Ich wusste, ich würde sterben in dem Moment als ich aufwachte. Ich meine, mir war schon sehr lange klar, dass jeder Mensch eines Tages mal sterben muss, aber dann war ich da aufgewacht und ich hatte nicht noch in Träumen geschwelgt, mich gefragt, wie spät es ist, auf mein Handy geschaut oder mich wieder umgedreht. Nein, mein erster Gedanke war: jetzt würde ich sterben. Vielleicht nicht sofort, vielleicht in wenigen Minuten, vielleicht dauerte es aber auch noch Stunden. Ich weinte komischerweise nicht. Ich fühlte mich nicht mal ansatzweise danach. Ich war aufgewacht und hatte es akzeptiert. Vielleicht lag es an mir, an dem wie ich bin. Vielleicht lag es auch daran, dass ich in eine Rakete gestiegen bin, jahrelang dafür trainiert hatte, nur um das tun zu können und mit diesem Schritt, mit dem Niederlassen auf meinen Sitz, dem Befestigen jedes einzelnen Verschlusses, hatte ich alles akzeptiert. Jeden Ausgang der Geschichte.
Nach dem Aufwachen war ich etwas liegen geblieben, betrachtete einfach den Himmel über mir. Hier kamen mir die Sterne tatsächlich zum Greifen nah vor. Ich versuchte zunächst, im Liegen nach oben zu greifen. Es sah so knapp aus, ich versuchte mich aufzusetzen. Mein Körper signalisierte mir, dass er das nicht wollte. Es tat ihm weh, er war müde, ausgelaugt. Dennoch schaffte ich es, zumindest für einen kurzen Moment, zu sitzen. In diesen paar Sekunden griff ich nach oben, mit dem gleichen Ergebnis wie im Liegen. Ich warf einen Blick über die Landschaft. Es sah so klischeehaft nach einem Planeten aus. Es war so, als versuchte dieser Planet nicht mal nach einer neuen Entdeckung auszusehen. Nach etwas noch nie Gesehenem. Um mich herum waren weiße Brocken, weißer Sand. Keine Flagge, keine Installationen, keine Geräte. Nichts von menschlicher Hand. Da fiel mir wieder ein, dass ich sterben würde, und ich ließ mich zu Boden fallen. Natürlich hätte man jetzt auch sagen können: „Was, wenn du nur ein bisschen hättest gehen müssen, vielleicht wäre da irgendwo hinter einem kleinen Hügel doch etwas gewesen. Vielleicht waren schon mal Menschen hier, vielleicht hätte man dich retten können.“ Das ließ sich leicht sagen. Aber ich wusste es. Ich weiß nicht wieso, vielleicht ist das ja so, bevor man stirbt, vielleicht weiß man kurz vorher, dass es jetzt zu Ende geht, man hat nur keine Zeit mehr es den Leuten zu sagen, dass es so ist.
Alles an mir war unendlich müde. Nur mein Herz, mein Herz raste. Ich spürte, wie es in einem Tempo gegen meinen Brustkorb hämmerte. Meine rechte Hand legte sich darauf, versuchte es zu beruhigen wie ein kleines Kind. Doch zwischen dem Herzen und der Hand lagen Knochen, Muskeln, Sehnen, Haut, ein ganzer Raumanzug.
Meine linke Hand vergrub sich in den fremden Untergrund. Vorsichtig nahm ich eine Hand voll davon und ließ den Inhalt wieder zu Boden rieseln. Ich griff erneut danach, öffnete sie dieses Mal über meinem Bauch. Der Sand prasselte auf meinen Anzug, ein paar Körner blieben dort liegen, andere glitten zurück auf den Boden. Für einen kurzen schönen Moment schloss ich die Augen und für ein paar Sekunden konnte ich mir einreden, dass ich gar nicht irgendwo in unserem Universum verloren gegangen bin.
Ich begann mit meinen Füßen im Boden zu scharren. So wie ich es als kleines Kind schon immer am Strand gemacht hatte. Ich hatte es einfach so gemacht, es gab kein Ziel dabei. Es war schon immer so, dass sich mein Körper nicht still halten wollte. Während des Essens hatte ich immer mit meinen Beinen hin und her geschaukelt und als sie zu lang wurden und bis zum Boden reichten, ging ich in ein Wippen über. Meine Mutter hat es wahnsinnig gemacht. Irgendwann hat sie mir eine Krone gebastelt, setzte sie mir auf und krönte mich zur zappeligsten Sechsjährigen der Welt. Ich glaube von da an machte es sich mein Körper zur Aufgabe, diesen Titel in jedem Lebensjahr zu bekommen. Wäre meine Mutter hier, sie würde mit den Augen rollen, aber lächeln. „Mädchen, jetzt ist aber mal gut.“, das würde sie sagen und mir dabei auf meine Beine tätscheln, die nicht aufhören wollten zu graben, obwohl ich doch so müde war. So müde, dass es weh tat. Ich zwang mich, wach zu bleiben, die Augen offen zu halten. Starrte in die Dunkelheit, beleuchtet von der Unendlichkeit der Sterne. Hätte mich jemand in diesem Moment gefragt, was passiert sei, wie ich hier nur landen konnte, ich könnte es nicht sagen. Ich weiß nur noch, dass alles normal gewesen war und dann plötzlich nicht mehr.
Es war ein Standard-Außenbordeinsatz gewesen. Nichts außergewöhnliches. Ich war bereits einige Zeit draußen gewesen. Aber alles wie geplant. Ich sollte vier Proben an einer Außenplattform anbringen. Routine. Jede Bewegung saß. Ich war schon auf dem Weg zurück in die Kabine gewesen, vielleicht noch zwei Meter bis zum Eingang. Ich weiß gar nicht, wie oft ich jeden dieser Schritte schon im Training gegangen bin. Ich habe nichts falsch gemacht, ich habe nichts vergessen, ich war nicht zu langsam. Und selbst wenn ich es gewesen wäre, das hätte nicht passieren dürfen. Es gab keine Variante, in der es die Möglichkeit gab, dass eine Astronautin plötzlich auf einem fremden Planeten aufwachte. Und doch lag ich hier.
Ich spürte mit jedem Atemzug, dass ich tiefer atmen musste, dass ich mich mehr anstrengen musste. Ich ließ meine Arme über den Boden gleiten, sie schmerzten. Ich biss mir auf die Zunge. Als ich klein war, hatte ich mir beim Zahnarzt immer in den Arm gezwickt, damit das Bohren nicht so weh tat. Jetzt biss ich mir so fest ich konnte auf meine Zunge, hob meine Arme, nur so weit, dass ich den Verschluss meines Helmes ertasten konnte. Als ich den Verschluss öffnete, fragte ich mich, ob man mich je finden würde. Ich schnappte noch einmal nach Luft. Mit letzter Kraft zog ich mit beiden Armen meinen Helm vom Kopf. Ich wollte ein letztes Mal das Universum sehen, ganz nah. Ich sah die Dunkelheit, die Sterne, etwas blinkte, spürte den Sand, es war hell und dunkel zugleich und dann, einfach so, schlossen sich meine Augen.