Auf den zahlreichen Bildschirmen um Eva herum wiederholen sich die Daten. Keine ungewöhnlichen Erhöhungen, keine überraschenden Werte. Es ist ermüdend. Als sie den Job vor ein paar Wochen angetreten hat, hat Eva noch jeden kleinsten Ausreißer in den Daten mit gespannter Erwartung verfolgt. Inzwischen ist das anders, und die dritte Nachtschicht infolge hilft nicht wirklich, Evas schläfrige Stimmung anzuheben.
Noch 15 Minuten, dann ist es vier Uhr morgens und Mark, der andere Werkstudent in dem Astronomiebüro, wird sie ablösen.
Plötzlich ploppt eine Mitteilung auf einem der Bildschirme auf. Sie überfliegt die wenigen Worte: Unbekanntes Flugobjekt gesichtet. Letzte Sichtung 53°41’03“N 9°57’33“O.
Eva setzt sich in ihrem Stuhl auf. So eine Nachricht ist bisher noch nicht in ihrem Büro gelandet, aber sie weiß, dass es häufiger Fälle von vermeintlichen Sichtungen sogenannter UFOs gibt. Sie glaubt, dass es sich auch dieses Mal nicht um Außerirdische handelt, denn Signale von denen würden über die Radioteleskope empfangen werden, deren eintönige Daten sie gerade überwacht.
Erst da fällt ihr auf, dass die Koordinaten der letzten Sichtung nicht weit von ihrem Büro entfernt liegen. Sie geht aus reiner Langeweile zum Fenster, ohne wirklich zu glauben, dass sie etwas sehen wird. Die Nacht ist überraschend hell, aber sehen tut sie trotzdem nichts.
Als Mark ins Büro kommt, erzählt sie ihm von der Mitteilung über das unbekannte Flugobjekt, was er belächelnd zur Kenntnis nimmt. Dann greift sie sich ihre Sachen und verlässt das Büro. Das rostige Fahrrad quietscht, als sie in die Pedale tritt und die leeren Straßen entlangfährt.
Als Eva schon eine Weile auf der schnurgeraden Landstraße fährt, die zu ihrem Zuhause führt, fällt ihr etwas ins Auge. Dort auf dem Feld liegt ein schimmerndes Etwas. Sie bringt ihr Fahrrad zum Stehen, fischt aus ihrer Jackentasche ihr Handy heraus und betätigt die Taschenlampenfunktion.
Sie versucht etwas zu sehen, doch alles, was sie ausmachen kann, ist ein Brummen aus der Ferne. Sie tippt auf Hubschrauber, die nach dem unbekannten Flugobjekt suchen. Was sie zurück zu dem Objekt auf dem Feld bringt. Womöglich handelt es sich dabei tatsächlich um das gemeldete Flugobjekt.
Sie spürt das Adrenalin in ihrem Körper, als sie ihr Fahrrad am Straßenrand stehenlässt und das Feld betritt. Sie bezweifelt, dass es sich wirklich um etwas Außerirdisches handelt. Wahrscheinlich ist es ein kleines Flugzeug. Es könnten Leute drin sein, die ihre Hilfe brauchen.
Auf halbem Weg zum Objekt vernimmt sie hinter sich ein Geräusch. Erschrocken fährt sie herum. Jemand klettert umständlich auf ihr Fahrrad. Dieser Jemand ist anscheinend noch nie Fahrrad gefahren, denn es gelingt ihm eher schlecht als recht Geschwindigkeit aufzubauen. Er kommt nur zittrig und zickzackfahrend voran.
»Hey!«, ruft sie ihm hinterher und läuft durchs hohe Gras zurück zur Straße.
Vielleicht wegen ihres Ausrufs oder einfach, weil ein Schlagloch ihn aus dem Gleichgewicht bringt, kommt die Gestalt von der Straße ab. Das Fahrrad mitsamt Fahrer kippt im Zeitlupentempo zur Seite und beide landen im Gras.
Das gibt Eva die Möglichkeit, sich ihm weiter zu nähern. Währenddessen versucht die Gestalt sich von dem Fahrrad zu befreien. Eva kommt nicht umhin zu bemerken, dass sie untypische Bewegungen für einen Menschen macht.
Je näher sie kommt, desto mehr fängt ihre Handytaschenlampe von der Gestalt ein. In dem Moment, in dem Eva die weißblaugestreifte Haut sieht, erstarrt sie an Ort und Stelle. Das Wesen regt sich in dem Licht ihres Handys inzwischen auch nicht mehr. Es starrt ihr aus dunklen Augen entgegen.
Mehrere Sirenen lassen Eva aus ihrer Starre schrecken. Sie gehören zu Polizeiwagen und nähern sich in der Ferne. Ihre Augen verlassen derweil das Wesen nicht einmal. Es hebt langsam die Arme, um seine Augen zu schützen. Eva versteht und löscht die Lampe.
Sie verspürt den Drang, schnell so viel Abstand wie möglich zwischen sich und das Wesen zu bringen und den Rest den nahenden Fachleuten zu überlassen. Ein anderer, stärkerer Drang lässt sie langsam auf das Wesen zutreten, sobald sich ihre Augen an die nun im Dunkeln liegende Gestalt gewöhnt haben.
Es senkt seine Arme und Evas Blick fällt wieder auf seine Augen. Sie tragen einen erschreckend menschlichen Ausdruck in sich. Sie spiegeln das wider, was Eva selbst empfindet. Eines sieht sie allerdings nur in seinen Augen, und das ist das Gefühl in die Ecke gedrängt zu werden. Das Wesen hat mehr Angst vor ihr als sie vor ihm.
Die Hubschrauberblätter knattern immer lauter in ihren Ohren. Sie sieht sich um und entdeckt gleich mehrere blinkende Hubschrauber am Himmel, die jeder einen hellen Strahl auf den Boden gerichtet haben, mit dem sie die Umgebung absuchen.
Als sie wieder zurücksieht, steht das Wesen keine zwei Meter von ihr entfernt, aufgerichtet zu seiner vollen Größe. Sie unterdrückt den Drang, einen Schritt zurückzuweichen. Sie ist sich sicher, dass es ihr nichts antun will. Seine Augen sind auf ihre Hand gerichtet, genauer gesagt auf das, was sie in der Hand hält.
Eva hebt ihr Handy etwas in seine Richtung. Das Wesen zeigt zunehmend Neugier und versteht, dass sie es ihm anbietet. Vorsichtig fasst es danach und zieht es ihr aus der Hand. Es betrachtet das Handy eingehend. Dann, mit einer schnellen Bewegung, bricht es die Hülle ab und sieht sich den Akku an.
Die Sirenen werden lauter und blaues Licht leuchtet auf sein Gesicht und die Umgebung.
Das Wesen greift nach etwas, das um seinen Hals hängt, und legt es auf den Boden. Nach einem letzten Blick zu Eva stürmt es mit ihrem Handy in der Hand zu dem schimmernden Etwas. Keine zwei Minuten später hebt das Objekt ab und verschwindet schneller als Evas Augen sehen können in die Nacht.
Sie hört das Brummen der Hubschrauber und die Sirenen der Polizisten jetzt in unmittelbarer Nähe. Bevor sie sich den Polizeiwagen zuwendet, bückt sie sich nach dem, was das Wesen abgelegt hat. Es fühlt sich warm auf ihrer Hand an, als besitze es eine eigene Wärmequelle. Es ist der Anhänger einer Kette, der aus rotschimmerndem Gestein zu bestehen scheint.
Autorin / Autor: Sinje R.