„IIIIH!!!!! Ich bin gegen Mary gerannt, bääh!“, Amanda war gegen mich gestoßen, ja. Und sie hasste mich, wie mich alle anderen Mädchen aus meiner Klasse auch hassten. Aber deswegen so einen Aufstand zu machen, war doch völlig unnötig! Sie könnte mich ja auch einfach in Ruhe lassen oder ignorieren, aber mich mit Absicht anzurempeln und sich dann so aufzuführen, das war wirklich die Höhe! Sofort wurde die „arme“ Amanda in den Kreis ihrer besten Freundinnen, die schwatzend dastanden, aufgenommen und ihr „Unfall“ wurde mit mitfühlenden Kommentaren oder zynischen Bemerkungen, um mich zu verletzen, quittiert: „Iih, jetzt hast du ja die Seuche!“, „Bist du auch geimpft?“, „Komm mir bloß nicht zu nahe, sonst steckst du mich auch noch an!“, „Du Ärmste, jetzt bist du ja verseucht!“ „Oh je, geh daheim am besten gleich duschen...!“, „Bah, das ist ja voll ekelhaft!“, riefen Babs, Maureen, Estefania und Nadine durcheinander. Und immer wieder diese schadenfrohen und oft auch gehässigen Blicke in meine Richtung, das machte mich total fertig! Aber ich konnte mich, wie immer, nicht wehren, hatte zu viel Angst, diesem Mob entgegenzutreten und mich zu verteidigen.
*Streit ums "Örtchen"*
Später, in der Biologiestunde, fragte ich unsere Lehrerin ob ich schnell zur Toilette dürfe. Sie nickte. Als ich nach kurzer Zeit zurückkam und plötzlich auch Amanda und Babs „mal mussten“, wurde Frau Hof wütend und schrie die beiden an: „Nein, ihr geht nicht! Jede Stunde müsst ihr angeblich so dringend auf euer stilles Örtchen und dann kommt ihr immer erst eine Viertelstunde später zurück! Nein, das dulde ich nicht! Ihr bleibt sitzen und wartet bis Stundenende!“ „Aber das ist unfair, Frau Hof!“, meldete sich da Estefania, die mich aus tiefstem Herzen hasste, zu Wort, „Mary darf auch immer gehen und bei der sagen Sie nie etwas! Die darf ja auch sonst immer zur Toilette, diese Schleimerin!“ „Genau! Und Ihre ach so tolle Lieblingsschülerin darf ja auch, wann immer sie will, im Unterricht essen und trinken! Das finde ich wirklich nicht fair!“, spielte John nun auf meine Zuckerkrankheit an. Mit mühsam beherrschter Wut drehte ich mich um und brauste auf: „Sei du mal ruhig! Vielleicht will ich ja auch gar nichts essen oder trinken und muss trotzdem! Das liegt am Zucker, wenn ich zu wenig Zucker habe, dann muss ich was essen, bei zu viel Zucker muss ich was trinken, das wisst ihr eigentlich alle, aber wenn du das so unfair dir gegenüber findest, dann können wir gerne tauschen!“ Erschöpft von meinem ungewöhnlich heftigen Ausbruch drehte ich mich um und ignorierte den Rest der Streiterei mit Frau Hof, die sie – wie immer – doch noch mit den beiden ausdiskutierte.
*Jemand zum Reden*
In der darauffolgenden großen Pause ging ich in die Schulbücherei, die unsere nette Deutschlehrerin, Frau Reich, beaufsichtigte. Sie hatte mich schon früher auf die Situation in der Klasse angesprochen, aber damals hatte ich mich nicht getraut, ihr zu sagen, was wirklich los war. Die Angriffe und fiesen Kommentare von Estefania, die schadenfrohen Lacher, wenn ich etwas nicht wusste, ihre Ignoranz mir gegenüber und die miese Stimmung insgesamt wurden mir jetzt zu viel und als Frau Reich mich heute fragte, was mit mir los sei, da offenbarte ich ihr alles. Die Worte sprudelten nur so aus mir hervor, zwischendurch stockte ich vor Wut, vor Schmerz und manchmal sogar vor Hass auf diese Zicken. Da niemand außer uns in der Bibliothek war, fühlte ich mich sicher. Als ich geendet hatte, schwieg auch die Lehrerin. Sie sah mich bestürzt an und sagte: „Wenn ich gewusst hätte, wie die sich benehmen, dann hätte ich schon früher mit dir geredet. Ich habe geahnt, dass es bei euch wieder brodelt, aber dass es so schlimm ist, hätte ich nicht erwartet. Das ist schrecklich! Vor allem Estefania hätte ich das nicht zugetraut, sie ist doch sonst so ein netter und offener Mensch!“ Bitter warf ich ein: „Ja, sonst vielleicht, aber sie hasst mich, dabei habe ich ihr nichts getan, keinem von ihnen! Aber alle lassen sie mich spüren, dass sie mich nicht mögen. Das ist so unfair! Na gut, ich habe Diabetes, ich habe gute Noten und ich habe andere Interessen als sie, aber warum können sie mich nicht einfach so akzeptieren, wie ich bin?!“ Mühsam unterdrückte ich Tränen der Verzweiflung. Ich war am Boden zerstört und wütend. „Mary, so geht das nicht weiter. Ich weiß, dass du ihnen nichts getan hast und sie auch nicht bewusst reizt oder herausforderst. Du kannst nichts für deine Situation, aber wir müssen dir helfen, da wieder herauszukommen. Wenn du willst, rede ich mit Frau Wax, das ist ihr Spezialgebiet. Sie hat schließlich auch die Schlichter-AG.“, bot mir Frau Reich an. „Ja, bitte, aber sie soll nichts in der Klasse davon sagen. Das würde alles nur noch verschlimmern, für mich zumindest.“, dankte ich ihr erleichtert Die Pause war vorbei, aber irgendwie fühlte ich mich besser als vorher. Angenehm war es nicht, wieder in die Klasse zurückzukehren, vor allem weil wir Physik hatten und ich alleine, alle anderen Mädchen aber zu dritt an den Gruppentischen saßen, doch nun wusste ich: Ich habe Hilfe und Rückhalt und jemanden zum Reden.