Wettbewerbsbeitrag von R. Koppitsch, 15 Jahre
Jahr 213 des Imperators Ardah Dihninn
Amira sah in die Weite des Alls.
Ein wunderschöner Ort. Und das Segeln in ihm war eine Ehre, die ihre Brüder, die beiden großen, sich immer gewünscht hatten.
Und dann kommt der Tod.
Die Steinbrocken, die Brocken, von denen sie hätte Proben nehmen sollen, schienen ein Netz zu bilden. Ein Netz bis in die Unendlichkeit. Ein Netz aus schwarz und grau und beige. Große, kleine, welche, die größer waren als ganze Flaggschiffe.
Fast hätte sie gelacht. Sie wollten so dringend hin, haben Mutter immer wieder davon erzählt, wie es in der Akademie voranging, haben all das Geld für die Studien verbraucht. All Vaters Geld. Jeden Taler dieses Bastards.
Und jetzt war sie hier. Seinetwegen. Sah hinaus in ein ewiges Schlachtfeld aus Stein. Eine Anomalie, die es zu erforschen galt.
Das ist Drecksarbeit. Ging es ihr durch den Kopf. Arbeit, wie Mihr und Anei sie nie hätten verrichten müssen.
Hätte ich lieber meinen Körper verkaufen sollen? Die gut gehütete Unschuld hergeben, für das Geld? Lieber meinen Stolz verlieren und dafür nicht mein Leben?
Doch wusste sie; jetzt war es sowieso egal. Jetzt war es sowieso zu spät.
Die Schalter funktionierten nicht mehr. Das Steuerrad reagierte nicht. Der Stein hat das Triebwerk zerschmettert. Bald bin ich bei euch, meine Brüder. Bald … bald … bald.
Die Kabel waren schlecht verlegt, die Knöpfe -rot und grün und blau- aus billigem Kunststoff und das Metall alt, an manchen Stellen rostig.
Ja, präzise hatten des Imperators Männer darauf geachtet, die Kosten so gering wie möglich zu halten.
Amira ballte die Hand zur Faust. Hät‘ ich was zwischen meinen Beinen, ja dann wär‘ das alles nicht passiert! Ja, das war es, das sie am wütendsten machte. Sie wusste, die Wut nutze ihr nichts mehr, doch wäre sie als Junge geboren, dann hätte dieses Arschloch von Vater ihnen weiter Geld zukommen lassen. Und selbst wenn er es nicht getan hätte, hätte sie in den Minen arbeiten können, anstatt hierhin geschickt zu werden.
Eine Probensammlerin. Eine Anomalienkundschafterin. Unmengen an Geld, siebentausend Impers, siebentausend! Dafür musst du nur damit leben, dass du sterben könntest.
Das ist ja schlimmer als das Militär, hatte ihre Mutter geschimpft.
Vielleicht, ja, vielleicht hattest du ja recht Mutter.
Und wieder waren ihre Gedanken bei Familie; wieder bei ihren Brüdern.
Mich hat der Imperator geschickt, mich! Nicht sie, und auch nicht für eine Mission zum Erkunden des zweihundertsiebten Breitengrads.
Wie Millionen andere bin ich jetzt hier. Wie ein Viertel von ihnen ersticke ich. Weil es günstiger ist, uns einzeln zu schicken. Weil unsere Leben entbehrlich sind.
In der Ferne sah sie die Lichter einiger anderen Probensammler. Sah ein Wrack, das Cockpit von Steinen zerschmettert, die Kabel lose in der Schwerelosigkeit. Und weit, weit entfernt, nur einen Sprung weit, aber dennoch außer Sicht, da lag die Heimat.
Und obwohl sie für ihren eigenen Tod die Schuld trug, sich das zumindest sagte, denn sie hatte alldem ja zugesagt und das, obwohl jeder die Möglichkeit kannte so zu enden. Sie spürte ein Stechen in der Brust, wenn sie daran dachte, dass ihre Mutter dort unten verhungern würde. Verhungern würde in der Hoffnung ich käme noch zurück, irgendwann –
Ein Schrei drang aus ihrem Mund, und ein Schlag auf das schroffe Metall tauchte die Welt in Schmerz.
Ich blute. Stellte sie fest, doch hatte es nur kurz weh getan. Ein kurzes Stechen.
Die Drogen wirken… Diese Gnade hast du uns wenigstens geschenkt, oh Imperator.
Wie gern sie auf diesen Namen gespuckt hätte. Doch jemanden, den man als Gott der Galaxie verehrte, gleichstellte mit seinen Erschaffern – etwas gegen einen solchen Mann zu sagen, bedeutete den Tod.
Sie wusste nicht, wie viele Menschen es gab, in seinem Reich, konnte sich nicht einmal ansatzweise vorstellen, was es bedeutete über eine Galaxie zu herrschen, über die Milchstraße zu herrschen, die Milchstraße und den Geburtsort alles Lebens.
Mihr, du hättest das gewusst, oder? Du hast dich doch für Geschichte interessiert, nicht? Du hast mir immer von den Legenden erzählt, über die Erde, über die Zivilisation, wie sie angeblich gewesen war vor zehntausenden von Jahren.
Angeblich bessere Zeiten, hatte er gesagt. Doch hat es nie gute Zeiten gegeben.
Ah, es fühlt sich an wie ein ganzes Leben und doch habt ihr uns erst verlassen vor- vier, fünf, Erdjahren?
Die Welt schien immer blasser zu werden, das Metall unter ihr immer weicher.
Ich bekomme wenigstens einen schönen Tod, wenn es schiefgeht, hatte sie ihrer Mutter gesagt. Ein schöner Tod … schwächer werden, schwächer werden, einschlafen.
Aber ja, jetzt, da sie die Unendlichkeit des Universums erblickte, versuchte Lücken zwischen den Felsen und Trümmern zu erkennen, da verstand sie es, da verstand sie, was ihre Brüder so sehr bezaubert hatte.
Sie streckte ihren Arm aus, wollte nach dieser Schönheit greifen.
Dann sah sie wieder die grässlich eingerissenen Nägel, mit denen sie jetzt wohl sterben würde. Dann sah sie wieder die Wunde, sah wie das rot von dort hinabtropfte, auf ihre Uniform.
Es wunderte sie, dass sie überhaupt eine bekamen – eine Uniform. Wofür, wenn wir immer nur hier drin‘ sitzen? Billiger Stoff, die einzige Verzierung, das Wappen des Reichs, die gelbe Sonne der Erde auf einem Hintergrund weiß wie dieser Schnee aus den Geschichten ihrer Brüder. Aber dennoch, wieso?
Wieder hätte sie am liebsten losgelacht.
Jetzt lieg‘ ich hier im Sterben und denk im Drogenrausch über Uniformen nach, Uniformen und ihre Bedeutung! Ach, was tu‘ ich nur?
Und ihre Mutter ergriff ihre Hand.
„Seh‘ ich da wirklich eine Träne auf deinem sonst so ernsten Gesicht?“
Ich weine?
„Mutter, ah, wie leid es mir tut. Ich hätte- ich hätte-“
Schluchzen.
„Ja, jetzt darfst du weinen. Du musst nicht mehr stark sein, Schatz. Weine, obwohl du keinen Grund dafür hast.“
Sie wollte etwas erwidern, doch fand sie nicht die Kraft.
Ja, selbst der Mutter Stimme war leiser geworden.
„Meine liebe Amira.“ So nahm die Mutter ihre Tochter in den Arm. „Ach, meine liebste Amira. Du hast das für mich getan, und ich danke dir.“
Autorin / Autor: R. Koppitsch