Wettbewerbsbeitrag von L. Fleiter, 16 Jahre
Staub. Die meisten Menschen denken bei diesem Wort an Dreck, den man am besten
schnell wieder los wird. Wissenschaftler vergleichen ihn mit Gold. Kira und ihre Oma
Tara betrachten ihn jedoch ein wenig anders.
Schon als Kiras Mutter Elanor noch ein Kind war, betrachteten sie und ihre Mutter
Abends vor dem Schlafen gehen, wenn die Nachttischlampe gegen die Dunkelheit
leuchtete, den Staub. Winzige, schwerelose Teilchen, die friedlich vor sich her
schwebten. Ab und zu sahen sie sogar aus wie die kleinen Sterne am Himmel, welche so
hell strahlten.
Tara war schon seit Kindesalter sehr an den Sternen interessiert. Dabei stellte sich
heraus, dass sie selbst nicht aus gewöhnlichen Hausstaub, sondern aus Sternenstaub
besteht, welcher sich zum Teil aus nicht erkennbaren Kristallen zusammensetzt.
Sie war so fasziniert von den Sternen, dass sie beschloss, eines Tages diese aus der Nähe
zu betrachten. Vier ganze Sommerferien hatte sie gearbeitet, um sich ein Teleskop zu
leisten. Als sie endlich genug Geld gesammelt hatte, entschied sie sich für ein goldenes
Linsenteleskop mit schwarzem Stativ. Doch selbst als sie ein solches besaß, wünschte sie
sich, es ginge noch näher. Mit der Zeit traf sie auf ihren Mann Jaro, sah ihre Tochter
Elanor aufwachsen und lernte ihre Enkelin Kira kennen.
Sie lehrte ihnen vieles über die schönen Lichter. Wie sie strahlten, sich über Milliarden
von Jahren veränderten, ihre Bilder, Geschichten und wie man sie am besten
beobachten konnte. Natürlich blieb ihr Lieblingsstern Beteigeuze und sein zugehöriges
Sternenbild Orion, und das Winterdreieck, welches sich aus diesem und dem Stern
Prokyon vom kleinen Hund und Sirius vom großen Hund bildet, dabei nicht aus.
Kira war der Meinung, dass wenn ihre Oma nur an Sterne dachte, sie sogar heller
strahlte, als die Sterne selbst. Dies führte dazu, dass, wann immer auch Kira bei ihrer
Oma war, sie Tara voll Freude fragte: „Kannst du mir wieder etwas über die Sterne
erzählen?“
Als Kira eines Abends davon träumte, sie sei Astronautin, die Sterne vom nahen
betrachten durfte, machte sie eine erschreckende Entdeckung. Der Lieblingsstern ihrer
Oma schien kurz vorm explodieren zu sein. Ihre Augen weiteten sich vor Schreck, ehe sie
diese ganz fest zusammenkniff und mitten in der Nacht mit großer Sorge aufwachte.
Elanor fand ihre Tochter, mit Tränen verschmiertem Gesicht, weinend in ihrem Zimmer
vor. Sie ließ sich nicht beruhigen, ohne mit Tara gesprochen zu haben. Diese war jedoch
nicht zu erreichen, wobei sich Elanor erstmals nichts bei gedacht hatte und versuchte
Kira auf eine andere Art und Weise wieder zu beruhigen.
Es war noch später, als Elanor einen Anruf bekam. Mit einem unwohlen Gefühl im
Magen nahm sie diesen an. Ehe sie die schreckliche Nachricht hörte, zog sich ihr Herz
ganz fest zusammen. Schnell stieg sie in ihr Auto und fuhr Richtung Krankenhaus,
indem ihre Mutter soeben eingeliefert worden war. Tara hatte eigenständig den Notarzt
angerufen, als sie plötzlich Schweißausbrüche und ein Stechen in dem Oberbauch
spürte. Ein Herzinfarkt. Achtundvierzig Stunden später durften sie endlich zu ihr, da die
Gefahr für Kammerflimmern vorbei war. Elanor hatte ihr schon vorher eine Tasche mit
den wichtigsten Sachen gepackt, unter ihnen auch ein paar Bücher und ihr
Lichtteleskop. Tara telefonierte auch mit ihrer Enkelin, welche, nach dem diese von ihrer
großen Sorge erzählt hatte, mit beruhigender Stimme auf sie einredete: „Du kennst doch
die Sterne, die über deinem Kopf im Nachthimmel leuchten. Du musst nur daran
glauben und schon beschützen sie dich in der Dunkelheit vor deinen schlimmsten
Alpträumen. Du bist ein Teil von ihnen, du bestehst aus Sternstaub, genauso wie deine
Mutter und ich. Und wenn es eines Tages so weit ist, für mich diese Erde zu verlassen,
bin ich gar nicht so weit von dir entfernt. Wir kehren alle zurück in den Himmel zu
unseren Sternen und von da aus werde ich dich beschützen. Aber mach dir keine Sorgen,
so schnell wirst du mich nicht los!“ Kira gab sich damit zufrieden und freute sich, dass es
ihrer Oma den Umständen entsprechend gut ging.
Wenige Tage später, nachdem Tara sich eines Nachts den Beteigeuze durch ihr
Lichtteleskop ansah, erhielt Elanor wenige Minuten später wieder einen Anruf vom
Krankenhaus. Nichtsahnend nahm sie diesen an, als im nächsten Moment eine Träne nach
der anderen ihre Wangen hinab rollte. Wieder einmal ging es Richtung Krankenhaus, nur
dass der Hinweg, durch die vielen Tränen, diesmal schwieriger schien. Als sie jedoch
ankam und zum Zimmer ihrer Mutter lief, schien es, als würden die Wände des weißen
Ganges immer näher an sie heran kriechen. An diesem Abend hatte Tara den Beteigeuze
ein letztes Mal betrachtet, sowie Elanor ein letztes Mal das lebendige Lächeln von Tara zu
Gesicht bekam und zusah, wie das Leben langsam den Körper ihrer Mutter verließ.
Am folgenden Morgen saß Elanor verschlafen in der Küche, als eine vor Freude sprühende
Kira zu ihr kam und darum bat: „Können wir heute wieder Oma besuchen?
Ich möchte ihr meine Kette zeigen. Guck mal, die Perlen sehen aus wie kleine Kristalle!“
Nach einem schweren Seufzer begann Elanor mit ihrer Antwort: „Du Kira, setze dich erst
einmal zu mir. Ich muss dir etwas sagen.“, nach einer kurzen Atempause fuhr sie fort,
„Deine Oma Tara hat es gestern Abend leider nicht mehr geschafft. Sie ist jetzt bei Opa
Jaro und ihren Sternen. Sie guckt gerade bestimmt auf uns herab und beschützt dich jetzt
vor deinen Albträumen.“ Nun quollen auch Kira die Tränen aus ihren Augen. Elanor hielt
sie fest in ihren Armen und weinte mit ihr. Es war, als hätte man ihnen alles
weggenommen und nur die beiden waren übrig. Ein paar Wochen später starb auch der
Beteigeuze und war selbst am helllichten Tag am Himmel zusehen, bis er schließlich zu
einer Supernova wurde. Als hätte er nur noch auf Tara gewartet, um zu gehen. Sein Tod
war unvergesslich, so wunderschön. Von nun an beobachteten Kira und Elanor die Sterne
und den Staub zusammen in Gedenken an Tara, welche sie lächelnd von oben beschützte.
Autorin / Autor: L. Fleiter