Orchidee des Universums

Wettbewerbsbeitrag von Amaryllis, 16 Jahre

Fünf Galaxien habe ich bereist.
Alle habe ich brennen sehen.
Noch einmal will ich das nicht.
Es macht mich einfach krank.
Das Reisen, die Menschen, das Leben.
Seit 250 Jahren bin ich an die Maschine gebunden, die mich am Leben erhält, ohne die ich altern und sterben würde.
Ein jeder Mensch ist an sie gebunden.
Denn so entrinnen wir dem Lauf der Zeit.

Es ist so ruhig auf der Station.
Kein Lärm, kein Geschrei, keine Stimmen.
Außer dem stetigen Piepen der Maschine ist nichts zu hören.
Kinder gibt es nicht, die die Gänge mit Leben erfüllen könnten. Seit der perfektionierten Maschine braucht es keine mehr, die die Toten ersetzen müssten.
Mich umgeben die gleichen Menschen, wie schon seit 250 Jahren.
Ich war noch eine der Wenigen, die geborenen wurde.
Ein kleines Mädchen, welches durch die Gänge schleicht auf der Suche nach Geheimnissen. Die sie auch gefunden hat. Versteckt in ihrem Inneren warten sie darauf, gebraucht zu werden.

Ich drücke mein Gesicht gegen die Scheibe.
Unendlich weit fällt mein Blick in den Kosmos und doch wünschte ich, er würde es nicht. Ein anderes Bild drängt sich vor mich. Ein Bild ganz anders, als es mein sehendes Auge sieht.
So anders, dass es mich am Leben hält.
Nicht die Maschine tut das.
Nein. Das kann sie nicht.
Nur dieses Bild kann das.
Das Wissen darum trennt mich von den Anderen.
Dieses Wissen lässt mich verzweifeln. Durch dieses Wissen lernte ich Einsamkeit.
Vorsichtig schiebe ich meine Beine vom Stuhl. Darauf bedacht keine Geräusche zu machen, richtet sich mein Oberkörper langsam auf. 
Behutsam setzte ich beide Füße zu Boden, bevor ich tief Luft hole und meinen Körper dem Stuhl entreiße. Er hat nun keine Macht mehr über mich. Jetzt bin ich nur noch in meiner eigenen Gewalt.
Abwechselnd rechts vor links durchschreiten meine Füße den Raum. Hoch konzentriert, um nicht zu stürzen.
Vier Mal schaffe ich diese Runde, bevor die Kraft meinen Körper verlässt.
Langsam schließe ich den Verschluss wieder um meine Hüfte. Heftig spüre ich meinen Herzschlag. Ein Strahlen durchzieht mein Gesicht. Das ist mir immer am Liebsten. Mein Herz zu hören, zu wissen, dass ich mehr als nur sitzen kann. Dass ich nicht nur von der Maschine lebe, sondern auch durch mich.
Seit beginn des Trainings, spüre ich, dass mein Körper sich nach Bewegung sehnt.
So wird die Zeit im Stuhl für mich zur Qual.
Doch mein Körper ist noch nicht so weit. Ich brauche noch mehr Ausdauer. Mehr Übung.
Noch würde meine Mission nicht gut gehen.
Noch bin ich nicht bereit.

Weitere Monate des Trainings sind vorbei.
Bum. Bum. Bum.
Mein Herz. Es pocht, als wollte es aus meiner Brust heraus. Als wollte es fliehen, vor dem was kommt.
Als wüsste es, dass es bald still sein wird.
Doch der Entschluss wurde gefasst. Vor Monaten. Es gibt kein zurück.

Drei.
Zwei.
Eins.
Außenbordtüren öffnen sich. Luft wird aus meiner Lunge gepresst. Alles wird schwarz.
Schwarz wie verbrannte Erde, wie totes Wasser, wie der Weltraum.
Goldene Sprenkel erhellen meinen Blick. Sprenkel die meinen Augen so vertraut sind.
Ich war nicht tot. Noch nicht. Der Abschuss ist geglückt. Die Maschine liegt hinter mir.
Und jetzt bin ich hier. Auf dem Weg zur Erde.
Ich werde mich selbst finden und meine Mutter ein letztes Mal sehen.

Die Sterne ziehen an mir vorbei. Sie waren  mir immer so nah und doch so fern.
Sie waren mir lieber. Lieber wie die Planeten, die als perfekt galten, bis wir sie verlassen hatten und nichts zurückließen außer schwarzem Stein.
Unsere Mission ist gescheitert. Von Anfang an.
Den perfekten Planeten zu finden. Einen Ersatz für die Erde. Die Erde, die langsam stirbt.
Doch den gibt es nicht.
Vor 255 Jahren verließ das Schiff seinen Hafen.
Es kehrte nie zurück.
Getrieben von der Sehnsucht nach Zuhause zerbrach meine Mutter daran.
„Kleine Orchidee“ hatte sie immer gesagt. „Versprich mir, du musst dich suchen, suche dich und finde uns.“
So ließ sie ihr kleines Mädchen allein.

Fast hatte das Kind die Worte vergessen. Bis sie sich fand.
Hinter einer Tür, in einem Raum mit Büchern.
Groß waren die Augen des Mädchens. Wie Sterne leuchteten sie.
Stunde um Stunde, Tag für Tag und Jahr für Jahr verbrachte sie dort.
Kauernd.
In einer Ecke.
Vertieft in eine Welt, die nicht die ihre war.
Buch für Buch wuchs sie, die Sehnsucht nach diesem Ort.
Nach dieser Welt.
Nach der Erde.

Endlich war ich auf dem Weg.
Ich hatte es ausgerechnet. Dies war der perfekte Abstand. Der Einzige. So kurz würde er nie wieder sein.
70 Stunden mit Lichtgeschwindigkeit. Keine Stunde länger.
Unbekannte Galaxien, fremde Planeten, ferne Sonnen.
All dass lasse ich zurück.
Realität oder Traum. Tot oder Lebendig. Licht oder Dunkelheit.
Ich wusste es nicht mehr.
Alles um mich rum verschwimmt.

Auf einmal ist es gleißend hell und heiß. Das Schiff fällt. Wie ein Stein rast es auf die Erde zu.
Ein Rausch voll gegensätzlicher Gefühle durchflutet meinen Körper.
Die Gewissheit, dem Ende meiner Reise nah zu sein.

Meine Augen reißen auf.
Der Fallschirm hatte sich geöffnet.
Fiebrig wandert mein Blick umher.
Farben explodieren.
Alles verschwimmt.
Wunderschön.
Mehr schafft mein Kopf nicht.
Die Augen fallen wieder zu. Den Aufprall spüre ich nur als Ruck.
Zischend öffnet sich die Luke.
Ich fröstle.
Luft zieht über mein Gesicht.
Mit zitternden Fingern öffne ich die Gurte. Es kostete Kraft. Unglaublich viel Kraft.
Doch ich schaffe es. Kräfte, ziehen mich aus der Kapsel, von denen ich nichts geahnt hatte.
Wankend stehe ich da.
Umherblickend.
War das die Erde?
Plötzlich hellwach stolpere ich über den grünen Teppich.
Um mich rum nur braun.
Das müssen Bäume sein.
Langsam trägt mich mein Körper zu ihnen. Sie waren so groß.
Doch wo war sie?

Mein Blick wandert umher.

Da sehe ich sie.
Lila und unendlich fein.
Eine Träne kullert meine Wange hinab. Ich habe sie gefunden.
Die Orchideen erfüllen meinen ganzen Blick. Ich hatte den Wunsch meiner Mutter erfüllt.
Hatte uns nach Hause gebracht.
Matt an den Baumstamm gelehnt, mit dem Gefühl meiner Mutter ganz nah zu sein, blicke ich in den Himmel. Er ist so dunkel wie immer. Mit goldenen Sprenkeln.

Alle Infos

Die Über All Lesung

Lasst euch von sieben der Preisträger:innen des Wettbewerbs Über All in ferne Welten entführen

Die Über All-Preisträger:innen

Vielen Dank an alle Teilnehmenden für diese spannenden Exkursionen ins All und herzlichen Glückwunsch den Preisträger:innen

Die Über All Jury

Teilnahmebedingungen

Preise - Das gibt es zu gewinnen!

Schirmherrin Dr. Suzanna Randall

EINSENDUNGEN

Autorin / Autor: Amaryllis