Welten zwischen uns

Wettbewerbsbeitrag von Silica Mel, 19 Jahre

Seit ich denken konnte, gab es im Arbeitszimmer meiner Mutter ein Gerät, aus dem eine Stimme kam. Es war kein Funkgerät und anders, als alle mir bekannten Kommunikationsgeräte. Sie bemühte sich, die Existenz dieses Geräts geheim zu halten, auch vor mir. Neugierig, wie ich war, schlich ich mich also heimlich in ihr Arbeitszimmer, und eines Abends konnte ich eine Stimme hören. Sie gehörte einem Kind, aber sein Geschlecht konnte ich nicht erkennen. Unbemerkt von unseren Eltern, zumindest nahm ich an, dass es für meinen Gesprächspartner ebenfalls galt, begannen wir, uns jeden Abend zu unterhalten. Anfangs bereitete es mir Schwierigkeiten, seinen Namen, Kyrijah, richtig auszusprechen. Für meine Ohren klang er fremd, aber dieses Gefühl schien auf Gegenseitigkeit zu beruhen. Es war seltsam, schließlich mussten wir aus den gleichen oder zumindest verwandten Ländern kommen, wenn wir die gleiche Sprache sprachen. Es stellte sich allerdings heraus, dass die Sprache die einzige Gemeinsamkeit zwischen uns war. Prinzipien und Gesetze, die für mich natürlich waren, waren ihm völlig fremd und umgekehrt war es dasselbe. Wir begannen also, uns mit der Welt, in der wir lebten, auseinanderzusetzen, um sie einander zu erklären.

Jedenfalls konnten wir den Grund für die Unterschiede in unserer Umwelt und unseren Lebensweisen nicht herausfinden, bis meine Mutter uns erwischte. Damals war ich bereits 13 und in ihren Augen alt genug für die Wahrheit. Sie verbot mir nicht, die Freundschaft zu dem Jungen, der nicht von der Erde stammte, fortzusetzen. Stattdessen ließ sie mich mir Ziele stecken. Hohe Ziele, beinahe unerreichbare Ziele, denn so, wie es zu dem Zeitpunkt stand, würde ich Kyrijah in diesem Leben nicht mehr treffen.
„Wir werden uns danach sehen", hatte er mich getröstet. „Wenn wir sterben, kehren wir zu den Sternen zurück, von denen wir gekommen sind. Und dann können wir uns sehen."
„Und wenn wir von verschiedenen Sternen kommen?", hatte ich ihn gefragt. Sein Glauben bezüglich des Todes war mir immer seltsam vorgekommen.
„Alle Sterne sind miteinander verbunden. Wir werden uns treffen" Er hatte völlig überzeugt geklungen und mir so Hoffnung gegeben.

Danach mussten wir unsere abendlichen Gespräche immer öfter ausfallen lassen. Spezialisten nahmen das Gerät mit und untersuchten es, um den Ort zu lokalisieren, von dem Kyijahs Signal kam. Jedes Mal fürchtete ich, dass ich es nicht zurückbekommen könnte und hatte Angst, dass es nicht mehr funktionierte, weil die Forscher zu sehr damit herumgespielt hatten. Jeder Abschied von ihm fühlte sich endgültig an.
Jedes Mal, wenn ich den Kommunikator, wie wir das  Gerät genannt hatten, zurückbekam, rief ich abends nach ihm, fürchtend, dass er das Warten aufgegeben hatte und nicht antworten würde. Er antwortete immer. Nicht ein einziges Mal enttäuschte er mich.

Und endlich war der Tag gekommen. Unser letztes Gespräch, aus so großer Entfernung. Heute würden wir uns auf den Weg zu einem weit entfernten Planeten machen. Wenn alles gut ging, würden wir uns endlich treffen.
Es stieß mir allerdings etwas sauer auf, dass ich trotz meiner Ausbildung zur Pilotin das Raumschiff nicht steuern würde. Ich sollte bei dieser Reise lediglich als Diplomatin dabei sein. Schließlich war ich die einzige Person auf der Erde, die sich jemals mit einem Bewohner unseres Zielplaneten unterhalten hatte.
„Kyrijah?", rief ich in den Kommunikator. Meine Sachen waren gepackt, aber Aufregung und Nervosität hatten sich jetzt meiner bemächtigt.
„Sofi?" Mein Name aus seinem Mund klang immer noch etwas anders, als hätte er einen Akzent. Namen konnte der Übersetzer im Kommunikator nämlich nicht übersetzen. Hoffentlich funktionierten die nach seinem Abbild geschaffenen Übersetzer für unserer Expedition.
„Es ist so weit, nicht wahr?", fragte Kyrijah und ich nickte, bevor mir einfiel, dass er mich nicht sehen konnte.
„Ja." meine Stimme klang dünn und für Kyrijah, der mich schon mein ganzes Leben lang kannte, offenbarte sie sicherlich meine gesamte Gefühlswelt.
„Alles wird glatt gehen. Du wirst sehen." Die Redewendungen „Wird schon schief gehen" und „Hals- und Beinbruch" hatte ich aus meinem Wortschatz streichen müssen, als er völlig entsetzt fragte, ob ich ihn tot sehen wollte. Sie verwirrten ihn und hatten lange Diskussionen ausgelöst. Und trotzdem baute mich diese ernste Ermutigung, wie man sie in meinem Land auf der Erde niemals hören würde, weil sie irgendwie seltsam klang, viel mehr auf, als es die Worte eines anderen jemals gekonnt hätten.
„Bis später", hauchte ich, während mir die Tränen in den Augen standen und machte mich auf zu dem Ort, an dem er auf mich wartete. Diese Reise sollte das Ende meiner langen Suche sein.

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Die Über All Lesung

Lasst euch von sieben der Preisträger:innen des Wettbewerbs Über All in ferne Welten entführen

Die Über All-Preisträger:innen

Vielen Dank an alle Teilnehmenden für diese spannenden Exkursionen ins All und herzlichen Glückwunsch den Preisträger:innen

Die Über All Jury

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Preise - Das gibt es zu gewinnen!

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