
Keiner wird es verstehen. Die Leute werden es nur lesen, durchblättern, um ihre eigenen Leiden zu vergessen. Das Leiden anderer. Pah. Keiner weiß, was es heißt zu leiden. Sie auch nicht. Doch, doch. Die Sterne wissen es. Weil sie immer leuchten müssen, heller, heller, besser als die anderen, und letztendlich verglühen. Dann nimmt keiner sie mehr wahr. Das einzige wahre Leiden auf dieser Welt und um diese Welt, ist nicht das Leiden anderer, sondern das Leiden der Sterne.