Der nächstferne Ort
von Hayley Long
übersetzt von Josefine Haubold
Schon mit Sophie Soundso hat Hayley Long ihr Gespür für heikle Themen und deren feinfühlige Ausgestaltung in subtilen Zwischentöne, mit starken Gefühlen und bei aller Tragik bemerkenswert positiver Kraft und Botschaft bewiesen – und auch ihr neuer Roman zeigt eindrucksvoll, dass leise Bücher oft besonders nachhallen und im Gedächtnis bleiben.
Ohnehin spielen Gedächtnis und Erinnerung auch für die Brüder Griff und Dylan eine große Rolle: Dylan, der mit fünfzehn Jahren ältere der beiden, erzählt in Ich-Perspektive vom Schicksal seiner Familie – dem Autounfall, der die Eltern aus dem Leben reißt, und dem Umgang der so unterschiedlichen und sich doch so nahen Geschwister mit ihrer Trauer. Auch ihr Leben in New York City kommt zu einem abrupten Ende, denn aufnehmen können die beiden nur eine Tante und ein Onkel aus Wales. Dort, wo eigentlich alles gut werden soll, kämpfen beide Brüder zunächst nicht nur mit ihrem Verlust, sondern auch mit der Sorge umeinander: Während Dylan für seinen kleinen Bruder stark sein will, da dieser in ein schwarzes Loch zu fallen droht, beunruhigt es Griff wiederum, dass sein älterer Bruder den Tod der Eltern zu leugnen und zu verdrängen scheint. Zuflucht finden beide jedoch ein wenig in ihren Erinnerungen – und Episoden an jenen nächstfernen Ort, ihr Leben mit den Eltern, ziehen sich in Zwischenkapiteln durch das ganze Buch, sodass auch Vorgeschichte und Familienbande der Brüder eingehend und greifbar ausgelotet werden. Ihr Weg zurück ins Leben ist nicht leicht und auch am Ende der Erzählung nicht vollständig beschritten, doch gemeinsam, miteinander, füreinander und auch jeder für sich stellen Dylan und Griff sich ihrer Zukunft, die auch nach einem solch tragischen Schlag keineswegs nur grau sein muss.
Auch für den Leser ist der Unfall, der ganz zu Beginn des Textes geschildert wird, ein Schlag in den Magen, der die Luft raubt; in der Folge zeichnet die Autorin Dylans und Griffs Emotionen und Nöte, aber auch ihre Bindung zueinander und die Sorge und Bemühungen ihres Umfelds so einfühlsam und taktvoll, dass der Leser tief in die Erzählung hineingezogen wird und tatsächlich mitfühlt und mitleidet, aber auch mithofft und mitheilt – so gelingt Hayley Long ein bemerkenswert ruhiger, psychologisch tiefschürfender, zugleich unglaublich intensiver, tieftrauriger und doch nachdrücklich aufbauender Roman, der nicht zuletzt durch eine ausgesprochen authentische, gefühlvolle Übersetzung zur ganz besonderen und unbedingt empfehlenswerten Lektüre wird.
*Erschienen bei Königskinder*
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Autorin / Autor: fabienne - Stand: 30. April 2018