Die Raumschiffe zogen an mir vorüber. Im Bruchteil einer Sekunde überwanden sie die Schallmauer und verschwanden im galaktischen Nebel. Ich seufzte. Es war bereits der dritte Versuch dieses Jahres, auf diplomatischem Weg Kontakt zum Nachbarplaneten aufzunehmen. Bei den letzten Versuchen hatte die Delegation unverrichteter Dinge wieder abreisen müssen. Auf meinen Armen bildete sich Gänsehaut. Ich sollte wieder reingehen. Als ich gelesen habe, dass Samuel meinen Vater auf die Reise diesmal begleiten würde, habe ich mir nur das Nötigste gegriffen und bin rausgestürmt. Eine dicke Jacke, die den frostigen Temperaturen gerecht werden würde, gehörte nicht dazu. Ich schnalzte mit der Zunge und kniff die Augen zusammen. Sobald er wieder da war, würde ich ihm gehörig zusetzen. Es war meine Idee gewesen, die Reise der Delegation zu nutzen, um zum Nachbarplaneten zu gelangen. Wir hatten eine herausragende Idee bezüglich des neuen Biotops, das wir bei unserer letzten Exkursion entdeckt hatten. Diese mussten wir lediglich bestätigen. Als wir eines Nachts in unserer Schlafkapsel lagen, erzählte ich ihm von meinem Plan, doch Samuel war dagegen:
„Es ist zu gefährlich, Maus. Wir wissen noch gar nicht, welche Gefahren es auf dem Planeten gibt.“ Während er das sagte, strich er mir eine Strähne aus der Stirn.
„Jetzt wo wir die Oberhäupter gefunden haben, sollten wir erst einmal darauf hoffen, ein Friedensbündnis eingehen zu können. Danach haben wir alle Zeit der Welt und können uns besser vorbereiten.“ Ich war nur halb überzeugt und als Samuel das sah, fing er an, mich zu kitzeln. Er kannte all meine Schwachstellen und kurz darauf beschäftigte es mich gar nicht mehr, dass wir noch auf unsere Expedition warten mussten. Über die Zeit hinweg hatte ich gar nicht mehr daran gedacht.
Dann bin ich heute morgen aufgewacht und fand statt Samuel neben mir eine Karte:
„Keine Sorge Mausi, ich bin bald wieder da. Ich ziehe aus, um dir die schönsten und prächtigsten Pflanzen des Planeten zu besorgen! Dann hast du auch wieder eine Abwechslung in deinem Labor. Ich weiß doch, wie sehr du die Pflanzen liebst. Ich habe dir Frühstück gemacht. Vermiss mich nicht zu doll, ich bin bald wieder da!
Dein Samuel <3“
So schnell ich konnte, war ich draußen. Aber natürlich mussten sie zu einer überirdisch frühen Uhrzeit losfliegen und mich zurücklassen… Samuel wusste, dass ich von mir aus nicht früh aufstehe, und dass er sich ohne Probleme würde rausschleichen können. Ich schaue noch ein wenig in das All und überlege, wann sie wohl wieder zurück sein werden. Bei meiner Grübelei fange ich an, sauer zu werden. Er hätte mich doch mitnehmen können! Oder es mir wenigstens sagen! Ohne die richtige Kommunikation hat eine Beziehung doch keinen Bestand…
Als wir uns vor einigen Jahren zusammengeschlossen hatten und im Auftrag der Regierung wie viele andere Gruppen die Reise ins Weltall antraten, hatte ich noch keine Ahnung, wie sehr mich diese Aufgabe erfüllen würde. Die Menschheit brauchte unbedingt Unterstützung von außerhalb der Erde und so wurden zahlreiche Gruppen auf verschiedene benachbarte Planeten geschickt, um Kontakt mit den Bewohnern aufzunehmen. Samuel und ich waren das perfekte Team. Während er besser mit Worten umgehen konnte, kümmerte ich mich um die Technik und die Forschung. Gemeinsam konnten wir mit der hier herrschenden Königsfamilie einen Friedensvertrag aushandeln (Technologie sei Dank!) und einen Außenstützpunkt für unsere Unternehmungen errichten. Während Samuel und ich seitdem für die kulturelle Beziehung und die Erforschung der hier lebenden Spezies verantwortlich waren, zogen unter anderem mein Vater und einige seiner Kollegen von hier aus zu anderen Planeten weiter. Denn es war noch nicht klar, ob unser Planet alle notwendigen Ressourcen für das Überleben der Menschen bereitstellen kann.
Wahrscheinlich stand ich länger als gedacht draußen in der Kälte. Als der Knall durch die steinige Umgebung hallte, zuckte mein gesamter Körper zusammen, gefolgt von einem scharfen Schmerz an den Stellen, an denen sich bereits Eis gebildet hatte. Im Laufe der Jahre in dieser kalten Umgebung hatte ich mich an das Eis gewöhnt, was meinen Körper allerdings nicht davon abhält, zu bluten. Während mein Blick gerade zu meinen Händen wandern will, wird er von einem Leuchten im Himmel abgelenkt. Das Leuchten wird größer und heller und immer gleißender. Erst denke ich an einen Sonnenaufgang, bis mir wieder einfällt, dass das auf diesem Planeten so nicht der Fall sein kann. Der Boden zu meinen Füßen beginnt zu vibrieren. Steinchen kullern über das Feld, und die Luft beginnt zu flimmern. Ein stechender Geruch füllt die Luft, und meine Augen beginnen zu tränen. Nun ist es unerträglich, nach oben zu schauen. Von der Kälte ist kein bisschen mehr etwas zu spüren. Meine Brust hebt und senkt sich in einem rasanten Tempo. Ich bekomme kaum noch Luft, und ich spüre die Anzeichen einer Panikattacke. Als ich merke, dass es nicht mehr heller wird, beginnen meine Füße langsam, sich zu bewegen. Sie tragen mich Richtung Unterkunft. Erst langsam und dann immer schneller renne ich auf unsere Wohnkapsel zu. Dann kommt ein Stein, meine Füße verheddern sich und ich falle. Schnell raffe ich mich wieder auf und schaue nach oben. Im scharfen Kontrast zum Weiß unserer Kapsel ist der schwarze Rauch, der vom eigentlich inaktiven Vulkan in der Nähe zu kommen scheint. Vor mir erstreckt sich eine surreale Szenerie. Das gleißend helle Licht im Himmel, die schwarzen Schwaden und die immerweißen Wände unserer Wohnkapsel. Ein einziger Kontrast und dazu die unerträgliche Hitze. Es erschallen noch mehr Knalle und neben den Steinen scheint sich jetzt auch der Boden zu bewegen. Ich höre Schreie und das Knirschen des Bodens. Risse tun sich auf und zu mir blickt die gähnende Leere. Dunkelheit ist plötzlich unter mir, Licht oben. Die Welt scheint zu kippen. Ein letzter heller Blitz und plötzlich nichts.
Ich sehe nichts, höre nichts, schmecke nichts, fühle nichts, denke nichts und bin nichts.
Es ist leer.