Einst soll es wohl Leben auf der Erde gegeben haben. So besagt es jedenfalls unsere Wissenschaft. Damals, als das Universum noch ungreifbarer, noch undurchdringbarer war, soll es ausgerechnet auf der Erde Leben gegeben haben. Schwer zu glauben, aber wahr, denn die Forschung lügt nie. Doch während wir heute zu wissen glauben, wie viele Planeten, wie viele Sterne und Lebewesen unser Universum beherbergt, waren sich die Menschen der Existenz anderer Individuen nicht bewusst, einige haben es sogar verleugnet. Ihre Forschung war brillant für ihre Zeit, doch nichts im Vergleich mit den Erkenntnissen der Neuzeit, meiner Zeit. Manchmal frage ich mich, wie unglaublich einsam sich ein Mensch gefühlt haben muss. Gefangen in seinen eigenen Vorstellungen, im unendlichen Universum, dieser gewaltigen Materie, in dem Glauben, das einzige lebensfähige Wesen im gesamten All zu sein.
Seit ich die Stelle bekommen habe, scheine ich viel zu oft darüber nachzudenken. War das Leben auf der Erde erfüllend? Und wie muss es gewesen sein, als alles zu Ende ging? Hatte denn keineinziger versucht, es abzuwenden? Obwohl es schon über Jahrtausende her ist, beschäftigt mich die Suche nach dem Grund für ihren Untergang noch immer. Doch nur mir bereitet dieser Untergang Angst. Das habe ich heute Morgen erkannt, als wir alle hier eintrafen. Aufgeregt waren sie, neugierig, wissbegierig. Aber nicht ängstlich, nein, niemals ängstlich, weil niemand es mehr zulässt, Angst zu haben. Nicht heute, nicht hier, nicht in unserer Welt. Es gibt keinen Ort mehr, glauben sie, der unerforscht ist. Weder von unserem eigenen Planeten noch von denen in unserem Umfeld. Warum also sollte man Angst haben? Ausgerechnet Angst vor der Erde, dem blauen und friedlichen Planeten? Der Planet, der selbst zu atmen, selbst zu fühlen scheint. In meiner Welt haben wir die Gewissheit erlangt, das Universum sei berechenbar. Eine Ansammlung von Teilchen, die sich erst in Milliarden von Jahren langsam auflösen wird und alles zu einem großen Nichts verschmelzen lässt, einem einzigen Nichts, was nur die Bruchstücke dessen widerspiegelt, was einmal die gesamte Existenz jedes einzelnen Lebewesens, jedes noch zu winzigen Sterns und auch mich umschlossen hielt.
Manchmal halte ich den Atem an, weil ich nicht weiß, wie weit wir von dem Nichts entfernt sind, ob das Nichts nicht jeden Moment auftauchen und uns zerstören könnte oder ob das Nichts schon existiert, irgendwo verborgen in den Weiten des Alls, versteckt und lauernd auf mich und die anderen von meiner Gruppe. Doch das muss ich jetzt ausblenden, alles ausblenden, denn bald geht es los. Die letzten Anweisungen und Verabschiedungen, dann gehen wir, bewegen uns durch endlos erscheinende Gänge, und während ich das heitere Gelächter der anderen vernehme, verliere ich mich immer mehr in meinen Gedanken. Das All wird wohl für immer das größte Geheimnis und die Frage nach dem Grund unserer Existenz ungelöst bleiben.
Die Größe des Universums, eines allumschließenden Raumes ist selbst heute für viele noch unfassbar, eine unausgesprochene Frage, dessen Antwort nur in den Weiten des Alls liegt. Den Weiten, die wohl kein Lebewesen jemals so ganz begreifen wird. Natürlich, wir suchen nach einer Lösung, einem Grund für alles, für das Geschenk des Lebens und können ein Stück weit begreifen, wie der Urknall zustanden kam und sich das Universum immer weiter ausdehnte, das Nichts in ein Etwas verwandelte und wir alle einen Ort zum Lebenfanden.
Genau dieser Ort soll mich eine lange Zeit beschützen, meine Sicherheit liegt einzig und allein in der Forschung und doch zugleich der Erkenntnis, nie alles verstehen zu können, da das Weltall alles ist und wir nur ein kleiner, minimalistischer Bestandteil, der in den Weiten der Galaxie an Bedeutung verliert. Wenn gleich mich der Gedanken ängstigt, erkenne ich die Hoffnung in ihm, die Hoffnung auf eine nahezu unendliche Zukunft für unser Dasein, eine Erlaubnis der Natur, an ihrem Spektakel teilhaben zu dürfen.
Mittlerweile sitzen wir alle im Raumschiff, warten auf den Beginn unserer unglaublichen Reise, unserer Reise zum Planet Erde, um zu berichten, ob dort Leben möglich ist. Nun, die Wahrscheinlichkeit ist hoch, schließlich ist meine Spezies fähig, fast überall zu überleben und sich an die Begebenheiten anzupassen. Ein Geschenk, dass mit der Evolution unserer Art einherging. Das ist nicht der Grund, warum mich diese Reise zur Erde zwar ängstigt, mich zugleich aber auch bestärkt und ein vorfreudiges Kribbeln in meinem Bauch auslöst.
Als erste weibliche Raumfahrerin geht nicht nur ein gewisser Stolz einher, sondern auch die Ehrfurcht vor meiner Aufgabe, den Erwartungen, die mein ganzer Planet an mich hat. Mission Erde ist ein lang ersehntes und lang geplantes Projekt, eines, dessen Teilhabe mir meinen Kindheitstraum verwirklicht.
Meinen Traum, die Legenden, die sich rund um die Erde ranken, endlich verstehen zu können. Auch wenn ich Angst habe, gibt es kein Zurück. Nur die Erwartung auf die Reise, die jeden Augenblick starten wird. Als es losgeht, schlägt mein Herz so laut, dass ich kurz glaube, die anderen müssten es hören. Genau wie ich starren sie gebannt nach draußen, beobachten, wie wir uns immer weiter von der Oberfläche enernen, immer weiter, bis irgendwann unser Planet nur noch ein winziger Punkt sein und schließlich ganz aus unserem Sicheld verschwinden wird. Und plötzlich, ganz plötzlich wird mein Atem gleichmäßig, ruhig, wie ein Zauber, der sich über mich legt und die Angst in Anbetracht meines immer kleiner werdenden Zuhauses verdrängt, sie dort zurücklässt, denn hier oben, inmitten der Galaxie, inmitten einer unendlichen Weite und der Erkenntnis trotz dessen nie wirklich verloren zu sein, können sich meine Gedanken nicht mehr in der Angst, aber den unendlichen Möglichkeiten verlieren. Die Möglichkeit, dem
Unbegreifbaren ein Stück weit näher zu kommen. Die Möglichkeit, endlich die Erde, den blauen Planeten und letztendlich vor allem den der vergangenen Leben zu begreifen.