Ein Schrei und ich wache auf, so ist es immer. Jeder Morgen ist eine Qual für mich. In meinem Kopf kreist nur dieser eine Gedanke, der Grund, warum ich seit genau 23 Jahren, 8 Monaten, 2 Wochen und 6 Tagen jeden Morgen aufstehe. Ich setze mir eine Tasse Kaffee auf und mache mich bereit für den Tag. Jeder Schritt, jede Bewegung ist eine einzige Anstrengung für mich. Aber was soll ich tun? Wenn ich nicht weiterkämpfe, verliere ich den letzten Schimmer Hoffnung und zugleich den letzten Grund, der mich am Leben hält. Seufzend schaue ich auf das Bild, das ich an den Spiegel gehängt habe. Meine Augen füllen sich mit Tränen, doch bevor sie ihren Weg über meine Wangen finden, wende ich den Blick ab. Auf dem Bild bin ich mit meiner Mutter zu sehen. Ich war jung, als das Foto geschossen wurde, doch mein Lächeln war doch echt und aufrichtig. Ich hatte schon lange nicht mehr so gelächelt, seit meine Mutter auf diese geheime Mission gegangen ist. Doch es ist nun meine Bestimmung, meine Mutter wiederzufinden. Wäre der Hoffnungsschimmer weg, dass meine Mutter noch lebt, wäre ich selbst schon lange verschwunden. Entschlossen gehe ich Richtung Dachluke, öffne den Klappboden und steige nach oben Richtung Dachboden. Hier drinnen ist es staubig und voller Spinnen, doch wenigstens hält das ungebetene Gäste ab. Ich öffne eine verborgene kleine Wandtür und gebe den Zahlencode für den Tresor ein, der dort drinnen versteckt ist. Ich entnehme den Laptop mit größter Vorsicht und die dicke, völlig überfüllte Schreibmatte. Ich setze mich an meinen Schreibtisch und blase voller Vorsicht die leichte Staubwolke von der Schreibmatte. Gerade als ich den Laptop aufstarten möchte, klopft es an der Tür. Ich erschrecke mich und warte kurz ab. Dreimal klopft es schnell hintereinander an die Tür, und dann zwei mal lang. Erleichtert atme ich aus. Eigentlich kenne ich diese Abfolge schon, trotzdem jagt es mir jedes Mal einen Schauer über den Rücken. An der Tür steht mein alter Freund. Er weiß von alle dem nicht, er weiß nur, dass ich in knapp 2 Stunden auf dem Weg ins All sein werde. Er klopft mir auf die Schulter und geht zur Hintertür. Er redet nicht viel, schaut mir nur selten in die Augen und hat den Kopf immer gesenkt. Er wird jetzt gucken, ob die Maschine startbereit ist. Er ist zwar schon 74 Jahre alt, jedoch der beste Automatiker der ganzen Umgebung. Aber gut, dies ist auch nicht schwer, schließlich sitzen wir hunderte von Kilometern weg von der nächsten Siedlung. Ich stehe auf, und gehe ins Schlafzimmer. Ich sehe den Anzug und tatsächlich wird mir leicht schummrig, wenn ich daran denke, dass ich in knapp zwei Stunden oben im Universum sein werde.
Nun geht es los, ich sitze schon in der Maschine und gucke nochmals, ob alles am richtigen Platz ist. Das Bild mit meiner Mutter klebt nun am Heckfenster, und nicht mehr am Spiegel. Ich werfe einen letzten Blick nach unten und winke ein letztes Mal meinem besten und einzigen Freund zu. Ich drücke den Knopf, schiebe den Regler nach vorne, lehne mich zurück und schließe die Augen. Entweder geht jetzt alles gut, oder die ganze Arbeit in den letzten Jahren war umsonst. Ich kann nun nichts mehr tun, einfach nur abwarten.
Es ruckelt, als ich die Augen wieder öffne, sehe ich erstmal nichts. Das letzte, woran ich mich erinnern kann, ist wie das Licht auf einmal ausgeht und sich die Rakete nicht mehr steuern lässt. Doch langsam gewöhnen sich meine Augen an die Dunkelheit, und meine Umgebung ist nicht mehr so dunkel, wie sie scheint. Um mich herum glühen hunderttausende, wenn nicht Milliarden Sterne. Ich kann meine Augen nicht trauen. Doch auf einmal fängt etwas meinen Blick. Es ist ca. 5 km von mir entfernt und schimmert blau und violett. Ich versuche die Rakete wieder richtig zu starten und tatsächlich funktioniert sie. Ich steuere langsam in Richtung des blauen Lichts. Je näher ich komme, desto schöner fängt es an zu glühen und funkeln. Es zieht mich förmlich in seinen Bann und lässt mich nicht mehr los. Das Einzige, was ich mir nun wünsche, ist, in diesem Loch zu verschwinden und nie wieder rauszukommen. Doch bevor ich das Licht erreiche, fängt mein Monitor an zu piepsen. Etwas bewegt sich auf uns zu. Es ist so groß wie ein kleiner Bär und hält kurz vor unserer Rakete an. Ich halte die Luft an, habe ich nun etwas Lebendiges entdeckt? Sind es irgendwelche Aliens, die mich heimsuchen? Doch bevor ich mir noch weitere Gedanken machen kann, spüre ich einen Sog und das Letzte was ich mitbekomme, ist, dass ich in dieses blaue Licht gezogen werde.
Etwas kitzelt an meiner Nase. Ich niese und öffne meine Augen. Ich schaue um mich und sofort bekomme ich Gänsehaut von dieser Schönheit. Ich bin mit meiner Rakete im Mittelpunkt des blauen Lichts. Es ist wie ein hohler Planet. Es schimmert, glitzert, funkelt und hört gar nicht mehr auf. Ich öffne die Ausstiegsluke und schwebe inmitten dieses Schimmerns. Schon lange nicht mehr, habe ich mich so frei gefühlt. Meine Sorgen sind verschwunden und mein Kopf ist leer. Das Einzige, was gerade eine Rolle spielt, bin ich. Doch auf einmal höre ich ein Klopfen, es wird lauter, dröhnender, und schmerzt in meinen Ohren. Es wummert immer lauter, ich habe das Gefühl, mein Trommelfell platzt gleich. Ich fange an zu schreien, und höre nicht mehr auf, bis es auf einmal ruckartig aufhört zu wummern. Für einen Augenblick ist alles still, doch dann passiert es. Die Wände von diesem funkelnden Planeten stürzen regelrecht zusammen, sie springen auseinander und der schwarze, mit Sternen übersäte Himmel kommt wieder zum Vorschein. Ich schüttele meinen Kopf. Erst dann bemerke ich, dass ich in einer Trance war. Ich war wie gefesselt von der Schönheit dieses Planeten. Und auf einmal spüre ich eine Hand auf meiner linken Schulter. Ich drehe mich um und blicke direkt in die blauen, liebevollen Augen meiner Mutter. Für einen Moment bin ich in einer Schockstarre, doch sofort löse ich mich. Ich umarme sie, jauchze vor Freude und all das, während ich nicht mal Boden unter den Füßen habe. Doch da bemerke ich, dass meine Freude nur einseitig ist. Meine Mutter schaut mich ernst an und nickt in Richtung Raumschiff. Verwirrt blicke ich sie an, doch gemeinsam schweben wir zu meiner Maschine.
Es ruckelt. Müde öffne ich meine Augen und bemerke, dass ich schon fast wieder in meinem Garten bin. Doch ich sehe das Ganze nur verschwommen. Durch die ganzen vergossenen Tränen, die ich geweint habe, sind meine Augen rot und geschwollen. Ich kann immer noch nicht glauben, was mir meine Mutter erzählt hat. Ich spüre einen Ruck in meinem Körper, und öffne die Ausgangstür und klettere die Stufen hinab, bis ich wieder in meinem alten, verwitterten Garten stehe. Freudig kommt mein Freund herbeigehumpelt. Wie schon immer mein einziger Freund, umarmt er mich und blickt mich erwartungsvoll an. Ich erkläre ihm, dass sie einen Lichtplaneten gefunden hat, und sich nirgends anders so wohl gefühlt hat wie dort. Dass sie mein Angebot, wieder mit nach Hause zu kommen abgelehnt hat und mir nicht mal in die Augen schauen konnte. Als ich sie gefragte habe, wie sie überlebt, hat sie erklärt, dass der Planet reichlich Nährstoffe in sich trage und ihr Elixier, mit dem sie keinen Sauerstoff braucht, noch reichlich voll ist. Ich erkläre ihm, dass sie nicht mit mir zurückgekehrt ist, und auch nie wieder zurückkehren wird. Ganz am Schluss bitte ich ihn zu gehen, was er dann auch tut.
Am Abend liege ich in meinem Bett, ich frage mich, was ich anders hätte tun sollen. Hätte ich nicht mein ganzes bisheriges Leben auf meine Mutter legen sollen? Wie geht es jetzt weiter mit mir? Überlebt meine Mutter noch lange im All, und hat sie mich überhaupt vermisst? Und zum ersten Mal seit genau 23 Jahren, 8 Monaten, 2 Wochen und 8 Tagen frage ich mich, warum ich morgen aufstehen sollte.