Zero

Wettbewerbsbeitrag von Amelie A., 12 Jahre

Heute

Jemand rüttelt mich am Arm. Ein Mädchen, dass sich kaum von den anderen unterscheidet, nicht nur wegen der Uniform, sondern auch wegen der Körperhaltung. Wir reihen uns zwischen den anderen von unserem Gang ein. Ich bin mir nicht sicher, wo wir hingehen. Das ist ein anderer Weg als ins Zentrum. Aber wenn ich aus dem Bett gezerrt werde, noch bevor mein Wecker klingelt und die anderen Leute hier alle so sehr angespannt sind, funktioniert mein Hirn nicht so ganz. Es ist sogar noch dunkel! Okay, ich sollte mit den Weltall-Witzen aufhören. Irgendwann sind an den Türen die Beschriftungen zu lesen und da ich quasi den Schiffsplan auswendig gelernt habe, weiß ich, welche Richtung wir gehen: zur Brücke. Tatsächlich. Wir treffen uns im dort in einer Art Technik-Raum..

Damals

Das Radio lief, irgendeine Musiksendung. Ich stellte mich aufs Bett, das Poster in der Hand haltend. Ich hatte es mir letzte Woche gekauft. Die anderen Leute aus meiner Klasse hatten alle solche Plakate in ihren Zimmern. Bloß, dass auf denen Filmcover, Popbands oder SUE mit ihrer neusten Make-up-Palette abgebildet waren. Manchmal fragte ich mich ehrlich, inwiefern unsere Gesellschaft in den letzten fünfzig Jahren vorangekommen war. Und deshalb hatte ich mir dieses Poster gekauft. Damit ich von meinem Bett nur aufschauen musste und merkte: es hat sich ganz viel verändert. Sarah Jones hatte den ersten (und bisher einzigen) Teilchenbeschleuniger gebaut und aufbauend auf ihren Forschungen darüber haben wir dann einen Antrieb entwickelt, mit dem die heutigen Raumschiffe theoretisch die Milchstraße verlassen können. Daraufhin haben wir vor zwei Jahren Rhia entdeckt. Natürlich wollten ein paar ganz schlaue Köpfe dortbleiben, waren aber nicht besonders nett zu den Rhii, den Bewohnern des Planeten. Dann gab es erstmal Krieg. (Wie man sieht hat sich in den letzten 600 Jahren wirklich nichts verändert). Da waren wir heute. Ein Friedensabkommen war in Planung. Heute sollte der zweite Tag der Verhandlung sein.

Die Frau auf meinem Poster war auch dabei. Zero nannte sie sich, ihr Rufname bei der Armee. Sie sollte die Sicherheit der Flotte von der Erde auf Rhia sicherstellen. Zweite Offizierin war sie. Und dann hatte sie auch noch eine Tochter! Diese unglaubliche Frau, die gerade mal in ihren Dreißigern war, hatte bis jetzt schon so viel erreicht. Ist das nicht echt inspirierend? Du willst Kinder, ins Weltall und deinesgleichen beschützen? Entscheide dich für was, würden die meisten sagen. Aber diese Frau, Zero, war der Beweis, dass du, wenn du wirklich dafür brennst, auch alles drei hinbekommen kannst. Ich pinnte die linke obere Ecke des Plakats an die Wand, dann die rechte. “Achtung, eine Spezialmeldung”, sagte da der Radiomoderator im Hintergrund. “Die Erde hat vor kurzem die Nachricht erhalten, dass es wohl am 2. Tag der Friedensverhandlungen auf Rhia gewisse Probleme geben soll. Soeben wurde die Botschaft, die von Rhia hierher gesandt wurde veröffentlicht. Darin ist von einem Anschlag auf die anwesenden Menschen die Rede, genaueres steht nicht in der Botschaft. Da sie mit circa zwei Stunden Zeitversetzung gesendet wurde, ist die aktuelle Lage nicht bekannt. Wir halten sie auf dem Laufenden, also bleiben sie dran.” Dann ging wieder die Musik an. Das klang gar nicht gut.
Heute

1 Jahr vor der Reise

Ich atmete geräuschvoll ein. „Was ist?“ fragte mich Alex. Wir hatten es uns in meinem Zimmer gemütlich gemacht. An den Wänden hingen meine ganzen Weltraum-Poster und mittendrin das von Zero.
„Weißt du noch, vor vier Jahren, der Terroranschlag bei den Friedensverhandlungen von Rhia?“. „Ja klar. Und?“ „Sie schicken ein Schiff los. Sie wollen wieder eine Kolonie auf einem Planeten aufbauen.
Und rate mal, wer daran teilnimmt!“. Alex zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung, SUE?“ Ich verdrehte die Augen. „Was interessiert die mich? Nein, Zero. Die Frau, die damals beim Anschlag vermittelt hat.“ „Die, die so eine Stiftung gegründet hat und damit ein Unternehmen mit krass viel Geld unterstützt hat?“ „Genau, die. Ich meine stell dir das mal vor: die schicken da Leute ins All. Wenn ich dabei wäre, hätte ich die Chance, sie zu treffen. Die suchen Zivilpersonen und ich passe genau ins Bild! Ich würde mit den anderen an Bord ausgebildet werden, überleben im Weltall, in der Wildnis und kämpfen und so was. Und dann könnte ich endlich mit ihr sprechen. Mir meinen Traum erfüllen. Ist das nicht unglaublich?“ „Was?“ Alex schaute von ihrem Buch hoch. „Ach so, lass Träume Träume bleiben. Du machst das doch sowieso nicht. Traust du dir doch gar nicht, schließlich wärst du da oben ganz allein.“ Entgeistert blickte ich Alex an. „Ist das dein Ernst? Natürlich würde ich mir das trauen. Außerdem ist da noch Zero, und eine Menge Leute, die sich für dieselben Sachen wie ich interessieren. Das ist eine einmalige Chance! Ein Neuanfang. Neue Leute. Bestimmt finden wir ganz neue Spezies, Pflanzen und Tiere. Ein anders Volk vielleicht.“, meinte ich. „Aber deine ganzen Freunde sind hier. Was ist mit denen?“, diskutierte Alex weiter. „Du weißt, dass ich mich hier nicht wohlfühle. Diese ganzen Freunde verstehen mich doch gar nicht richtig. Deren Leben geht ohne mich einfach weiter.“, antwortete ich etwas verstimmt, da Alex mich nicht unterstützte. „Und ich?“ „Wir können ja noch chatten.“ „Ja, toll, mit zwei Stunden Verzögerung“, feuerte Alex. „Eineinhalb.“
„Was?“ Ich schloss die Augen. „Alex, ich denke wirklich, ich mach das. Ja. Ich habe gestern die Formulare losgeschickt, sie werden mir ja bald antworten, ob sie mich nehmen. Es tut mir leid. Ich hätte es dir vielleicht schon vorher sagen sollen. Ich will da unbedingt hin. Mir meinen Traum erfüllen. Ein Gespräch mit Zero.“ Alex schnaubte. „Dein Traum. Zero. Toll.“ Sie sammelte ihre Sachen ein und stürmte aus dem Zimmer. Traurig blickte ich ihr hinterher. Aber ich hatte meine Entscheidung getroffen.


Jetzt

Ich blicke mich in dem Raum voller Technik um. Es ist nicht die ganze Besatzung da, nur ein winziger Bruchteil davon, die ganzen Techniker, irgendwelche wichtig aussehenden Menschen und ich. Zero ist da draußen im All. Sie repariert den von außen beschädigten CO2-Verwerter. Ich habe mich auch gemeldet, aber sie wollten mich nicht. Fehlende Ausbildung und so.

Ich presse meinen Fuß so doll auf den Boden, dass mein Bein zittert und starre auf den Bildschirm, der das Tor zeigt. Ich stelle mir vor, was passiert, wenn Zero es nicht mehr schafft. Eine Tochter wird sich vielleicht den Rest ihres Lebens dafür hassen, nicht noch einmal mit ihrer Mutter gesprochen zu haben. Eine ganze Erden-Kolonie wird um die Friedensbringerin trauern, die es ihnen ermöglicht hat, dass sie heute Seite an Seite mit den Rhii leben können. Jemand wird ein unglaubliches Preisgeld bekommen, ohne sich bei der Wohltäterin bedanken zu können. Wie das Herz eines kleinen Mädchens, das sich mal ein Poster übers Bett gehangen hat und jetzt gar nicht mehr so klein ist, zerbricht. Und dann ist es auf einem Raumschiff, in den Weiten des Alls, vielleicht ganz einsam, ohne je mit der Heldin gesprochen zu haben, für die sie sich auf die Reise gewagt hat. Sie hat alles abgehakt, sich von ihren Freunden für immer verabschiedet, alles für diese eine Sache aufgegeben. Und dann ist ihr letzter Traum dazu verdammt, im Weltraum zu sterben. Aber noch ist es nicht so weit. Noch gibt es Hoffnung, dass die ganzen Technik-Leute sie reinholen oder das Zeitfenster vergrößern oder irgendwas anderes machen können. Mehrere Techniker vor riesigen Bildschirmen schreien durcheinander. Ein weiteres Problem scheint aufgetreten zu sein. Plötzlich stößt einer einen Jubelschreib aus. „Sie hat es geschafft!“, versucht er ganz ruhig zu sagen. Er versagt kläglich. „Das Schiff ist gerettet!“ Aber dann reden wieder alle durcheinander, tausende Leben sind sicher. Jetzt geht es darum, dieses eine zu retten. Sie rufen alle, schreien sich im Eifer gegenseitig an, tun alles Mögliche, um ihr zu helfen. Und ich - ich kann bloß tatenlos zuschauen. Ich schließe die Augen, blende das Chaos und die Hektik hinter mir aus. Eine Träne fließt mir die Wange herunter, es folgen ein paar weitere. „Sie ist fast am Tor!“, schreit der Typ von vorhin.

Ich öffne meine Augen und schaue auf dem Bildschirm. Fünf Sekunden. Oh Gott. Vier.
Ich mache wieder meine Augen zu. Drei.
Ich atme ein. Zwei.
Und ich atme aus. Eins.
Das Tor geht zu.

Alle Infos

Die Über All Lesung

Lasst euch von sieben der Preisträger:innen des Wettbewerbs Über All in ferne Welten entführen

Die Über All-Preisträger:innen

Vielen Dank an alle Teilnehmenden für diese spannenden Exkursionen ins All und herzlichen Glückwunsch den Preisträger:innen

Die Über All Jury

Teilnahmebedingungen

Preise - Das gibt es zu gewinnen!

Schirmherrin Dr. Suzanna Randall

EINSENDUNGEN

Autorin / Autor: Amelie A.