Er, Martin, kommt zu spät. Professoren dürfen das, vor allem Philosophieprofessoren, es lässt den Studenten Zeit zum Nachdenken. Anna darf nie zu spät kommen. Sie wartet am Platz. Die beiden haben sich auf Elite-Partner kennengelernt. Martin hat sie mit Kant und Nietzsche-Zitaten umgarnt. Der Professor meinte, dass er Astronautinnen bewundere, dass Anna jedoch ein Problem für Astronomen darstelle, wenn sie alle Sterne überstrahle. Nun sitzen sie sich gegenüber, sie bestellt den Meeresfrüchtesalat mit Saft, er Scampi mit Weißwein. Anna bemerkt, dass sie seine Augenbrauen mag, die hellbraunen Streifen fügen sich einfach sehr gut in sein mageres, markantes Gesicht ein. Martin beobachtet sie aufmerksam, er wirkt, als habe ihr etwas Wichtiges zu sagen, als wollte er ihr einen Antrag machen, jetzt schon.
Nach dem Essen gehen sie am Kanal spazieren, er greift nach ihrer Hand, sie setzen sich ans Ufer.
Es dunkelt bereits, der Mond überstrahlt die Laternen. Da nähert er seine Lippen ihrem Ohr und flüstert:
„Aber mal ganz ehrlich, die Erde ist flach, oder?“
Anna prustet los, doch er bleibt ernst. Sie sieht ihn an und bemerkt einen wahnhaften Glanz in seinen Augen, der nicht vom Mond herrührt.
„Klar, die Erde ist flach und die Sonne dreht sich um uns“, sagt sie.
„Hab' ich's nicht geahnt!“
Er bleibt ernst.
Anna ist Extremsituationen gewöhnt, etwa wenn die Basis meldet, dass ihre Raumkapsel beschädigt wurde. Sie bleibt ruhig und lässt seine Hand los.
„Es ist natürlich genial, wie ihr das Ganze inszeniert.“
„Wolltest du mich deshalb treffen?“
„Ich war neugierig auf dich und die Geheimnisse des Universums.“
Es ist, als ob er sich in sekundenschnelle Lichtjahr von ihr entfernt hätte. Die Astronautin sitzt noch am Kanalufer, doch der Professor kommt ihr vor wie ein Bewohner einer anderen Galaxie.
Sie steht auf.
„Willst du weiter?“
Anna dreht sich nicht um.
„Hey, ich mache dir doch überhaupt keinen Vorwurf.“
Sie geht weiter Richtung Mond, dem schönen, runden Mond, der sich um die schöne, runde Erde dreht.